Von Marianne Apfelstedt

Ich las das Display ab und ein Lächeln zog sich über mein Gesicht. Das Ergebnis war eindeutig. Doch ich musste dieses Geheimnis noch für mich behalten, auch wenn es schwerfiel.

Ein roter Stern kündigte einige Tage später eine neue Mitteilung mit hoher Priorität auf der Kommunikationseinheit an. Endlich. Die lang ersehnte Nachricht.
„Hey KI zeige mir Rezepte aus der Sparte Retro. Welche Auswahl ist mit den vorhandenen Nahrungsmitteln möglich?“, fragte ich unsere Versorgungseinheit. Ich wählte ein Kochrezept aus, füllte alles Benötigte in die multifunktionale Küchenmaschine und tippte auf Start. Ein Blick auf das Chronometer zeigte, die Zeit reichte noch für eine ausgiebige Dusche.
Das heiße Wasser prasselte auf mich und entspannte meine Muskeln. Beim Einseifen verweilten meine Hände kurz auf dem Bauch, bevor ich den nach Sandelholz duftenden Schaum weiter verteilte. In ein Handtuch gewickelt betrat ich die Ruheeinheit. Rasch sprühte ich meinen Lieblingsduft Artemis auf Haare, Brüste und die Handgelenke und schlüpfte in ein Kleid, das meine Rundungen verführerisch betonte.
Ich holte eine Flasche Weißwein aus dem Tresor, zur Feier eines ganz besonderen Augenblicks und schenkte zwei Gläser ein. Ein Summen der Überwachungs-KI kündigte einen Bewohner an. Die Türe öffnete sich und ich lief Keno mit den Weingläsern und kokettem Hüftschwung entgegen.
„Das ist eine überaus willkommene Begrüßung nach einem langen Arbeitstag.“ Er nahm mir ein Glas ab und küsste mich auf die Lippen.
„Was riecht hier so verlockend?“ Keno schnupperte.
„Kartoffelsuppe nach Rezept des Hauses und der Nachtisch.“ Ich zwinkerte ihm zu. „Mach es dir doch gemütlich, ich bringe unser Essen. Es gibt wichtige Neuigkeiten.“ Die Suppe dampfte in den Schalen, als ich mich zu Keno setzte. Wir prosteten uns zu.
„Heute ist die Nachricht vom Gremium für die Reproduktion eingetroffen. Lass sie uns nach dem Essen gemeinsam lesen. Auf unsere Zukunft!“
„Auf unsere Zukunft!“ Wir tranken vom Weißwein und löffelten dann unsere Suppe aus. Keno schleckte den letzten Rest aus der Suppenschüssel und lächelte mich an.
„Diese Suppe schmeckt sehr lecker“, lobte er. Ich kuschelte mich an ihn, als er befahl: „Hey KI, öffne die Nachricht vom Gremium.“

Ihr Antrag, vom 20.01.2187, zur Reproduktion wird hiermit bewilligt.
In diesem Jahr wird eine Reproduktion von 117 Leben im Bereich Eurasien gestattet.
Die Überwachung und Geburt des neuen Erdenbürgers wird im Quadranten 13/5 erfolgen.
Bitte finden sie sich spätestens bis zur SSW 35 dort ein.
Falls Sie sich nicht bis zum 01.09.2087 gemeldet haben, ist diese Bewilligung hinfällig.
Viel Erfolg.
Ihr Gremium für die Reproduktion in Eurasien.

