Von Florian Erhardt

Weil ich dich liebe

 

„Nach Belgrad, Jan?“ Katja sieht mich entgeistert an.

Ich zucke die Schultern. „Ja mei…“

„Ernsthaft?“ Ihre Augen blitzen.

„Bissle Tapetenwechsel, weißt du?“, versuche ich zu beschwichtigen.

„Tapetenwechsel, ja? Als ob es dir um die Tapete geht! Du schaust dir doch eh nur den Rasen an!“

„Ne…“, probiere ich, „wir übernachten und schauen uns auch die Stadt an…soll schön sein.“

„Am Nachmittag vor dem Spiel drei Liter Bier in irgendeiner abgefuckten Bar saufen und dann auf den Bürgersteig kotzen ist nicht die Stadt anschauen, Jan!“, gibt Katja schnippisch zurück. „Und warum hast du mich eigentlich nicht gefragt, ob ich mitkommen will, hmm?“

„Weil du keinen Urlaub hast und so schnell auch keinen mehr bekommst. Hab ich alles schon—“ Ich würge mich selbst ab. Zu viel Ehrlichkeit wäre jetzt auch nicht gut, sagen ihre Augen.

„Volldepp!“, zischt sie. „Mensch Jan, hast du nicht selber erzählt, wie sich Olli auf Schalke geprügelt hat? Und Belgrad ist ja wohl sicher gefährlicher als das!“

„Ich pass auf…“, murmele ich halbherzig.

„Und was kostet der ganze Scheiß schon wieder?“

Ich zucke die Schultern. „Puh, was weiß ich, 200 Tacken vielleicht?“

Sie sieht mich entgeistert an. „Zweihundert! Du bist so ein Spinner, Jan! Aber die Last-Minute-Flüge nach Paris mit mir waren dir zu teuer!“

Ich versuche es mit Humor: „Klimawandel, Schätzchen, nach Paris fährt man sowieso mit dem TGV!“

Bisher haben Katjas Augen nur geblitzt, meine Antwort hat das ganze Gewitter anrollen lassen: „Fick dich Jan! Raus hier! Es reicht! Raus! Komm wieder, wenn du entschieden hast, was wichtiger ist! Fußball oder ich!“

Ich mache vorsichtig zwei Schritte zurück. „Katja…“

„Raus.“ Diesmal nicht donnernd, sondern leise und bestimmt, fast schon traurig. Klingt so viel gefährlicher.

Ich stolpere rückwärts durch den Flur, die Tür fliegt vor meiner Nase zu.

 

Nur noch vier Stunden bis Anpfiff. Vorankriechen auf einer von Schlaglöchern gesäumten serbischen Autobahn.

„Wir werden Mal wieder wirklich Null von der Stadt sehen“, meint Nils, während er mit einer Hand durch den Stau navigiert.

„Scheiße ey.“ Ich nehme einen Schluck Bier.

„Was los Jan?“, fragt Olli von der Rückbank. „Normalerweise vernichtest du doch auf jeder Auswärtsfahrt nen halben Kasten allein. Ist doch erst dein Drittes, oder?“

„Ach…“

„Katja?“, fragt Nils.

„Jo.“

„Wird schon wieder“, sagt Olli.

„Was ist, wenn sie Recht hat?“

„Hmm?“, von beiden.

„Naja, sind wir nicht langsam echt zu alt, um jedes zweite Wochenende durch die Gegend zu touren?“

„Die Aussage wär glaubwürdiger, wenn sie nicht von jemandem käme, der immer nach drei Wochen Sommerpause wie ein Verrückter durch die Gegend schleicht und Freundschaftsspiele gegen irgendwelche Dorfvereine besucht!“, witzelt Nils.

„Jan! Die Jungs brauchen uns!“, ruft Olli.

„Und Katja braucht mich nich, oder was?“

Feixendes Gelächter. „Wenn sie dich wirklich so sehr bräuchte, wär sie dann nicht mitgekommen?“, fragt Nils.

„Die kriegt keinen Urlaub…“, versuche ich.

„Das war rhetorisch gefragt, Jan! Frauen kommen und gehen, aber der Verein bleibt für immer!“

Ich stelle mein halbvolles Bier zurück in den Kasten neben Olli auf der Rückbank. „Nils…wie lange is Mara schon weg?“

„Fresse!“, murmelt Nils in seinen Bart. Er dreht am kleinen Knopf und die Musik wird lauter. „Wahre Liebe gibt’s nur zwischen einem Mann und seinem Fußballverein.“, fügt er leiser werdend an.

Von der Rückbank beginnt Olli den Song mitzugrölen. Nils und ich stimmen ein, während der Verkehr plötzlich wieder flüssiger läuft.

