Von Anne Zeisig

„Das war sowas von geil, das kannst du dir nicht vorstellen.“

Vanessa wischte sich den blonden, viel zu langen, Haarpony aus den Augen und blickte ihre Freundin erwartungsvoll an, die Brauen hochgezogen. „Ich bin ausgeflippt. Es war toller, als ich dachte.“ Gluckste sie. „Man hört ja immer wieder son Scheiß von Schmerzen und so beim ersten Mal.“ Sie nahm ihren Kaugummi aus dem Mund und klebte ihn unter den Sitz der Parkbank. „Und ja, ‘Mutter Theresa’, wir haben ein Kondom benutzt!“ Sie deutete ein Salutieren an. Wendete ihren Kopf kurz ab und blinzelten in den wolkenverhangenen Himmel.

Annika, die zwei Jahre älter war, zupfte wie immer an einem Zipfel ihrer Strickjacke herum und säuselte kaum hörbar, dass das auch für sie ein cooles Erlebnis gewesen sei. Kaute auf ihrer trockenen rissigen Unterlippe herum.

„He!“ Vanessa klopfte ihr auf die Schulter und lachte laut. „Das wurde aber auch endlich Zeit, dass unser Mimöschen sich verliebt hat.“ Sie schlug schwungvoll die Beine übereinander. „Was so alles passiert in zwei Wochen Ferien!“

Sie blickten einander abschätzend an. „Und?“, fragte die Freundin, klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, welche ihr Annika sofort wegnahm, auf den Boden warf und sie mit den Schuhsohlen zerdrückte.

„Was und? Es ist passiert und basta.“

Vanessa knuffte sie in die Seite. „Wer ist der Typ!?“, fragte sie überlaut.

Nach einem merklichen Herumdrucksen antwortete Annika, dass es einer aus der ‘Dreizehn’ gewesen sei.

„Ey!“, kreischte Vanessa. „Wie geil ist das denn?“ Und knuffte Annika in die Seite. „Hat der Typ auch einen Namen?“

Annika erhob sich vom Sitz, stemmte sich hoch und setzte sich auf die Lehne, schlang die Strickweste eng um sich. „Ich war geil, der Vollmond schien hell und ich wollte es endlich wissen und da kam mir der Typ gerade recht, attraktiv und gepflegt, wie er halt war.“

Vanessa zog ihren Brauen nun fast bis zum Haaransatz hoch.

„Das hätte ich dir garnicht zugetraut, dachte immer, dass du so die romantisch kitschige Braut bist.“ Sie zeigte einen Daumen ihrer Hand hoch. „Und auf DEN Einen wartest, dem du dich hingibst.“

Annika schüttelte den Kopf und faltete ihre Hände in den Schoß, hangelte nach der Colaflasche, die auf der Bankfläche stand und nahm einen Schluck. „Du hast mich also falsch eingeschätzt.“ Sie zuckte mit ihren Schultern.

„Und er war genau der Richtige?“, bohrte Vanessa nach.

Die Freundin nickte. „Er hat seinen Zweck erfüllt.“

Vanessa holte aus ihrer Tasche ein Biermix- Getränk heraus und leerte es mit einem Zug.

Annika nahm ihr die Getränkedose aus der Hand, zerdrückte diese in ihrer Faust und blickte sie tief und nah an, strich ihrer Freundin mit der anderen Hand sanft über die vollen Wangen.

Warf die leere Getränkedose in den Abfalleimer, der neben der Parkbank stand.

 

Vanessa:

Der stylischeTyp war neu zugezogen im Dorf meiner Oma, wo ich die Ferien verbrachte. Hatte hier nur die Dorf- und Bauernbengels um mich herum gehabt. Nix gegen Landjugend, aber wenn ‘ne Disko in der Scheune bei Kartoffelsalat und Würstchen stattfindet, dann ist das einfach nix mehr für ‘ne Siebzehnjährige!

Als Kind bin ich ja immer gerne hier zur ‘Sommerfrische’, wie meine Eltern es nannten, gefahren. Wald, Wiesen, Blumen, Tiere, es war okay für mich.

Aber dieses Jahr war es die Dark-Hölle mit der Band von der freiwilligen Feuerwehr aus dem Nachbarort, auch wenn sie ihren Musikstil ‘Alpen-Rep-Pop’ nannten.

Und ja, ich schmiss mich ihm sofort an den Hals!

