Von Monika Heil

Ja, er war meine große Liebe. Die einzige bisher. Lydia, meine Ärztin, hatte uns zusammengebracht. Benno und mich. Mein unentbehrlicher Therapeut und Menschenversteher. Es war Liebe auf den ersten Blick. Seither waren wir keinen Tag getrennt. 

 

Bis heute.

Benno verstand mich, auch wenn ich meine Befindlichkeiten nicht in Worte fassen konnte. Ich weiß, er liebt mich ebenso bedingungslos und mit ganzem Herzen wie ich ihn. Und das, obwohl ich an einen Rollstuhl gefesselt und dadurch nicht sehr beweglich bin. Dennoch, jeden Tag – oder fast jeden – waren wir an der frischen Luft. Er begleitete mich auf unseren Ausflügen, ob in den nahen Wald, den wir beide so schätzten, oder in unser kleines Dorf zum Einkaufen.

Beide hatten wir ein Faible für die Stille der Natur, lauschten dem feinen Wind in den Bäumen, hörten dem Gezwitscher der Vögel zu oder genossen die Sonnenstrahlen, die durch die lichten Buchenblätter fielen.

Bei unseren Einkäufen im Dorfladen oder beim Bäcker kannte uns natürlich fast jeder. Die Menschen, denen wir begegneten, grüßten lächelnd und wohlwollend oder ließen sich auf einen kleinen Schwatz mit uns ein.

 

Bis heute.

Jahre lang verbrachten wir Tag und Nacht miteinander. Wir teilten, was mir guttat. Wir hassten, was mich belastete. Von meiner Mutter habe ich die Liebe zu Büchern geerbt. Stundenlang kann ich lesend in meinem Rollstuhl verbringen. Benno zog sich dann gern zu einem Schläfchen zurück, blieb aber stets in meiner Nähe. Von meinem Vater hatte ich die Neigung zum Relaxen und Fernsehen übernommen. So kuschelten Benno und ich meist abends auf der bequemen Couch vor der Glotze, schauten gemeinsam Nachrichten, Krimis oder Dokumentationen.

Mein Vater und meine Mutter waren berufstätig. Sie konnten sich nicht so ausgiebig um mich kümmern, wie sie es sich wünschten und wie es notwendig wäre. Früher war das oft ein Problem. Als eines Tages Benno in mein Leben trat und ich mich in ihn verliebte, wurde alles leichter. Wie selbstverständlich übernahm er es, mich, die ich im Rollstuhl saß, therapeutisch zu unterstützen. Es war – wie ich lange Zeit glaubte, zufällig – sein Beruf. Lydia sei Dank.

 

Bis heute.

Lydia erkannte seine schwere Krankheit viel schneller als ich. War ich vor Liebe blind gewesen? Benno magerte erschreckend schnell ab, wurde unbeweglich und zog sich immer mehr in sich zurück. Mein Vater brachte ihn zum Arzt. Er wusste nicht, dass ich sein Telefonat mit Lydia im Nebenzimmer hörte. Ich war am Boden zerstört. Benno, meine große Liebe, mein Ein und Alles, würde mich in Kürze verlassen.

Für immer.

Ich habe es durchgesetzt, dass ich dabei sein darf, wenn Benno die Augen schließt. Deshalb sitze ich jetzt hier in meinem Rollstuhl neben der weichen höhlenähnlichen Polsterauflage, halte seine Pfoten mit beiden Händen umklammert, während die Tierärztin die Spritze setzt, die meinen Benno von seinem Leiden erlöst. Ein letztes Mal streichele ich über sein weiches Fell.

 

Lydia wartet draußen auf uns beide. Wir fahren hinaus auf den kleinen Hundefriedhof am Dorfausgang, verabschieden uns gemeinsam von ihm.

Für immer.

 

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