Von Miklos Muhi

 

Michael schaute oft auf sein Handy, aber das Gerät hatte nichts Neues zu melden. Sie vereinbarten, dass er Gertrud nur dann anrufen würde, wenn sie ihm ein leeres SMS schickte. Dass sie sich tagelang nicht meldete, kam öfters vor. Sie war verheiratet.

Ihr Mann, Albert, war ein Provinzmacho, mit dem Gehabe eines Sklavenhalters aus dem vorherigen Jahrhundert. Alles, was die Ehe anfangs zusammenhielt, war in einigen Jahren im Sumpf der täglichen Sticheleien und Streitereien untergegangen. Eine Ehescheidung kam für sie aber nicht infrage.

Kennengelernt haben sich Michael und Gertrud auf einer Fachtagung. Es funkte, oder, besser gesagt, es blitze sofort.

Albert vernahm zu spät, dass es in seiner Ehe kriselte.

Es kam nie zu einer Konfrontation zwischen den beiden Männern. Michael war konfliktscheu, aber nicht feige. Für Gertrud hätte er sich auf jede Prügelei der Welt eingelassen. Alberts Wut manifestierte sich ihr gegenüber und nur verbal. Eine direkte Begegnung mit seinem Konkurrenten scheute und fürchtete er.

Michael versuchte sie bei jeder ihren seltenen Treffen zu überzeugen, sich endlich zu entscheiden. Alles vergeblich. Ihre Leidenschaft füreinander wischte solche Diskussionen beiseite, wie eine Mure ein liegengebliebenes Auto.

Michael setzte das Warten zu. Er erfand vieles, um sich abzulenken.

Im Büro gab es genug Ablenkung. Seine Arbeit erforderte volle Konzentration und einen regen Austausch mit den Kollegen.

Neuerdings kaufte er sich regelmäßig die lokale Tageszeitung beim Kiosk vor dem Büro. Die Belanglosigkeiten, die dicht gedrängt die Papierbögen füllten, beschäftigten sein Gehirn.

*

Diesmal gab es sogar etwas Spannendes zu lesen. Man berichtete über eine Schießerei mit einem Schrotgewehr in der Museumsstraße. Nach der ersten Welle der Neugier wurde es ihm mulmig. Sobald er im vierten Absatz die Spekulationen des Verfassers über eine Familientragödie las, wurde ihm regelrecht übel.

Gertrud wohnte in jener Straße. Albert besaß legal ein Jagdgewehr. Michael zweifelte von Anfang an an seiner Eignung. Die zuständigen Kollegen sahen das anderes.

Nach einer Nacht verbracht mit düsteren Gedanken und unzureichendem Schlaf fuhr Michael in sein Büro bei der Rechtsabteilung der Polizei. Seine Ablage voller Ordner ignorierte er zuerst. Die ganzen Regressansprüche, Klagen und der sonstige Schwachsinn hatten Zeit.

Da er wegen seiner täglichen Arbeit Zugriff auf laufenden Verfahren hatte, war es ihm ein Leichtes, unter den Berichten zu den Tötungsfällen mit Schusswaffen zu suchen. Bald fand er, was er befürchtet hatte.

*

Unter großen Anstrengungen erledigte er ab dem Tag sein tägliches Arbeitspensum. Hin und wieder schaute er in die Akten und verfolgte den Lauf der Aufklärung.

Alberts Familie heuerte einen Staranwalt an. Das beunruhigte Michael. Formfehler passierten immer wieder und solche Rechtsverdreher setzten nicht selten lächerlich kurze Haftstrafen durch. Dann kamen die Anträge auf Bewährung und man war schnell draußen.

Sobald der erste Gerichtstermin feststand, nahm Michael Urlaub. Er verkaufte alles und kündigte seine Wohnung. Das Geld reichte locker, um ins beste Hotel der Stadt zu ziehen und für Sachen, die genehmigungspflichtig wären, eine lange Prozedur, wofür ihm keine Zeit mehr blieb.

*

Am ersten Verhandlungstag kurz nach dem geplanten Prozessauftakt nahm Michael auf einer Bank auf dem Ufer des Mühlbachs hinter dem Amtsgericht Platz. Das Publikum verkehrte durch den Haupteingang. Kaum einer, der sich nicht damit auskannte, hatte eine Ahnung, wo die Angeklagten der Strafprozesse, die in Untersuchungshaft saßen, ein- und ausgingen.

Ein Transporter war vor der unscheinbaren Tür geparkt. Darin saß ein uniformierter Beamte und langweilte sich.

Michael wartete. Sich zu langweilen stand nicht auf seiner Liste, genau so, wie an dem Tag keine anderen Strafsachen auf deren des Gerichts.

Sobald die Tür aufging, stand er auf und eilte mit der rechten Hand in seiner Jackentasche Richtung Tür. Der Beamte, der aus dem Transporter stieg, beachtete ihn nicht. Die zwei anderen, die Albert begleiteten, waren mit dem Häftling beschäftigt.

Bis zum Auto waren es sechs Schritte. Nach vier blieb Albert wie angewurzelt stehen.

»Scheiße! Bitte, tun Sie doch etwas!«, schrie er und versuchte Richtung Michael zu zeigen. In Handschellen war das umständlich.

Bevor für die Uniformierten verstanden hatten, was Albert meinte, knallte es. Er sackte mit einem roten Punkt auf der linken Schläfe zusammen. Hinter ihm wurde der Transporter mit einem Spritzer rot mit grauen, rosa und weißen Fetzen verunstaltet.

Die Beamten griffen nach ihren Dienstwaffen.

Der zweite Knall ließ sie innehalten. Michaels Blut malte einen sich ausbreitenden roten Ovalen auf den Bürgersteig.

 

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