Von Julia Schröder

Hatte rotes, gelocktes Haar, eine Haut so weiß wie Schnee, ein ehrliches  

Lachen auf dem Gesicht. Musik war mein Leben, ich summte so gerne Lieder vor mir her, obwohl ich nie die Texte auswendig konnte. Mit neunzehn bekam ich mein erstes Auto – einen VW Golf II in Weiß. ,,Er ist wie für dich gemacht“ sagte mein Vater mit einem lachenden und einem weinenden Auge. 

Die Schule war vorbei, das Studium begann, ich musste nun also von zu Hause fort, fort von meinem Vater und Bingo. Das war übrigens unser Hund, der faulste Hund der Welt.

Ich wusste, der Tag kommt, an dem ich meine Koffer packen und meinen Vater mit Bingo alleine lassen musste. 

Meine Mutter starb, als ich 16 war, viel zu früh. Wir hatten uns noch so Vieles zu sagen, wir waren wie beste Freundinnen und wollten immer aufeinander aufpassen. Ich spüre ihn noch heute, diesen Schmerz und diese Trauer, das Unverständnis, sie nicht heilen zu können und hilflos dar zu stehen. Sie war doch meine Mama, meine zweite Hälfte des Herzens. Ich liebte meine Mutter, bis ihr Herz aufhörte zu schlagen und weit über den Tod hinaus.

An dem Tag, an dem sie starb, sagte ich ihr, sie solle keine Angst um Papa und mich haben, wir werden zurechtkommen, wir hätten ja schließlich alles von ihr gelernt. Tränen flossen. Sie hielt meine Hand, hielt sie so fest sie noch konnte und flüsterte leise ,,Ich weiß mein Kind. Ich liebe dich, Mami ist stolz auf dich.“ und ich versprach ihr, eines Tages werde ich diese Krankheit heilen können.  Der Krebs, er kam so schnell darauf waren wir damals nicht vorbereitet, niemand von uns. Warum? Ich verstand es nicht, wie konnte in ein paar Wochen alles vorbei sein.

Ich habe dann mit neunzehn angefangen zu studieren, Medizin, so wie ich es ihr versprach. Meinen Vater allein zu lassen fiel mir so schwer, aber ich spendete ihm Trost und sagte ihm, es seien nur zwei Autostunden von zu Hause. 

Da war ich nun mit neunzehn, angekommen mit einem Auto voller Koffer vor dem Studentenheim. In der Hand hielt ich einen Zettel mit meiner Zimmernummer.

Wie der Zufall es so will, lautete die Nummer meines Zimmers Neunzehn. 

Wie witzig dachte ich mir und machte mich auf den weg.

Die Tür stand einen Spalt offen, ich war wohl nicht alleine dort.

Meine Zimmergenossin richtete sich schon ein, für meinen Geschmack jedoch zu sehr, als wäre es nur für sie bestimmt.

Wie soll ich sie beschreiben? Der erste Anblick ließ mich kurz innehalten.

Sie saß mit einer Zigarette am offenen Fenster, die Schuhe aufs Fensterbrett gestellt. Ich sagte ihr hallo, zurückkam aber nichts. Sie schnipste einfach ihre Zigarette aus dem Fenster, sprang auf den Boden, nahm sich ihren Rucksack und ging hinaus. Das fing ja gut an.

Mein Vater und ich telefonierten jeden Tag miteinander und er erzählte mir, dass Bingo sogar freiwillig mit ihm spazieren ging. Wir lachten, es war so schön seine Stimme zu hören. Eines Abends sagte meine 

Zimmergenossin ,,Hier ist Nachtruhe, geh einfach raus, wenn du schon so laut telefonieren musst.“ Ich verabschiedete mich von meinem Vater, hielt kurz inne, ging dann rüber und fragte sie ganz direkt was ihr Problem sei. Sie schaute mich an und zischte nur, ich solle sie in Ruhe lassen. 

Das erste Semester war vorüber, die Ferien standen vor der Tür. Als ich meine Sachen für die Heimreise packte, fragte ich Pria, so hieß sie im Übrigen, wo sie den Sommer verbringen will. Es war totenstill, ihre Augen wurden feucht. Sie sagte ,,Ich habe niemanden, zu dem ich gehen kann.“ Ich fragte mich, wie kann es sein, dass sie niemanden hatte, zu dem sie gehen konnte. Für mich stand fest, ich kann sie nicht alleine hierlassen, sie kommt mit mir mit. Und sie tat es.

