Von Barara Hennermann
Meine Güte, was war das für ein Tag gewesen!
Zuerst streikte die Kaffeemaschine und ich musste mir mit einem uralten Rest Nescafe behelfen. Dann wollte mein Auto partout nicht anspringen, weshalb ich zum nahe gelegenen Bahnhof spurtete und gerade noch einen Regio in die Großstadt erwischte.
Eigentlich bin ich schon verrentet, aber manchmal helfe ich in meiner alten Schule im Sekretariat aus, wenn denen die Arbeit über dem Kopf zusammenschwappt, so wie jetzt zum Schuljahresende. Es ist ja auch eine nette Abwechslung in meinem Singledasein und ein paar Euro bringt´s zusätzlich noch.
Viel zu heiß heute, um zur Arbeit zu gehen! Aber es half ja nichts.
Im Seki dann konnten wir den Ventilator nicht anstellen, weil überall lose Blätter mit der organisatorischen Planung für das kommende Schuljahr herumlagen. Dazu lief dann auch noch der Kühlschrank aus, weil die Chefin ihn nicht ordentlich zugedrückt hatte.
Puh! Ich war echt froh, dass ich jetzt wieder in dem, wenn auch heißen und überfüllten, Zug nach Hause saß! Die nächste Station war schon mein Wohnort. Ich packte meine Tasche und stellte mich im Gang auf, um rasch aus der Tür zu kommen.
Komisch. Wir mussten doch gleich am Ziel sein? Warum bremste der Zug nicht ab? Mir schien fast, als würde er im Gegenteil sogar beschleunigen?
Hinter mir hatte sich mittlerweile eine Schlange von Leuten gebildet, die wohl auch von der Arbeit nach Hause wollten. Ganz hinten brüllte einer: „Jetzt gehen Sie doch mal weiter da vorne! Oder wollen Sie im Zug übernachten?“ Die Leute stießen und drängelten, ich hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten.
Und dann – ein Aufschrei ging durch die Passagiere – sauste vor den Fenstern unsere Station vorbei: Klingenfeld! Verflixt nochmal, hatten wir hier alle den falschen Zug genommen? Aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, dass der Bahnsteig ziemlich leer war, nur etliche vermummte Polizisten oder so etwas Ähnliches konnte ich erkennen. Aha, wahrscheinlich eine Übung. Was für eine Unverschämtheit, ohne vorherige Warnung so etwas zu veranstalten!
Meine Mitreisenden hatten sich notgedrungen seitlich in die Bänke verdrückt, denn der Zug ruckelte und schlingerte so, dass man Mühe hatte, nicht umzufallen. Der Lärmpegel schwoll gewaltig an. „Was is´n da los?“ „Hat jemand was gesehen?“ „Die Bahn halt mal wieder, furchtbar!“ Alle riefen durcheinander. Plötzlich ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher: „An alle Fahrgäste! Bitte, bewahren Sie Ruhe! Wegen eines besonderen Vorkommnisses konnte die Station Klingenfeld nicht angefahren werden. Alle Passagiere, die in Klingenfeld aussteigen wollten, werden gebeten, sich beim nächsten Halt in Blumental umgehend an die dortigen Bahnmitarbeiter zu wenden. Vielen Dank.“
Na witzig! Was sollte ich in Blumental? Und wie kam ich von dort möglichst schnell zurück? Diese Fragen stellten sich wohl gerade alle, die so unvorhergesehen überrumpelt worden waren. Die Stimmen schwirrten durch die Abteile und das Geraune und Spekulieren nahm kein Ende. Die gezückten Handys erwiesen sich als nutzlos, denn komischerweise hatte niemand Empfang. Wir waren alle zum Abwarten verdammt.
***
Bernd zog mit dem Zeigfinger die Öffnung seiner Sturmhaube nach vorne.
„Luft! Ich brauche Luft!“ Er atmete tief durch.
Was für eine Affenhitze! Sein Schweiß tränkte die Haube.
Es war mehr als ärgerlich.
Eigentlich hätte er jetzt bereits Feierabend gehabt und könnte entspannt im Freibad liegen. Aber mittags kam diese Nachricht vom BND. Terrorwarnung am Bahnhof Klingenfeld! Die Truppe war im Nu zusammengestellt gewesen und die gepanzerten Fahrzeuge rollten vom Hof. Bernd quetschte sich mit acht Kollegen, alle in voller Kampfmontur, in das erste und mit heulender Sirene rasten sie zum Einsatzort. Dort stürmten sie mit gezogener Waffe und lauten Rufen das Bahnhofsgebäude. Die erste Durchsuchung ergab kein Ergebnis. Toiletten, Schließfächer, Fahrkartenschalter, Kiosk – alle Räumlichkeiten waren „sauber“. Auch die Überprüfung der umliegenden Gleise und abgestellten Züge blieb ergebnislos.
