Von Maria Monte
Typisch Berlin! Überall wird gebaut, an der S-Bahnstrecke schon seit zwei Monaten. Und täglich pendelt die S-Bahn anders.
Wie jeden Tag laufe ich von der Bank, bei der ich als Kundenberater arbeite, zum S-Bahnhof Charlottenburg. Vor den vielen Hinweisschildern bleibe ich stehen und schaue, ob es Neuigkeiten gibt. Es ist 17 Uhr, Hauptverkehrszeit, die Menschen drängeln und schimpfen. Die Bahn empfiehlt, den Regio zu nehmen. Ich überlege: Ich könnte auch die U-Bahn benutzen, die hat nur eine Baustelle und einen Schienenersatzverkehr. Aber ich bin zu kaputt, um den Marsch dorthin zu absolvieren. In mir kommt Frust auf: Ich will mich nicht mit hunderten Menschen drängeln, ich will nicht hetzen, ich mag das alles nicht!
Also stiefele ich zum Bahnsteig der Deutschen Bahn, lasse mich von der Rolltreppe nach oben fahren und orientiere mich dann an den elektronischen Infotafeln über den Bahngleisen. In sieben Minuten soll ein ICE aus Hamburg einfahren, der bis zum Ostbahnhof fahren wird. Von dort kann ich in meine heißgeliebte S-Bahn umsteigen. Prima, dann warte ich! Das Einsteigen muss schnell gehen, Türöffner betätigen, die hohen Trittstufen erklimmen, schon rollt der Zug wieder an. Als ich die Schiebetür öffne, stehe ich in einem offenen Abteil der ersten Klasse. Au weia! Wenn jetzt ein Kontrolleur kommen würde! Ich vertraue auf meine Intuition: Bei dem Baudurcheinander, den Ausfällen dazu und dem Feierabendverkehr traut sich kein Kontrolleur durch die Abteile. Ich bleibe, wo ich bin.
Das Großraumabteil ist gut besetzt. Gerne würde ich mich in eine Ecke schmeißen, die Augen zumachen, kurz verschnaufen. Eine quirlige Menschenansammlung lacht und scherzt und ruft sich Wortfetzen zu, die wiederum alle in schallendes Gelächter ausbrechen lassen. Die scheinen sich zu kennen. Etwas platt wird gesprochen, ich liebe diesen Dialekt. Hier und da kreist auch eine Sektflasche, ich erkenne Dosen von Red Bull. Die sind ja gut drauf! „Kinder, das wird heute wieder eine verrückte Sendung. Kennt jemand von euch eigentlich das Radialsystem? Ich bin gespannt, ob wir demnächst den Schellfisch gegen diesen System-Ort tauschen sollen oder gar müssen,“ tönt eine mir nicht unbekannte weibliche Stimme aus der Gruppe. Alle schnattern durcheinander. Plötzlich werde ich bemerkt, wie ich da so herumstehe. „Ach Gottchen, seht, wir haben einen Gast,“ bemerkt ein jüngerer männlicher Typ. „Wollen Sie sich setzen und ein Gläschen Sekt mit uns trinken?“ fragt er mich schwul charmant. „Na ja, warum eigentlich nicht?“ gebe ich zurück und schon sitze ich mang der illustren Gruppe. Er drückt er mir einen Plastikkelch mit Inhalt in die Hand. „Auf was stoßen wir hier an?“ frage ich in die Runde. „Wir trinken auf Ina und den neuen Drehort, falls es dazu kommt,“ ergänzt eine Blondine, die sich als Vanessa vorstellt. Jetzt checke ich diese Truppe und bemerke Ina Müller in deren Mitte. „Wird heute etwa Inas Nacht, also der Late-Night-Talk, hier bei uns in Berlin aufgezeichnet?“ frage ich die Blondine ganz verdattert. „Ja, das ist geplant, weil die Gäste, besonders wohl der Hape Kerkeling, es terminlich nicht anders einrichten konnten. Und die Lady Blackbird wohnt gleich nebenan in dem Hotel, die freut sich über zahlreiche Gäste. Das Radialsystem ist etwas größer und luftiger als der Schellfischposten in Hamburg, wurde uns als Grund dieses Versuches genannt.