Von Angelika Brox

»Sei willkommen, verehrte Hathor.«
Ngai rückt ein wenig zur Seite, um ihr Platz auf dem Mammutfell zu machen.
Hathor setzt sich neben ihn. »Besten Dank für die Einladung, mein Lieber.«
Sie lässt den Blick über die Spitzen und Kegel des Tibesti-Gebirges schweifen. »Ich hoffe, dass nicht ausgerechnet heute ein Vulkan ausbricht.«
Ngai lacht. »Keine Sorge, für die nächsten hundert Jahre ist nichts Derartiges geplant. Du kannst also in Ruhe die Aussicht genießen. Ich bin gespannt, ob dir meine Neuerungen auffallen.« Er weiß, dass sie Rätsel liebt.
Interessiert nimmt sie das Flachland in Augenschein. Im Norden erstreckt sich die Wüste, wie immer; dort kann sie keine Veränderungen entdecken. Im Süden liegt die Savanne. Eine Herde Waldelefanten wandert zwischen Sträuchern und Gräsern zu einem großen See. In der Ferne beginnt der Regenwald.
»Der Wald war bei meinem letzten Besuch viel näher«, stellt Hathor fest.
»Gut beobachtet!«, lobt Ngai. »Zum Rand hin habe ich die Bäume ausgedünnt.«
»Warum?«
»Nur Geduld, bald wirst du es verstehen.«
»Der See war früher eher ein Wasserloch«, bemerkt Hathor. »Hast du es mehr regnen lassen?«
»Genau. Es gibt jetzt längere Regenzeiten. Doch das Beste kommt noch.«
Er reibt sich die Hände und kann es kaum erwarten, seiner Freundin die Sensation vorzuführen.
Im Schatten einiger Schirmakazien lagern zwei Affen, auf die Hathor nun deutet.
»Die beiden haben sich ziemlich weit aus dem Wald herausgetraut«, meint sie.
Ngai schmunzelt. Gleich passiert es!
In diesem Moment erheben sich die Affen und machen sich auf in Richtung See. Ihr Gang ist leicht schwankend, aber …
Hathor springt auf. »Die laufen ja nur auf ihren Hinterbeinen!«
Ngais Augen blitzen. »War das nicht eine gute Idee?«, ruft er. »Weil am Waldrand der Abstand zwischen den Bäumen größer geworden ist, können sie sich dort nicht mehr kletternd fortbewegen. So haben sie den zweibeinigen Gang gelernt.«
»Warum hast du das gemacht?«
Offensichtlich teilt sie seine Begeisterung nicht. Ngai ist enttäuscht.
»Mir war langweilig«, erklärt er. »Ich wollte der Evolution einen kleinen Anschub geben und schauen, wie die Affen sich entwickeln.«
»Das wird kein gutes Ende nehmen. Wenn sie erst mal auf zwei Beinen gehen, werden sie sich bald rettungslos verlaufen.«
»Ach, lass mir doch den Spaß«, sagt Ngai. »Falls sie wirklich in eine Sackgasse rennen, wird mir schon rechtzeitig etwas einfallen.«
»Hoffentlich.« Wider Willen muss Hathor lächeln. »Putzig sind sie ja, diese Zweibeiner.«

 

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