Von Kornelia Wulf

Die Alte hält mir den Euro entgegen. Wirbel für Wirbel löse ich mich von der Wand, um nach der Münze zu greifen. Sie zieht sie zurück, nur ein kleines Stück, als müsste ich einen Kotau veranstalten. „Aber nicht für Schnaps“, schmiert ihre Stimme in meinem Ohr, fühlt sich an wie klebrige Salbe, „und – vor Allem – wasch dich mal wieder. So darf man sich doch nicht gehen lassen.“ Das Zäpfchen im Gaumen beginnt zu zucken. Am liebsten würde ich auf das Geldstück spucken, das nun im Weidenkörbchen klimpert. Doch scheu fliegt mein Blick zu ihr hinauf. Ich drücke eine Träne aus dem Augenwinkel raus. Mittlerweile flutscht die ganz easy.

Denn mit leeren Taschen gibt`s nichts zu naschen. Das weiß schließlich jeder.

Dieses Binsending auf unsere Platte zu stellen war übrigens Ricks Idee. Der Typ ist wirklich klug. „Die denken dann alle an das Kind auf dem Nil und greifen tiefer in die Tasche.“ `Hä?´, dachte ich, `was sabbelt denn der?´ „Was, das kennst du nicht? Na, Moses natürlich. Dieses Blag aus der Bibel. Und der Gag hierbei ist, die wissen nicht, warum sie das denken. Sie glauben nur, dass sie es wissen“, schwadronierte er, „Unterbewusstsein nennt man so was.“

Hinter der Zeitung von gestern versteckte ich meinen Blick. Oh Mann, manchmal macht Rick sich schon ziemlich dick.

Ich glaube, der hat früher in der Werbung gearbeitet.

Ein scharfer Wind lässt meine Rippen zittern. Sie schreien nach heißem Kaffee. Er fegt um meine Stammplatzhauswand, vor der wir sitzen Tag für Tag, bis die Obrigkeit uns wegtreibt. Die Decke fest um die Hüfte geknotet, drücke ich den Hintern auf die Pappe. Die dämmt die Kälte zu hundert Prozent. Besser als jede Isomatte. Von der Dönerbude neben der Shisha-Bar weht Knoblauchdunst herüber. Und als mein Magen zu knurren beginnt, hör ich schon wieder diese Stimme. „Bring ein Pfund Hackfleisch von REWE mit“, schallt es aus dem Fenster über mir, „und – ach Erich, nun warte doch mal – auch noch ein Bund Zwiebeln.“ Eine Wolke aus Flusen weht in mein Gesicht, hart geht die Alte mit uns ins Gericht, während sie ihr Staubtuch über uns ausschüttelt. Und als ich hinaufschaue, trifft mich ihr Blick, der wie ein Habicht wühlt und sticht. „Also ehrlich, Erich, du glaubst es nicht. Jetzt hockt das Gesocks noch immer vor unserem Haus. Früher, Erich, du weißt schon wann. Arbeiten hätten die müssen, bis ihnen die Finger bluten.“

Gähnend kratze ich die Stimme aus meinem Hirn, fokussiere mich auf das Schnarchen neben mir, und während Ricks Brust sich hebt und senkt, folge ich der Linie seiner Stirn. Die leicht gewölbt, mit gelben Pickeln verziert, sich im Ansatz seiner Nasenwurzel verliert. Und gespannt wie ein Seil über einen verkrüppelten Ast, sich dann fortsetzt an den Lippen entlang. Dort sucht sie das Kinn, das – fast unerkannt – in seinen Hals zu fliehen scheint.

