Von Daniela Seitz

„Ich habe keine Angst“, schreie ich und schubse Herman von mir.

Das ist gelogen. Wir stehen in der verborgenen der zwei Kakushöhlen. Diese liegt höher und hat mehr Licht als die andere Höhle, weil nur drei Seiten die Höhle umschließen. Die vierte Seite ist offen und nur durch ein Geländer gesichert. Das Geländer über das Hermann gerade das Gleichgewicht verliert und auf die Treppen stürzen wird, die zur Höhle führen.

„HILFE!“, brüllt Herman.

„Halt dich fest! Ich komme…“, rufe ich.

Aber mein Körper ist wie erstarrt. Ich zögere. Bis mich Cindy anrempelt, während sie auf Hermann zustürzt, um mein Versprechen einzulösen. Sie zieht ihn wieder hoch. Oder versucht es, denn sie hat nur genug Kraft um zu verhindern, dass er abstürzt. Aber das verschafft mir Zeit, um meine Starre zu überwinden. Herman ist mein bester Freund. Und der Vorfall ist ein Unfall. Natürlich helfe ich Cindy und zusammen ziehen wir Herman wieder hoch.

Die Lehrer haben nichts gesehen, aber Hermans Hilferuf gehört. Sie stoßen dazu und fragen was los ist.

„Wir haben nur eine Szene für unser Hausaufgabe in Deutsch lautstark ausprobiert. Wir…“, lüge ich ohne zu wissen, warum ich lüge und ob Cindy und Herman mir widersprechen werden.

Doch Cindy und Herman decken mich.

„Macht das gefälligst zu Hause und nicht auf dem Schulausflug wo wirklich was passieren kann.“, ermahnt uns der Lehrer und geht.

 

*****

„Alter, ich weiß, dass du gezögert hast. Ich möchte nur wissen ob du wegen Cindy gezögert hast. Du bist verliebt in sie, oder?“, fragt Herman mich, als wir unter uns sind.

„Ich…verliebt…in Cindy?“, stottere ich.

„Ich weiß das du Angst im Dunkeln hast und ich weiß wie du Cindy ansiehst. Es tut mir leid, dass ich nicht lockergelassen habe wegen deiner Angst. Und ich weiß, dass nicht du, sondern deine Angst mich von sich gestoßen hat. Es ist okay. Aber ich möchte wissen, warum du gezögert hast.“

Tausend Antworten schießen wie ein Kugelhagel durch meinen Kopf.

Weil du klüger bist als ich.

Weil du besser aussiehst als ich.

Weil du beliebter bist als ich.

Weil du mehr Erfahrung hast als ich.

Weil du einfühlsamer bist als ich.

Weil du ins Schwarze triffst mit allem was du sagst.

Weil ich nicht in deinem Schatten stehen möchte.

Ich könnte die Liste immer weiter fortführen, aber er gibt mir mit einem Stups zu verstehen, dass er eine Antwort erwartet. Eine ehrliche. Eine die es ihm ermöglicht unsere Freundschaft fortzusetzen. Eine Antwort in der ich nicht das ekelhafte Monster bin, dass ihn hätte sterben lassen. Shit, wie soll ich diesen Widerspruch nur auflösen?

„Cindy…sie…sie hat mich gebeten..“, stottere ich ohne zu wissen, wo das hinführen soll.

„Sie hat dich worum gebeten?“, fragt Herman.

„Na ja sie…sie….sie mag dich und…sie weis nicht wie sie es…“

„Sie hat dich um Hilfe gebeten, mir ihre Liebe zu gestehen?“

Nein hat sie nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie es in Cindy aussieht und wen sie mag. Aber Herman ist ein Mädchenschwarm. Für ihn gehört es zum Alltag mindestens zwei Liebeserklärungen am Tag entweder abzuschmettern oder zu ermutigen.

„Äm…denke schon…“

„Und dir fällt nichts Besseres ein, als mich fast umzubringen und darauf zu vertrauen, dass sie mich rettet?“

„Das…das war ja keine Absicht. Das hat sich… irgendwie…einfach so ergeben…und ihre Beine… ich meine… sie hat den Schulrekord beim Laufen gebrochen… also…“

„Ja, ihre Beine sind echt der Wahnsinn!“

Seine Miene ist abwesend. Ich kenne diesen Ausdruck. Ich sehe ihn jeden Tag. Immer wenn er sich entschließt noch eine Bewerberin zu ermutigen. Er jongliert gern. Aber zum ersten Mal stört mich das.