Das SEK – Kommando patrouillierte nun bereits seit mehreren Stunden auf diesem Bahnhof. Immer wieder fuhren Züge durch das Bahnhofsgelände und die Männer sahen hinter den vorbeiflitzenden Fensterscheiben im Inneren der Wagons heftig gestikulierende Menschen.
Jetzt musste Bernd sogar grinsen.
Klar, die Leute hatten überhaupt keine Ahnung, was da vor sich ging! Sämtliche Telefonnetze waren aus Sicherheitsgründen gekappt worden, um dem möglichen Attentäter keine Verbindung zu ermöglichen.
„Wahrscheinlich denken die jetzt, sie sitzen in einem Geisterzug. Was für eine absurde Situation!“
Absurd aber auch für die Kampftruppe. Es fand sich keine Spur zu einem Terroristen vor Ort. Sicher, das wussten sie alle, diese Menschen waren in der Regel gut geschult und perfekt für ihren „Einsatz“ vorbereitet, so leicht machten die keinen Fehler. Aber war es möglich, dass sich einer dermaßen gut verstecken, ja nahezu unsichtbar machen konnte?
„Männer, wir rücken in einer halben Stunde ab, wenn alles ruhig bleibt.“ Es war die Stimme des Kommandanten in Bernds Kopfhörer. Was Besseres hätte der nicht sagen können, fand Bernd.
***
Ich starrte auf meine Uhr. Eigentlich müssten wir jetzt gleich Blumental erreichen. Ich überlegte angestrengt, wie ich dann wohl nach Hause käme. Taxi wahrscheinlich. Aber die würden in Nullkommanichts vergeben sein.
Diese Überlegung veranlasste mich, meine Tasche zu packen und nahe der Zugtüre Stellung zu beziehen. Andere taten es mir gleich, denn der Zug verringerte jetzt spürbar seine Geschwindigkeit. Die Bremsen quietschten. Der Wagon kam zum Halten, die Türen öffneten sich.
Wie eine Welle spülten sich die Passagiere auf den Bahnsteig. Der Fahrdienstleiter konnte sich nur mit einem Megaphon Gehör verschaffen.
„Bitte entschuldigen Sie die entstandenen Unannehmlichkeiten. Es liegt in Klingenfeld ein Umstand besonderer Gefahr vor. Möglicherweise ist am Bahnhofsgelände ein Terroranschlag geplant. Das SEK ist vor Ort und hat alles im Griff. Sie finden am Bahnhofvorplatz Busse vor, die Sie nach Klingenfeld zum Marktplatz bringen werden.“
Das Stimmengewirr und Geschrei war nun kaum noch zu überbieten, der Pulk kam in´s Rollen und ich beeilte mich, ihm voraus in Richtung Busse zu eilen.
***
Man hatte ihn geschickt und er war gegangen. Hierher.
Der Schweiß tropfte ihm aus den Haaren, sein Gesicht glänzte dunkel.
Aber sein Kopf blieb kühl.
Wie lange hielt er sich nun schon in dieser überhitzten, nach Urin stinkenden Bahnhofstoilette auf? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Von draußen hatte er immer wieder Türenklappern, Geschrei und Stimmen gehört. Er hatte sich ruhig verhalten, ganz ruhig, und hatte geduldig gewartet.
„Ungeduld ist die größte Gefahr. Du musst ausharren und abwarten. Dann kommt deine Gelegenheit. Dann kannst du Großes vollbringen.“
Es war dies die Lehre gewesen, die er erhalten hatte. Die Lehre, die ihn groß machen würde und glücklich. Die ihn das Elend der Welt vergessen lassen würde. Seine Chance auf das ewig währende Glück.
Der Mann öffnete vorsichtig die Toilettentür und spähte in die Bahnhofswartehalle. Sie lag leer und still vor ihm. Rasch schulterte er den schweren Rucksack und durchquerte eilig die Halle. Von draußen, vom Bahnsteig, drang Lärm und Geschrei herüber.
Er wusste für sich, es war richtig. Er hatte keine Angst.
Mit einem gellenden Schrei stürmte er aus der Halle, mischte sich unter die Menschen am Bahnsteig …
Es war nur noch ein Griff …
Die Explosion war gewaltig.
Sie riss auch das Stationsschild aus der Verankerung. Es zersplitterte am Bahnsteig.
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