Von Herbert Glaser

Martin saß am Küchentisch und stierte in die halbvolle Müslischale, die vor ihm stand. Anja kam herein, knallte die Tür zu, stellte sich auf die andere Seite des Tisches und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ich weiß alles!“

Durch zwei Augenschlitze, die sich weigerten, größer zu werden, blickte Martin zu seiner Frau auf. „Guten Morgen Schatz. Was weißt du?“

„Ich weiß alles. Du brauchst es gar nicht zu leugnen.“ In ihrem Gesicht waren alle Vorhänge zugezogen.

Martin fuhr sich über die unrasierte Wange und massierte seine Augen mit Daumen und Zeigefingern. „Keine Ahnung, wovon du sprichst. Meinst du den Männerabend gestern? Ich hatte dir doch davon erzählt. Tut mir leid, dass es ein bißchen später geworden ist.“

„Ach, hör doch auf!“, sagte sie mit einer Stimme, die eine solche arktische Kälte ausstrahlte, dass er sich fragte, weshalb sich auf den Fensterscheiben kein Frost bildete. „Es geht doch nicht um den blöden Männerabend.“

Er gab sich unschuldig wie ein frisch gebadetes Kind. „Ich kann dir beim besten Willen nicht folgen. Sag‘ mir einfach, was du meinst.“

Um das aufkommende Zittern ihrer Mundwinkel zu überspielen, zog Anja ihre Augenbrauen so stark zusammen, dass diese sich über der Nasenwurzel trafen. „Wenn du das nicht selbst erkennst, kann ich uns nicht mehr helfen.“

„Uns?“ Unzusammenhängende Gedanken knallten wie Billardkugeln an die Banden seiner Schädeldecke.

„Ja, uns! Ich war 19, als wir uns kennenlernten. Inzwischen sind wir seit über sechs Jahren verheiratet. Anscheinend ist etwas dran an diesem verflixten siebten Ehejahr. Wie lange willst du mir noch etwas vormachen?“ Sie sagte dies mit so viel Überzeugung, dass der Verdacht in ihm keimte, sie wüsste tatsächlich, wovon sie sprach.

Ihre Blicke fraßen sich kurz ineinander. Einer dieser Er glaubte, dass sie wusste, dass er … – Momente.

 „Schatz, ich … „

„Spar dir das!“ Ihre Worte klangen wie Eiswürfel, die in ein leeres Wasserglas fallen. „Hier …“ Sie zog einen Umschlag aus ihrer Jeanstasche und warf ihn vor Martin auf den Tisch.

Er gönnte sich einen kurzen Augenblick des Selbstmitleids und ließ zu, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. „Willst du etwa die Scheidung?“

Mit äußerster Beherrschung hielt Anja ihre Stimme auf arktischem Niveau. „Lies, dann wirst du schon sehen, wohin du uns gebracht hast.“

Resignierend drehte Martin das Kuvert in seiner Hand und gestand mit brüchiger Stimme „Ich wollte das doch nicht.“

Anja zog eine Grimasse. Lachen und Entsetzen kämpften um den verfügbaren Platz. „Was?“

„Es war auf einer Betriebsfeier. Ich hatte zuviel getrunken und wir sind uns näher gekommen. Glaub‘ mir, es hat nichts mit dir zu tun. Ich schwöre dir, dass sie mir nichts bedeutet. Es tut mir so leid. Bitte verlasse mich nicht.“

Anja starrte mit zitterndem Kinn auf den Umschlag in seiner Hand. Martin öffnete ihn und las die handgeschriebenen Worte:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Reingefallen!

Ich wünsche dir einen schönen ersten April, Schatz.

 

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