„Aber ihre Liebe hat sie mir nicht gestanden. Irgendwie passt das nicht.“, hakt Herman nach.

„Ach Herman, ich habe es halt vermasselt. Die Lebensgefahr ist nicht der Zeitpunkt für Romantik. Tut mir leid.“

„Na schön, zurück zu dir. Du hast kein Veto bezüglich Cindy? Du musst nur ein Wort sagen und ich werde sie abweisen.“

Wie aus einer Quelle sprudeln tausend Einsprüche durch meinen Kopf.

Du meinst es nicht ernst.

Du siehst nur eine Eroberung.

Du brauchst nicht noch eine Erfahrung mehr.

Du wirst ihr weh tun.

Du wirst mir weh tun.

Du wirst einen Wettbewerb daraus machen, wenn du weißt, was ich fühle.

Aber noch schlimmer ist: Ich schulde es dir.

„Ja…ähm ich meine nein, kein Veto“, lüge ich mir die Seele aus dem Leib.

******

„Wieso hast du dem Lehrer nicht gesagt, dass er dich geschubst hat?“, fragt Cindy.

„Er ist mein bester Freund. Welche Ausrede hast du?“, entgegnet Herman.

„Eure Gruppendynamik ist ansteckend. Und eigentlich mag ich Mark.“, stellt Cindy klar.

„Da haben wir wohl etwas gemeinsam…“, murmelt Herman.

Cindy starrt Herman an. Der Groschen fällt langsam. So langsam, dass Herman Cindys Schweigen nicht aushält.

„Er hat keine Angst im Dunkeln. Ich habe die Dunkelheit der ersten Höhle ausgenutzt um ihn zu zeigen, dass ich mehr sein könnte. Aber er war so schockiert, dass ich es als Versehen hingestellt habe, indem ich Anna, die in seiner Nähe stand, ermutigt habe.“

„Ermutigt zu was?“

„Zu glauben, dass sie mehr für mich sein könnte. Und mich zu decken.“

Herman starrt auf den Boden. Er kann Cindy nicht in die Augen sehen.

„Wieso erzählst du das ausgerechnet mir?“, fragt Cindy.

„Weil ich das lügen leid bin. Und weil er dich liebt. Bei keiner anderen stört es ihn was ich tue. Bei dir schon.“

„Du liebst ihn!“, stellt Cindy fest.

„Schon seit ich ihn das erste Mal sah.“

„Warum dann diese Vielweiberei? Das bringt dich nicht weiter.“

„Weil ich ihn sonst verliere. Das will ich nicht. Niemals!“

„Aber dann hör doch jetzt auf damit.“

„Nein, ich schulde es ihm. Nur wegen mir redet er sich klein. Das ist meine Schuld.“

„Bitte was? Und was ist mit ich bin das Lügen leid?“, fragt Cindy.

„Mach einfach mit und gib mir einen öffentlichen Korb. Damit wirst du sein strahlender Leuchtturm sein. Die Einzige, die mir widersteht. Die Einzige, die ihn auf Augenhöhe mit mir bringt, weil du dann direkt danach mit ihm gehen wirst.“

„Ich sagte das ich ihn mag. Nicht das ich ihn liebe“, protestiert Cindy.

„Das ist nicht mein Problem. Du bist vorgewarnt.“, sagt Herman und lässt Cindy stehen.

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Ich fasse es nicht. Cindy hat mich abblitzen lassen. Ich bin am Boden zerstört. Hatte ich doch all meinen Mut zusammengenommen um Cindy meine Gefühle zu gestehen. Immerhin hatte sie auch Herman zuvor abblitzen lassen. Der sich dann sofort mit Anna getröstet hat. Die ist echt nervig mit ihren Kommentaren wie: „Kopf hoch Mark, Cindy weiß gar nicht was sie alles bei dir verpasst“.

Anstatt ihr den Mund zu verbieten, hindert Herman Anna an weiteren Kommentaren indem er sie küsst. Das ist, was ihn so beliebt macht. Er verhilft mir und ihr gleichzeitig zu dem was wir brauchen um uns wohl zu fühlen.

„Ja Herman, ich habe Angst im Dunkeln. Tut mir leid, dass ich das bisher nicht zugeben konnte.“

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