Wir verbrachten zusammen den schönsten Sommer in diesem Jahr. Es war unglaublich toll, wir waren wie zwei Schwestern, nichts konnte uns trennen. Bingo schlief jede Nacht zwischen uns. Es gab eine besondere Stelle, an der wir beide wie Kinder sein konnten, mein altes Baumhaus. Manchmal saßen wir beide nur da und lachten. Pria sagte ,,Vicky, ich danke dir, dass du ein Auge auf mich hattest, obwohl ich nie nett zu dir war, aber es gibt da etwas was ich dir erzählen muss. Aber nicht heute, lass uns den Sonnenuntergang genießen. .ch erzähle es dir sobald die zeit gekommen ist.“ Nichts konnte uns aufhalten, Pria war sehr wissbegierig und unternehmungslustig. Sie wollte jeden Tag am liebsten alles auf einmal sehen. Man hätte denken können, sie ist das erste Mal in diesem Universum. Eines Abends, als wir zu Bett gingen, merkte ich, dass Pria nicht schlief und unentwegt aus dem Fenster schaute. Ich fragte sie, was sie bedrückt, das ich merke das sie etwas mit sich herumträgt, nur was? Sie sagte erneut ,,Vicky irgendwann kommt die Zeit, da erkläre ich dir alles“ 

Mein Vater blühte auf, er schloss Pria in der kurzen Zeit in sein Herz. Er sagte ihr, sie ist jederzeit willkommen, in seinem Herzen ist noch genügend Platz für eine zweite Tochter. Prias Augen glänzten, eine Träne lief ihr über die Wange. Sie wischte sie schnell weg, in der Hoffnung, wir würden es nicht sehen und lief nach Draußen, sie wollte allein sein.

Ich habe mir unendlich Sorgen gemacht, kein Zeichen von ihr.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Die Polizei hatte sie gefunden und bat uns mitzukommen. Nicht wissend, was uns erwartete, sind wir mitgefahren. Nach stundenlangem Warten teilte man uns mit, dass Pria keine gültige 

Aufenthaltsgenehmigung hat und sie ausgewiesen wird, zurück nach Indien

Ich flehte die Polizei an, mich zu ihr zu lassen, es gäbe sicher eine Erklärung dafür. Ich hatte zwei Stunden, mehr waren mir mit ihr nicht mehr vergönnt.

Ich fragte sie „Ist es das was dich die ganze Zeit bedrückte? Wie hast du es all die Jahre schaffen können?“ Pria antwortete „Als ich damals floh, gab es einen guten Freund, der mir einen deutschen Pass besorgte und etwas Bargeld gab, in einem Umschlag, in dem ein Zettel mit einer Adresse war. Die Adresse gehörte Ajana, einer alten Dame, welcher damals das gleiche Schicksal bevorstand. Dort solle ich mich melden, sie würde mich aufnehmen und mir helfen. Vicky bitte.“

 Ich konnte es nicht fassen, es musste doch einen Weg geben. Wie hat sie all die Jahre so unentdeckt leben können. Den ganzen Sommer verbrachten wir doch gemeinsam und ich wusste eigentlich nichts über ihr Leben. Sie flüsterte verzweifelt ,,Vicky, ich kann nicht zurück, bitte hilf mir.“ Pria war früh aus Indien geflohen, sie sollte einen Mann heiraten, den sie nicht kannte. Sie floh vor einem Leben, dass sie so nicht wollte. Das ist es, was sie mir in der kurzen Zeit erzählen konnte. 

Drei Wochen später war es nun so weit, Pria musste zurück in ihre Heimat, zurück nach Indien. Und wieder konnte ich nichts tun, musste einem geliebten Menschen Lebewohl sagen. Ich hörte danach nie wieder etwas von ihr. Doch die Hoffnung besteht bis heute.

Heute ist mein Dreißigster Geburtstag.

Ich dachte nach, sehr viel sogar, reiner Kopfmensch so schien es. Darum ging ich spazieren. Es dauerte nicht lange, bis ich mich für einen Moment in den Park auf die Bank setzte und mich fragte, warum? 19, 20, 21? Ok, die 18 stand fürs Erwachsen sein, aber ich konnte immer nur an die 19 denken. Natürlich, man war jung und das Leben begann damals zukunftsweisend für mich. Das genau jenes Jahr, in dem ich 19 war, das erinerrungsreichste und aufregendste Jahr für mich war, dass weiß ich heute noch ganz genau. Ich wurde Ärztin und kämpfte auch für das Recht der Frauen in Indien. Immer mit der Hoffnung, Pria irgendwann wieder zu sehen. Ich stand auf, zog mir den Rock zurecht und ging los, los in mein Leben was nun auf mich wartete. Ein 

Leben, dass in meinem Neunzehnten Lebensjahr begann. Und mir eine Geschichte fürs Leben mit auf den Weg gab.

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