“ „Los, Kinder, packt euren Kram zusammen, wir sind schon am Alexanderplatz, der Zug kommt gleich am Ostbahnhof an,“ tönt jetzt wieder der Jüngling, der sich als Rolf vorgestellt hat. Ich schaue träumend und auch erleichtert durch das Zugfenster, gleich bin ich auf Zielgraden, fast zu hause. Da sehe gerade den Ostbahnhof vorbeirauschen. Auch Rolf hat es bemerkt. „Stop, halt, hier ist doch Endstation!“ quitscht er laut auf. Ein paar Sekunden später, sie kommen mir endlos vor, fiept es im Lautsprecher. Nun ertönt eine männliche Stimme. „Liebe Fahrgäste, wir verlegen unseren Halt auf den Bahnhof Ostkreuz und bitten Sie um ihr Verständnis.“ Halt mal, diese Stimme kenne ich doch! Olis Tonlage ist mir seit vielen Jahren vertraut, auch wenn er sie ab und an mal verstellt. Und siehe da, schon kommt Oliver Hiefinger in Bahnuniform um die Ecke und sagt zu den aufgelösten Fahrgästen: „Tut mir leid, der Zugführer konnte aus technischen Gründen nicht bremsen. Die Stromzufuhr ist zudem ausgefallen.“ Ganz ernst, ganz sachlich bringt er seinen Text rüber. Rolf fühlt sich am meisten angepisst. „Scheiß Bahn, mal ist es eine Weiche, mal schläft der Lokführer. Wir müssen um 17.30 Uhr im Radialsystem sein, nun schaffen wir es nicht mehr. Das war so ein Supertiming, so eine geniale Anbindung, nun macht uns die Bahn einen Strich durch die Rechnung. Sie werden von uns und dem Management hören!“ Oli spielt seine Rolle weiter. „Selbstverständlich kommen wir für alle anfallenden Nebenkosten auf.“ Ina Müller hat sich in ihrem Mitarbeiterteam verschanzt. Sie bleibt gelassen, sagt nur kurz „Scheiße“. Lässt sie sich nicht aus der Reserve locken?
Oli versucht noch einen draufzusetzen: „Ich empfehle Ihnen, mit der S5 ab
Gleis 5 zurück zu fahren. Leider gibt es offensichtlich einen Stromausfall, der sich vom Ostbahnhof bis nach Ostkreuz erstreckt. Alle Aufzüge und Rolltreppen sind zur Zeit außer Betrieb.“ Rolf läuft puterrot an. Wie ein Gockel bläst er sich auf. „Wo sind wir hier bloß gelandet? Das ist ja Provinz hoch drei. Da lob ich mir doch unser Hamburg.“ Ina schmunzelt wie immer. „Na, dann auf zur Reise durch unsere Hauptstadt.“
Als der Zug dann endlich in Ostkreuz hält, flattert die Künstlergruppe auf den Bahnsteig. Mich hat Oli festgehalten und mir zugezwinkert. „Haben Sie noch etwas Zeit? Dann halten Sie sich bitte etwas abseits und für die kommenden Überraschungen bereit.“ Gerade will Vanessa die Lage peilen, da geht Oli auf die Gruppe zu. Im Schlepptau hat er Barbara Schöneberger. Oliver nimmt die Eisenbahnermütze in seine Hände und fragt in die Runde: „Verstehen Sie Spass?“ Nun gibt es kein Halten mehr. Alle johlen und feixen, nur Rolf scheint das Erlebte etwas verkrampft zu sehen. Barbara informiert nun: „Inas Nacht wird in der „Hafenküche“ hier an der Rummelsburger Bucht aufgezeichnet. Wir wollten doch einen identischen Ort als Pendant für die Aufzeichnung nehmen. Da kam uns die Idee mit dem verpassten Bahnhof. Und Ina hatte ich noch nie in meiner Sendung. Auf geht´s, die Kleinbusse stehen in der Sonntagstrasse.“
Oli ließ mich mitfahren, so als Wiedergutmachung für die Umstände. Nach zwei Espresso und einem leckeren Fischbrötchen konnte ich diesen verrückten Feierabend sogar genießen. Jetzt wurde er wirklich zum FEIERABEND.