Von Michael Voß

„Und, wie bist du mit unserem Gastgeber bekannt?“, fragt sie interessiert und nippt an ihrem Sekt.

„Ich bin sein Nachbar“, sage ich.

Die Pupillen in den rehbraunen Augen weiten sich kurz, ihre Stimme nimmt einen leicht rauchigen Klang an.

„Ist deine Wohnung hier drunter oder drüber?“

„Weder noch, mir gehört die Tankstelle nebenan.“

„Oh. Ist das die, die neulich überfallen wurde?“

„Ja, genau die.“

„Wie schrecklich! In der Zeitung stand, dass die Täter alles demoliert haben, während der Besitzer, also du, machtlos zugucken musstest?“

„So war´s. Ein Kerl hat mir ein Messer an den Hals gesetzt, während sein Kumpan den Shop verwüstet hat.“

„Wie war das für dich? Hattest du nicht furchtbare Angst? Und jetzt, wie lebst du mit dem Gedanken, dass das jederzeit wieder passieren kann?“

„Naja – beim dem Überfall, da hab´ ich mir echt fast in die Hose gemacht. Aber seitdem …“

Seitdem zahle ich brav jeden Monat das Schutzgeld, auch wenn ich deswegen nun finanziell mit dem Rücken an der Wand stehe. Vor allem aber steckt mir der Schreck in den Knochen fest. Kein Psychodoc konnte mir helfen, immer noch wache ich jede Nacht nassgeschwitzt und zitternd vor Angst auf. Wenn ich das nicht in den Griff kriege, bin ich bald ein Wrack. Denn die Polizei, so sehe ich es jedenfalls, kommt gegen diesen Clan nicht an.

Ich zucke mit den Schultern.

„Je nun, so´n Überfall kommt alle zwei, drei Jahre vor. Junkies halt. Die brauchen Geld für Stoff und rasten schon mal aus, wenn zu wenig in der Kasse ist.“

Sie rückt etwas näher.

„Sag´ mal, …“

Zu gern möchte ich unseren netten Flirt fortsetzen, doch der Weckalarm lässt mein Handy in der Hosentasche vibrieren. Es wird Zeit.

„Ähm, sorry, ich muss mal kurz …“

Sie zwinkert.

„Ein Bier wegbringen? Aber lauf nicht weg, ja?“

Ich dränge mich zwischen den Partygäste hindurch ins Bad. Zum Glück hat die Wohnung noch ein separates Gäste-WC, sonst würde schnell auffallen, dass das Bad etwas länger besetzt bleibt. Licht aus, Fenster auf. Vor hier aus blicke ich auf das Gelände meiner Tanke, unter mir sehe ich die Mülltonnen des Wohnhauses. An der Unterseite der Fensterbank klebt die dünne Schnur, die ich dort beim meinem letzten Besuch festgetapt habe. An der Schnur ziehe ich das Paket hoch, das ich vorher im Dunkeln zwischen die Tonnen gelegt habe. Ich packe die beiden Jagdarmbrüste aus und spanne sie, lege die Reservebolzen bereit und suche mit raschen Blicken Straße und Tanke ab. Wie jeden dritten Samstag im Monat sind sie pünktlich. Der 3er BMW der beiden Schläger rollt zwischen den Zapfsäulen durch, hält breit und bräsig vor der Shoptür. Noch mehr Glück: Heute parkt auch mal wieder der Boss seinen AMG auf der gegenüberliegenden Straßenseite um zu gucken, wie seine Jungs arbeiten. Jetzt wird´s spannend.

Es sind 36 m von mir bis zu dem BMW, die Dachkante ist vier Höhenmeter unterhalb meiner Armbrust. Mit beiden Waffen habe ich bestimmt über dreihundert Schuss abgegeben, bis ich mir sicher war, auf DIESE Entfernung und DIESEN Höhenunterschied zu treffen. Lolek und Bolek, wie ich die beiden Schläger nenne, steigen gemächlich aus. Ich warte, bis Loleks Brust über dem Rahmen der Beifahrertür hochkommt, dann drücke ich ab. Mit einem Schrei sackt er zu Boden. Waffe abstellen, nächste Armbrust in Anschlag bringen, Druckpunkt suchen. Unten umkurvt Bolek das Auto. Als er um die Motorhaube rum ist und mir den Rücken zuwendet, krümme ich den Zeigefinger, treffe. Anders als sein Kumpel brüllt Bolek wie am Spieß. Gut, dass die Straße so gut befahren ist, sonst würden die Partygäste womöglich noch was mitkriegen. Inzwischen habe ich beide Waffen wieder gespannt und beobachte den Boss, der ob dieser Störung seinen AMG verlässt und sich der Tanke nähert. Ich erwische ihn, als er den Gehweg überquert. Den vierten Bolzen schieße ich Bolek ins Kreuz, worauf er endlich aufhört zu schreien. Jetzt erst beginnen meine Knie zu zittern. Augen zu, tief durchatmen. Ein paar Atemzüge später geht es wieder. Einpacken, Paket runterlassen, Schnur und Tape entfernen, zurück zur Party. Die Waffen werde ich wegschaffen, wenn in zehn Minuten die von mir manipulierte Zeitschaltuhr einen Kurzschluss auslöst und das Licht in der Wohnung ausgeht.

„Na, Stau vorm Klo?“, fragt meine neue Bekannte neckisch.

Ihre Grübchen sind Zucker.

„Ne, mir ist wohl was auf den Magen geschlagen.“

„Dafür siehst du aber ganz gut aus.“

Ich grinse: „Naja, hab´ mich halt erleichtert.“

 

Zwei Tage später, im Lokalteil des Stadtanzeigers: „Am vergangenen Samstag kam es spätabends zu einem Dreifachmord auf der freien Tankstelle an der Bahnhofsstraße. Alle Opfer wurden mit einer Armbrust getötet. Ein Polizeisprecher erklärte, dass keine verwertbaren Spuren sicherstellt werden konnten, auch die intensive Befragung der unmittelbaren Nachbarschaft sowie die Suche nach weiteren Zeugen blieb ergebnislos. Da allen Opfern ein Migrationshintergrund gemeinsam ist, gehe man derzeit von einer fremdenfeindlichen Tat aus. Vertreter des Einzelhandels und der Gastronomie hingegen sehen eine weitere Eskalation der seit Monaten andauernden Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Weitere Neuigkeiten zu diesem Thema in unserer nächsten Ausgabe an dieser Stelle.“

 

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