Von Clara Sinn

Die Wasserfarbe auf dem Bild war endlich so verlaufen, wie sie es haben wollte.

Aber dass ihre Mutter, kreisch, es gut fand! Früher war ja ihre Auffassung von der Mutter schlicht das hauptsächliche Objekt, woran sie sich so end- wie frucht-, sinn-, zweck- und aussichtslos abarbeitete.

Seit einiger Zeit aber bröckelte der Hass-Zement, sie war weitergediehen, wie Lebendiges mit vergehender Zeit einfach von selbst immerfort wächst und sich zu seinem Höheren hin entwickelt, war unwillkürlich diese andere geworden, hassgeheilt. 

Sie konnte diese alte Frau, die ein Bild von ihr auf einmal gut fand, von der Mutter ihrer Kindheit unterscheiden.

Und sich selbst von der Tochter. Dieser Mutter. Damals.

Das lag nicht daran, dass die Mutter früher ihr Gemaltes ausschließlich abwertete.

Wie kann man bloß eine Hose mit gelbem Zickzackmuster malen!?

Die ihr Gemaltes ausradierte. Mal die ihr zu hoch aufgetürmte Haarfrisur. Und selbst glatte, lange Haare in ihr Heft malte. Mal den von ihr gestalteten Apfel. Rausriss und einen von ihr gemalt- und ausgeschnittenen hineinklebte. Übrigens gerne auch mal ihren höchst eigenen rausriss. Neu machte und dann wieder. Reinklebte. Stattdessen.

Die Muttertagsgeschenke selbst nähte.

Akkurat, ordentlich, perfekt. Nicht so, wie beanstandungswürdige Kinderhand es fertigbrachte. Ob es ein Papierkörbchen war im Kindergarten oder ein aus Stoff gefertigtes, um per Laubsäge herausgearbeitete Henkel genäht, in der Schule.

Wie sie zur Einschulung auch nur ein großes Buch aus dem Wohnzimmer einpackte. Mit dem Versprechen eines echten Geschenks später. Das nie erfolgte. 

Das hatte sie sich selbst ermöglicht, sich von dem Opferkind von damals unterscheiden zu können. Immer besser.

Man konnte über diese Mutter sagen, was man wollte, aber sie hatte ein sich prächtig entfaltendes Wesen in diese Welt gesetzt. In der alles stets in bester Ordnung war.

Nicht von vorn herein auch schon vollendet. Aber aufs Beste geordnet. Immerdar.

Und sie warf einen langen Blick zurück auf sich. Als sie noch in Gottes „Worschtkessel“ daherschwamm. Als schon die Oma … diese tolle Mama zur Welt gebracht hatte.

Und sie weitete ihre Sicht zu einer alles überblickenden Zusammenschau, die von den unerahntesten Anfängen herüberreichte bis zu der malenden Frau, die sich in ihrer Haut frei und so wie es sein sollte fühlte und sich, plötzlich ergriffen, in knappen Worten bei einem vorausschauenden Gott bedankte:

Ohne sie stünde ich heute nicht

hier.

 

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