Er war für mich das Highlight in der Finsternis zwischen Stroh und selbstgemachter alkoholfreier Bowle aus selbstgepflückten Früchten.

Und er war ebenso unglücklich wie ich in dieser Einöde, weil seine Eltern die überteuerte Stadtwohnung aufgegeben hatten und gegen ein preiswertes Einsiedlerhäuschen in Vordorfmark eintauschten, hinter dem sie Biogemüse per Eigenversorgung anbauten.

„Dat Jemüse verkoofen se, damit se de Spritkosten wieda raushab’n.“

Ich umarmte ihn innig.

Schließlich musste ich hier nur vierzehn Tage mein Dasein fristen, aber er für immer und ewig ever, blickte in seine tiefblauen, abgrundtraurigen Augen hinein. Versank darin, ertrank in seinem sehnsüchtigen Blick. 

‘Oh manno’, dachte ich da auf der Wiese des Dorfangers, „wenn nicht er der Entjungferer sein sollte, wer dann?’

Denn die Typen auf der Schule und im Viertel würdigten mir, der dicken Annika keine Blicke, und so langsam war es an der Zeit, mit siebzehn nicht mehr mit Jungfernhäutchen durchs Leben zu gehen.

Auf dem Schulhof posaunten längst die ‘Zehn-Plus-Fünf-Bitches’ herum, was sie an Sex erlebt hatten!

Zu der Zeit waren Annika und ich best Girlfriends, nicht gerade das, was man ‘Sisters’ nennt, aber Annika zog mich magisch an, weil sie so eine ‘Rühr-Mich-Nicht-An-Madame’ war, zwei Jahre älter als ich, irgendwie der Welt entrückt, voll die verklärte Tusse mit ihrem Gelabere von ‘Großer-Liebe-Und-So’.

Neunzehn bereits und es störte sie nicht die Bohne, noch nie mit einem Kerl im Bett gewesen zu sein.

* * *

Ich hatte hohe Erwartungen an meine Empfindung, als er schwer auf mir liegend keuchte, meine Brüste befingerte, durchknetete, was  weh tat, und mir ins Ohr hauchte: „Hmmmmm.“

Kurz einen Kuss auf meine Lippen nippte, die ich vorher rot angemalt hatte.

Fühlte keinen Schmerz, als er mein Häutchen durchdrang.

Ich hatte es nichtmal bemerkt!

Der hat sich da zwar zwischen meinen gespreizten Beinen auf und ab bewegt, gab animalische Laute von sich, wie son Hirsch auf der Brunft hier im Wald, aber in Wirklichkeit pickste mich das Gras am Hintern. Und ich fand den Vollmond faszinierend endgeil, als er sich mit einem lauten ‘Ahhhh’ von mir hinunterrollte, schnell aufstand und seine Jeans hochzog.

„War effekt mit dir“, hörte ich sein Stapfen im Gras, als er ging. Und von weiter her sein Jubeln: „Die Dorfmädels sind effektgeilunklompi!“

Aber ich war eine aus der Stadt…

Und der Mond romatisch sein volles Licht auf die Wiese lenkte zu meinen nackten Schenkeln.

„Scheiße!“, schrie ich. „Wir haben das Kondom vergessen!“

Aber hier an der Bushaltestelle, wo der Bus nur morgens und nachmittags einmal hält, gab es ja auch keinen Automaten, wo man einen hätte ziehen können. Aber es gab einen Bierautomaten an dem alten Postgebäude.

‘Wenigstens kann ich Annika erzählen, wie toll das Entjungfern ist, wenn ich wieder Zuhause bin’, dachte ich, als ich in den Dorfbach kotzte und das Ende der Sommerferien herbei sehnte.

 

Annika:

Selbstverständlich bin ich immer noch Jungfrau mit Neunzehn!

Ich hatte Vanessa angelogen weil …

Sie hat doch so eine tolle ‘Erste’ Erfahrung gemacht.

Da wollte ich doch nicht Hintanstehen!

Ich, die zwei Jahre ältere.

Die immer noch auf den ‘Richtigen’ wartet …

* * *

Und nun sitzen wir Mädels in den Herbstferien beim herabfallenden Laub auf ‘unserer’ Parkbank.

„Wenn ich auf dich gehört hätte, dann wäre ich nicht schwanger“, jault Vanessa, „hast mir immer das mit den Kondomen gepredigt.“

„Jau. Ich, die ‘Mutter Theresa’.“, flüstere ich.

Wir umarmen uns lachend und weinend zugleich.

 

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