Von Hans-Günter Falter

„Wenn es einmal soweit sein sollte, dann melde ich mich bei dir!“

„Aber warum bleibst du nicht einfach bei mir?“

„Hab noch was vor mit meinem Leben und keine Zeit zum Warten!“

„Wir könnten gemeinsam ‚etwas vorhaben‘, wie wäre das?“

„Wird nicht funktionieren!“

„Wieso nicht? War doch bisher auch ganz okay.“

„Ganz okay ist mir zu wenig. Da muss schon noch mehr passieren.“

***

Immer, immer wieder. Immer, immer wieder. Ich schüttle mich, zapple mit dem ganzen Körper. Schweiß rinnt herunter. Fühlt sich angenehm an. Verdrehe den Kopf, bin in Trance, fühle mich von allem Ballast befreit. Mein Körper agiert ohne Rückmeldung zu meinem Kopf. Ich beobachte mich in flüchtigen Sequenzen selbst, wundere mich kurz und gebe mich wieder ganz hinein.

Die Umgebung sehe ich nur schemenhaft, ab und zu, wenn ich die Augen kurz öffne, nur halb, oder nur zu einem Zehntel, wie beim Yoga. Ich nehme nur einen kurzen Nebel wahr, versichere mich, dass ich nicht alleine bin, mit niemandem zusammenstoße. Aber das passiert nie, oder fast nie. Wie ein Fischschwarm, bei dem alle gleichzeitig die Richtung ändern. So bewegen wir uns.

Hier spüre ich Geborgenheit, Gemeinsamkeit. Ich kenne niemanden, oder fast niemanden. Schon wieder „fast“.

Schwarmintelligenz. Davon habe ich erst viel, viel später etwas gehört. Vielleicht ist es das. Genau das. Dieses Gefühl, auf der Tanzfläche, bei den Konzerten. Teil sein von etwas ganz, ganz Großem. Wichtiger Teil sein von etwas Unglaublichem. So tiefgehend. Gleichzeitig unfassbar.
Keiner von denen, die dabei waren, konnte sagen, was so besonders war.
Aber alle haben es erlebt! Oder fast alle. Fast! Jetzt ist es genug.
Die Erinnerung idealisiert. Das Positive bleibt. Der Kater danach. Oder das „Über-der-Kloschüssel-hängen“ – alles nebensächlich. Doch, das gab es auch. Ist aber unwichtig.
Die Verklärung bleibt. Rettet mich über den Alltag. Die Ausbildung. Die Probleme mit meinen versteinerten Eltern. Die Trennung von meiner zickigen, ersten Freundin, die mit meinem besten Freund abgezogen ist. Ja, da kommt auch wieder Wut auf. Nur kurz. Schon wieder vorbei.

***

„Ich werde mich nicht mehr bei dir melden. Werde auch nicht warten. Mache mich auf die Suche. Will an das anknüpfen, was ich damals gefühlt habe. Es ging alles so schnell und so viele Gefühle sind noch übrig, sind noch nicht ausgelebt. Ich habe noch viel zu viel in mir drin.“

„Du bist kindisch. Und du bist nicht mehr neunzehn. Werd mal langsam erwachsen.“

„Ich war neunzehn. Immer. Es hat sich nichts geändert. Mein Kopf und mein Körper müssen nicht zusammenpassen. Das habe ich verinnerlicht. Vielleicht ist mein Körper alt und nicht mehr so elastisch wie einst. Der Kopf geht jetzt eigene Wege, so wie damals mein Körper.“

„Ist das eine Art von Balance, in die du zurückfinden willst?“

***

Der Schwarm und seine Intelligenz gehen mir nicht aus dem Kopf. Was, wenn sich diese Intelligenz nutzen ließe?

Wieder und wieder erlebe ich das Zucken der Körper, das Verdrehen der Glieder. Bin nicht mehr auf der Tanzfläche. Schon lange nicht mehr. Seit vielen Jahren lege ich auf. Damit stehe ich auf einem anderen Level als die Menschen unter mir im flackernden Licht der Scheinwerfer. Ich kreiere neue Sounds. Jeden Tag aufs Neue. Niemals die gleichen. Nie wiederholen sie sich. Durch das Mixen von zwei Platten entsteht etwas Einmaliges. Nur in diesem Moment. Für die Ewigkeit. Und einen Moment später entsteht wieder etwas Neues. Es ist magisch und hat mich längst süchtig gemacht.
Ich experimentiere. Versuche meinen Schwarm da unten zu leiten, zu beeinflussen. In meine Richtung zu lenken.
Ich bin im Flow, der Sound stimmt, ich spüre die Trance kommen, sie zieht langsam in mir auf wie ein Lavastrom, der sich in Richtung Meer ergießt.
Ich sehe die Menschen, die sich wie meine Marionetten auf der Tanzfläche bewegen. Ich bin kurz davor nach ihren Seelen zu greifen. Nur noch ein kurzer Moment! Dann wird Großes möglich. Dann habe ich es geschafft!

 

 

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