 

Drei Minuten vor Spielbeginn sind wir tatsächlich auf unseren Plätzen. Natürlich unüberdacht, aber noch nieselt’s nur. Bei der Champions League-Hymne schließe ich die Augen. Für diesen Moment war es jede einzelne Minute der sechzehnstündigen Fahrt wert. Kurz nach Anpfiff wird aus dem Nieselregen ein Herbstschauer, der sich bis zur Halbzeit hinzieht. Warmsingen klappt nur bedingt, denn seit der zwanzigsten Minute liegen wir 2-0 hinten.

„Scheißspiel.“, murmelt Nils in der Halbzeit, während er sich seine Handschuhe überzieht.

Das Bier hier schmeckt scheiße, aber beim zweiten ist das auch egal. Lässt mich immerhin halbwegs vergessen, wie es steht.

Mannis Pranke landet auf meiner Schulter. „Plörre, wa?“

Ich stoße überrascht an: „Mensch Manni, wo kommst du denn her?“

„Drecksstau, Drecksbus, waren erst zur fünfzehnten Minute im Block.“

„Prost Manni!“

„Prost.“

 

Auch das dritte Kullertor kurz nach der Pause hält uns nicht davon ab, weiter zu supporten, während aus dem Regen irgendwas Ekliges zwischen Hagel und Schnee wird. Fühlt sich zumindest so an. Scheißkalt ey.
„Der hat Schiss“, murmelt Nils, als sich Capitano 20 Minuten vor Schluss den Ball für den Elfmeter zurechtlegt. Tatsächlich: Links oben drüber, im Gegenzug fällt das vierte Ding für die Serben. Der Fußballgott hasst uns heute Mal wieder. Irgendjemand stimmt und alles nur, weil wir dich lieben, an, wir drehen uns mit dem Rücken zum Spielfeld und versuchen, die Kälte wegzuhüpfen. Als unser Youngster in der 92. Minute den Ehrentreffer mit einem viel zu exzessiven Jubel feiert, schlägt ihm keine Liebe, sondern eine blinde Welle der Wut und Aggression entgegen. Ich bin ganz vorne mit dabei: „Gibt’s von der Prämie ne neue Karre, oder wa?“ brülle ich den 19-jährigen Milchbubi an und schäme mich nicht so wirklich, der muss das ja abkönnen, verdient schließlich in einer Woche mehr als ich im halben Jahr.
Und endlich: Abpfiff, Erlösung, Scheißspiel vorbei. Nur fünf Spieler schaffen es, vor dem Duschen noch am Fanblock vorbeizustolpern und sich für unseren Support zu bedanken, Capitano scheint mich direkt anzuschauen, während seine Augen sagen, dass heute wohl einfach nicht mehr drin war. „Für dich fahr’n wir bis ans Ende der Welt und wir lassen dich nie allein!“, brülle ich mit 500 anderen raus und beweise damit, wie ernst wir das meinen.

 

Ich schalte mein Handy wieder an.

8 neue Nachrichten von Katja. Mir wird heiß und kalt gleichzeitig. Na gut, kalt war mir davor schon, aber einen kurzen, warmen Aussetzer macht mein Herz trotzdem.

Hab’s jetzt doch eingeschaltet. 22:13

Hey, hab dich gerade gesehen! 😊 22:21

Schon wieder! Die Kamera liebt dich 😉 22:25

Bei dem Wetter wirst du doch krank! 22:28

 

Samstag Therme? Aufwärmen?? 22:31

Mir egal, was du sagst. Hab gerade gebucht. 22:35

Mit Paarmassage 😉 22:36

 

Ich will gerade den Daumen-nach-oben-Emoji senden, als Nils mir auf die Schulter klopft.

„Eyyyy, Jan, die Fahrt für Samstag ist klargemacht!“

„Wolfsburg?“

„Klar, der Ground fehlt dir doch auch noch, oder?“

„Ja, aber…“

„Spitzenspiel, Jan!“

„Katja…“, versuche ich zaghaft.

„Hab nen Superdeal mit Manni ausgehandelt, dem sind drei Leute aus seinem Bus kurzfristig ausgefallen, wir bekommen die Fahrt und den Steher für nen Zwanni, das is quasi geschenkt!“

20 € für dieses Spiel? Sogar Katja wird verstehen, dass das ein Super Angebot ist! Und die Therme kann man auch verschieben. „Shit, das ist echt n guter Deal!“

„Sag ich doch!“

„Fußbaaaaaaaall!“, brüllt Olli.

„Na dann, auf!“, grinse ich.

„Geht doch!“, freut sich Nils und klopft mir auf die Schulter.

Ich werfe nochmal einen Blick auf mein Handy. Zwei neue Nachrichten von Katja. „Oh-oh.“, entfährt es mir.

 

Jan? 22:52

Du kommst schon mit, oder? 22:53

 

Shit.