Keno schaltete die KI auf Ruhemodus.
„Jetzt haben wir die Genehmigung.“ Er strahlte mich an und diese unwiderstehlichen Grübchen erschienen.
„Wie wäre es mit Nachtisch?“, fragte ich unschuldig.
„Mir steht der Sinn jetzt gar nicht mehr nach Essen. Ich würde lieber dich anknabbern.“ Er zog mich auf seinen Schoß und seine Lippen wanderten an meinem Hals entlang. Gerne ließ ich ihn gewähren, spürte ich doch sein Erwachen. Meine Brüste drückten sich an seinen muskulösen Oberkörper und meine Lust loderte auf. Erhitzt entzog ich mich seinen Küssen, ich stand auf und nahm seine Hand. Er folgte mir in die Mitte des Raumes. Unsere Lippen fanden sich und seine Hände nestelten an meinem Reißverschluss, während ich seine Haut unter dem Hemd erkundete.
„Dieses Kleid ist wunderschön, aber wenn du es nicht sofort ausziehst, zerreiße ich es.“
Ich biss ihn sanft in sein Ohrläppchen. Strafe musste sein. „Du musst erst die zwei Knöpfe oben öffnen, dann geht es leichter.“ Das Kleid rutschte nach unten und ließ nackte Haut zurück. Keno kostete diesen Augenblick aus, ich stand still und genoss es, wie seine begehrlichen Blicke über meinen Körper strichen. Ich wollte ihn und zog ihn näher an mich. Mit flinken Fingern knöpfte ich sein Hemd auf, liebkoste eine Brustwarze und dann die andere. Er stöhnte und streifte sich die Hose, samt Boxershorts über die Hüften.
Auf dem weichen Teppich liebten wir uns wie viele Male zuvor und trotzdem empfand ich sein Eindringen lustvoller. Eng aneinander gekuschelt, ließ unser Erbeben nach. Ich fuhr sanft mit den Fingerkuppen über die ersten Falten auf seiner Stirn, die gerade Nase und seine vollen Lippen. Er öffnete die Augen und küsste die Finger meiner Hand.
„Ich liebe jeden einzelnen Finger an dir. Nach dem Sex bis du besonders schön, dann schimmern deine Augen wie Smaragde in der Sonne.“
„Danke.“ Ich hauchte einen Kuss auf seine Schulter. „Was würdest du sagen, wenn wir uns bereits reproduziert hätten?“
„Bist du dir sicher?“
„Der Test vor einigen Tagen war eindeutig.“
„Wow! Ich werde Vater.“ Er küsste zuerst meine Lippen und dann bedeckte er meinen Bauch mit vielen Küssen. „Müssen wir jetzt vorsichtiger sein?“ Besorgt sah er mich an.
„Unser Baby ist winzig. Es spürt dich nicht, aber es fühlt, wenn wir glücklich sind.“ Er zog mich an sich und küsste mich zärtlich.
„Ich gehe kurz unter die Dusche. Du musst mir alles über unser Baby erzählen.“
Ich wickelte mein Haar mit einem bunten Tuch zu einem Turban und sammelte die herumliegenden Kleidungsstücke ein, um sie mit in den Ruheraum zu nehmen.
Wir kuschelten uns im Bett aneinander und malten uns die Zukunft zu dritt in den buntesten Farben aus.