„Yes, Baby, immer wieder hat er getroffen, von links – der Haken – bumm – von rechts – Maaann, ein Mörder-Uppercut – uuund – zack – voll in die Fresse“, näselt der Rick an fast jedem Tag, „und, Lulu, nun schau mich an. Erkenne, das was er geschaffen hat“, pfeift es durch den letzten, hohlen Zahn, „ist einfach phänomenal. Einen Charakterkopf. Einzigartig. Denn Lulu, nun hör gut zu, das Glas ist halbvoll und nicht halbleer, äh … man muss sich immer das Gute aus dem Schlammassel picken, äh … wer hat das …“, ein gnädiges Husten verschluckt den Satz. Und während ich ihm zunicke – glatt gebürstet, voll friedlich – denke ich, „mein lieber Rick, so klug du auch bist, beim letzten Cut muss Hirn geflossen sein.“

Ein Windstoß hebt seine Rastalocken – in denen manchmal ein paar Tierchen hocken – als mich plötzlich ein Kribbeln besiedelt. Das auf meiner Haut brennt und sticht wie ein Ameisenregen. Und ich spüre im Asphalt ein feines Beben, wie die Pappe anfängt Wellen zu schlagen und die Frühstückssemmel sich in Richtung Gaumen bewegt.

„Nein, nein!“, schreit mein sonst so stummes Ich, „verschone mich!“

Doch er wächst und dehnt sich, wölbt sich vor. Wie passt dieser Tunnel nur in Ricks Blumenkohlohr?   Und noch während ich versuche, mich an ihm festzuhalten und die Nägel über Edelstahl schrammen, zieht er mich tief hinab. Mit Molochkraft. Der Sog, der die Erinnerung anfacht …

CUT

… Ich nippe an dem Drink in der Cocktrail Bar. An einem Harakiri Shot. Der beinahe meine Kehle verätzt, bevor er mich aufheizt zum Vulkan. Die Lippen fest um den Strohhalm gepresst, drängt sich Trixie in meinen Kopf. „Hey, Bestie“, schleimte die verlogene Schnepfe immer, „wir bleiben zusammen, bis uns die Sonne verlässt.“ Aber kaum hatte ich ihr den Rücken zugekehrt, hat sie sich Samy geschnappt. „Ich passe auf, dass er keinen Unsinn macht“, rief sie mir winkend nach, als ich zu diesem Workshop fuhr.

`Finde die Quelle und der Wortgeysir sprudelt in dir´.

Oh Mann, war das ein Quatsch.

Und als ich am Sonntag dann den Samy traf, mich gegen seine verschränkten Arme warf, kullerte sein Blick zu meinen Füßen hinab. „Lulu, ey, das war so geil mit dir“, stammelte er, „aber die Trixie liebe ich wirklich mehr.“

„Und mir wäre lieber ein Massakriri Hot“, grollt es in meinem Hinterkopf. Und ein Racherausch tobt in mir. Lenkt das mentale Messer bis in das Herz – bohrt, schabt, weidet sich an ihrem Schmerz – das wir uns haben stechen lassen. In unseren Oberarm. Nicht eine Wimper fing dabei zu zucken an. Und wenn wir ganz fest den Bizeps anspannten, fing es zu schlagen an.

Als nach dem x-ten Drink der Raum sich neigt, mich gefährlich in die Schräglage treibt, fängt er mich auf. Dieser Typ, der schon seit Stunden neben mir steht, sich voll eng an meine Brüste lehnt. Die Nase in seine Flanellbrust gedrückt, rieche ich Spearmint und Bier. In kaltem Schweiß konserviert. Und da ist noch was Fremdes, das meinen Atem antreibt. Ich spüre seine Kuppen beharrlich kreisen, ein paar steile Momente, die sie erzeugen. Und mein Wille versagt, sie abzuweisen.

„Komm“, haucht er, „unten wird es heiß.“  

Und meine Füße suchen auf den Treppenstufen Halt – während er zieht und schleift – als die Kanten sich zu runden scheinen.

Fest in die dunkle Ecke gepresst, höre ich ein Rauschen aus der WC-Kabine neben mir. Und noch bevor er die Schenkel bis auf Anschlag hebt, lese ich, was in dem Geschnörkel auf der Trennwand steht.

Ruf mich an! 0151 – 999666. Frag nach Rudi, dem Kerl fürs Grobe.

Der Rest verschwimmt im Harakirinebel.

