Von Clara Sinn
Ich bin
Lehrerin, ledig, liebe Literatur. Eine normale Frau.
Zwischen Aufstehen, Job, Kochen, Essen, Abendnachrichten. Ein durchschnittliches
Leben.
An diesem Tag habe ich erfahren, dass es mein letzter
ist.
Mir fällt ein, mit 13 hatte ich mir mal gewünscht, es mitgeteilt zu bekommen, wann der Tag meines Todes sein würde. Und der ist tatsächlich
heute.
Sie können mich für so verrückt halten, wie sie wollen, aber jetzt weiß ich es.
Alles auf dieser Welt ist erlaucht: Es darf da sein. Und ich werde verschwunden
sein.
Ich stehe an der Haltestelle, der 65er biegt um die Ecke. Der gute Bus! Wie oft hat er es mir abgenommen, mich durch drei Stadtteile zu quälen im morgendlichen Stau. Wie angenehm! Ich finde einen freien Platz im beheizten, bequemen Gefährt.
Es geht hoch her, es wuselt, es kreischt, lacht, balgt sich und rempelt mich an. Diese unkontrollierte Meute bewehrt mit schweren Rucksäcken, bunten Sportbeuteln, Handys und Nintendos strotzt nur so vor Energie! Überschüssige!
Wir fahren vorbei an der Kleingartensiedlung. Habe ich diese lange Reihe perfekter grünender Bäume je gesehen? Vorher?
Etwas links gleich hinter dem Schulzaun ein Ginkgobaum. Ein Ginkgo! Ich hatte seit meinem allerersten Tag bereits vor, eine Geschichte zu schreiben über diese für mich so faszinierenden Blätter. Ich hatte damals eins mit nach Hause genommen. Und vertrocknen lassen. Auf dem Fensterbrett. Neben dem Schreibtisch.
Ich habe das Bedürfnis, einzelne Blätter streichelnd zu betasten, meinem berührten Staunen seinen Raum zu gewähren. Bevor ich mich in meinen Klassenraum begebe. Wie treu sie doch sind! Fast alle schon da.
Wie selbstverständlich.
Was es nicht ist.
Das sinnlose korrekte Bestimmen der einzelnen Wortarten ist vollkommen unsinnlos, verglichen damit, sie nicht mehr bestimmen zu dürfen.
Wenn sie wüssten!
Der Pausengong. Ein eigentlich schöner, satter, sonorer Ton. Habe ich das je so wahrnehmen können?
Ich haste ins obere Stockwerk, meine Tasche und die schwere Europakarte in der Hand. Ich spüre meinen Leib! Meine begabten Füße, meine begnadeten Muskeln in beiden Beinen. Meine Fähigkeit zu greifen, Gewichte gekonnt zu balancieren, auch wenn gerade alles droht, sich selbstständig zu machen, mir fast aus der Hand zu gleiten, da werde ich umgerannt, zwei in wildem Wettlauf um eine metallicblaue Wasserflasche. Ich stoße mit dem Kopf auf die Treppenkante. Ich weiß nur noch, ich habe einen Tag erlebt volle-