***

Ich nehme das bunte Tuch und streiche ihr den Schweiß von der Stirn. Die Zeit ist ein Tunnel, an dessen Ende meine geliebte Frau ist. Ihr feuchtes Haar ringelt sich. Die Sommersprossen auf der Nase verlieren sich unter ihren katzengrünen Augen, die jetzt von Fältchen umringt sind. Die nächste Wehe lässt sie die Augen zusammenkneifen. Sie mobilisiert all ihre Kräfte, ich stütze ihren Rücken und spüre, wie ihre Muskeln zu Drahtseilen werden. Meine zierliche Frau, Novalee entwickelt Bärenkräfte.
„Pressen, dass Köpfchen kommt“, verkündet die Hebamme. Seit wie vielen hundert Jahren hat dieser Satz Frauen angefeuert, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren?
Das Köpfchen ist geboren und kurz darauf das ganze Kind. Ich sehe ein kleines Wesen, das strampelt und schreit und ich weiß, es will leben. Eine Welle von Stolz flutet mich an, doch ich muss der Liebe meines Lebens beistehen.
„Du kannst dich einen Moment ausruhen, ich halte dich.“ Zärtlich streiche ich ihr Haar aus dem Gesicht.
„Ich spüre das Zweite. Es will nach draußen.“
Die Hebamme ist zurück und gemeinsam unterstützen wir Novalee. Unsere Nummer zwei lässt auf sich warten. Nach jeder Wehe sackt Novalee zusammen, ihrer Kraft beraubt.
„Trink. Das wird dich stärken, du brauchst jedes bisschen deiner Kraft.“ Ich halte ihr den Becher und sie trinkt ihn aus. Wehe um Wehe brandet über Novalee, in den immer kürzeren Pausen kommt sie kaum zu Atem. Endlich schaut das Köpfchen heraus und bald ist unser zweites Kind geboren. Ich umarme sie und will sie niemals mehr loslassen.
„Du hast es geschafft, ich liebe dich so sehr.“ Gierig trinkt sie aus der Wasserflasche, die ich ihr reiche. Dann lässt sie sich erschöpft in meine Arme sinken. Ihr Duft und die vertraute Wärme ihres Körpers an meiner Brust spinnen einen Kokon, den die Hebamme mit ihren Worten zerreißt.
„Beide Mädchen sind gesund. In einer Stunde komme ich zurück, bis dahin müssen Sie entscheiden, welches Kind Sie behalten werden. Das andere übergeben Sie mir für die Rückführung.“ Sie legt jedem ein Kind in die Arme. Zwei Paar Babyaugen sehen uns wach an. Ich helfe Novalee jedes Mädchen an eine Brustwarze anzulegen. Beide trinken und sie sieht mit entspanntem Lächeln zu mir. Dieses glückliche Bild will ich für immer konservieren. Ich sauge diese kostbaren Minuten ein, wie meine Töchter die Muttermilch. „Sind sie nicht wunderschön? Welche Namen sollen sie bekommen?“, frage ich leise, um die friedliche Stimmung zu erhalten.
„Wir nennen sie Nova und Lee.“
„Dann bewahren sie beide etwas von dir.“ Krampfhaft versuche ich, mein Lächeln beizubehalten und sehe in ihren Augen, dass es mir misslingt. Ich schlucke und bemühe mich noch mehr. In ihrem Blick liegt so viel Liebe.
„Wir haben alles besprochen. Schau, Nova ist schon eingeschlafen. Willst du sie nehmen?“ Sie reicht mir unsere winzige Tochter und ich bemerke fasziniert, wie sie im Schlaf ihr Näschen kräuselt, genauso wie ich es bei Novalee so oft gesehen habe. Auch Lee schläft. Langsam rutscht ihr die Brustwarze aus dem Mundwinkel und ihre Fäustchen öffnen sich entspannt. Ein Blick auf mein Handgelenk holt mich schlagartig ins hier und jetzt zurück.
„Uns bleiben noch 13 Minuten bis zur Rückkehr der Hebamme.“
„Dann sollten wir die Zeit nutzen.“
Ich hole eine Kapsel aus der Hosentasche, Novalee rutscht mit Lee auf dem Bauch zur Seite, ich decke die beiden zu und lege mich mit Nova ebenfalls auf das Bett. Ich küsse meine Geliebte, dann gebe ich ihr die Kapsel. Sie nimmt sie und schluckt sie mit dem letzten Rest Wasser aus der Flasche hinunter. Sie küsst zuerst mich, dann Nova und zuletzt Lee.
„Ein Leben für ein Leben“ sind ihre letzten Worte, bevor ich zusehe, wie sie die Augen für immer schließt. Ein Teil meines Herzens wandelt sich zu Stein, wird so kalt, wie der geliebte Körper neben mir bald sein wird. Tränen rinnen meine Wangen hinab, ein Schluchzen kämpft sich aus meiner Kehle. Hart schlucke ich meinen Schmerz, verliere mich in ihm. Irgendwann bemerke ich die winzige Hand, die meinen Daumen kraftvoll umschließt. Mein Blick wandert von der Toten zum Leben. Eine Aufgabe wartet auf mich, es gilt, ein Versprechen einzuhalten. Ich verschließe meinen Kummer im hintersten Winkel. Der lebendige Herzschlag von Lee, tröstet mich ein wenig über den Verlust des Herzens, das jetzt für immer schweigt.

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