Nur manchmal. Diese Blitze. Blenden mich in meinem Schlaf

 … volle Lippen …  entblößte Jacketkronen … und ich winde mich … zucke …

Hat er etwas in mir verbogen?

Drei Wochen später ist er bei mir eingezogen.

Die steilen Momente währten nicht lang. Schon am nächsten Morgen habe ich mir eine gefangen, weil sein Zahnputzbecher hinter meinem stand. „Hau endlich ab, du krankes Schwein“, schrie ich ihn an, stopfte seinen Kram tief in den Koffer. Doch bevor ich den vor die Tür schleudern konnte, stand er vor mir. Das Gesicht versteckt hinter roten Rosen. Niemals könne er sich das verzeihen, etwas Fremdes müsse in ihn eingebrochen sein. Und er schwor Stein und Bein, seine Hand fiele der Amputation anheim, falls sie sich noch einmal gegen mich erhebe. Hilf mir ein besserer Mensch zu werden, flehte er. Unschuldig wie ein Kind wirkte er – so zerbrechlich, so klein – da habe ihn wieder zurückgenommen.

Doch nach dem hundertzwanzigsten Mal sehnte ich mich nach einem weißen Lilienbouquet.

Zuerst bin ich noch in die Uni gegangen, habe mit Mike und Lia abgehangen. Bis ich an einem schwungvollen Tag fünf Minuten später nach Hause kam.

Da hat er mir meinen Schlüssel abgenommen.

Immer enger schnürte er mich ein. Sein starres Korsett wurde mir zu klein und der Atem ging schwerer und flacher. Das Handy in meiner zitternden Hand, wählte ich die 11 … an, als er nur einen Moment zu früh vor mir stand.

Die Teamkonferenz – einfach ausgefallen.  

Mit stierem Blick starrte er in mein Gesicht. Noch glaubte ich, dass da ein Funke Mitleid stob, bevor er mich grob an den Armen packte, drückte und bog, bis es knackte. In dem dunklen Wandschrank eingesperrt, habe ich Stunden, Tage – ich weiß es nicht mehr – mich nach seiner Nähe verzehrt, bis die Leere mich voll einholte.

Herr Müller – er wohnte gleich nebenan – rief dann die Notrufnummer an, weil er zwei Tage und zwei Nächte lang mein Schreien nicht mehr hörte. Was ihn zutiefst verstörte.

Plötzlich fühle ich wieder das kribbelnde Beben, sehe Bar und Wandschrank aus dem Blickfeld verschwinden. Von dem starken Sog über Grenzen gehoben – dieser kleinlichen Welt, so eng wie ein Zelt – schwebe ich dicht eingewoben als Partikel von Raum und Zeit. Und auch der Tunnel öffnet sich weit …

CUT

… als ein heller Strahl meine Stirn erreicht und das Licht der Sonne die Sinne klärt. Und obwohl er nicht will, hält der Wind endlich still. Eng an die sichere Wand gelehnt, weiß ich genau, dass es mir an nichts fehlt.

Nun ist die Straße ist mein zu Haus. In geschlossenen Räumen halte ich`s nicht mehr aus.

Ein brodelndes Rasseln dringt in mein Ohr. Der Husten lebt auf, als Rick erwacht. Er schlüpft in den Parka – ihm ist noch kalt – und entleert seine Lunge auf dem Asphalt. Den Schnaps und die Bibel in das Bündel geschnürt

„Ich muss dann mal weg“, nuschelt er.

„Und, Lulu, du weißt es genau. Der Weg ist das … ey“, kreischt Rick, „das ist jetzt zu viel. Ein klarer Fall für Amnesty“, als die Alte ihr Wischwasser über ihn ausleert.

Und er schüttelt sich wie ein Rastadog.

Die Kippe von gestern hinter dem Ohr, schwankt er voran. Entlang an der Wand. Vorbei an den Dönern, der Shisha-Bar. Dann dreht er sich um und winkt nochmal.

Bevor er im Café Achteck* verschwindet.

 

*scherzhafte Bezeichnung für bestimmte öffentliche Pissoirs in Berlin

 

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