Von Claudia Schäckel
Sie stand mit offenem Mund an der großen Straßenkreuzung und sie war nicht die einzige. Zwei der vier Fußgängerampeln zeigten grün, aber keiner machte Anstalten die Straße zu überqueren. Alle Autos standen still und jeder, der im ersten Moment auf die Hupe drückte hörte sofort damit auf, wenn er sah was die Straße entlangkam.
Immer zu zweit nebeneinander schritten riesige, rote Elefanten auf die Kreuzung zu. Sie waren dunkelrot und bestimmt doppelt so groß wie jeder Elefant, den sie jemals gesehen hatte. Überall auf ihren Körpern standen Namen in goldener Schrift und jeder hatte einen einzigen Namen, in Großbuchstaben auf der Stirn. Die Tiere rissen die Köpfe in die Höhe, ihre Rüssel bogen sich zwischen den massigen Stoßzähnen nach oben und das Trompeten war ohrenbetäubend.
Der Zug der Elefanten war lang. Sie glaubte mehr als fünfzig gezählt zu haben. Unter ihren Füßen bebte der Boden und die Menschen starrten die Tiere mit einer ungläubigen Mischung aus Angst und Bewunderung an.
Hinter den letzten beiden Elefanten gingen Menschen. Immer mehr. Immer mehr, folgten der Prozession. Sie jubelten und klatschten, klopften sich gegenseitig auf die Schultern und erklärten sich wie unglaublich die Elefanten waren und dass sie unbedingt ein Teil dieser Gruppe sein wollten.
Autos blieben stehen, ihre Besitzer stiegen aus und schlossen sich der Prozession an. Manche telefonierten und erzählten begeistert, dass sie alles hinter sich lassen und mit den roten Elefanten gehen würden um mit ihnen Großartiges zu erreichen. Dass das ihre Chance war etwas Wichtiges zu leisten. Jemand zu sein.
Sie stellte ihre Einkäufe ab und ging mit.
Der Strom aus jubelnden und feiernden Menschen wurde immer größer und zog aus der Stadt. Die Straße machte einen großen Bogen und führte aufwärts, immer weiter aufwärts in langen Kurven. Dann stellten sich die Elefanten auf. Sie bildeten ein Spalier rechts und links an den Straßenrändern, hoben ihre Köpfe und Trompeteten so laut sie konnten. Die Menschen die ihnen gefolgt waren fühlten sich besonders. Sie waren stolz auf sich, auf ihren Mut den roten Elefanten zu folgen, und waren sich sicher ein wichtiger Teil von etwas Großem zu werden.
Nebel zog auf und man konnte nur noch die Menschen erkennen, die neben einem durch das Spalier gingen, doch keiner schien es zu bemerken. Sie waren so in ihren Glücksgefühlen gefangen, dass sie nicht wahrnahmen wie sich ihre Umgebung veränderte. Bis sie den letzten Elefanten passiert hatten und ihr nächster Schritt ins Leere ging.
Sie stürzten in bodenlose Tiefe und das ohrenbetäubende Trompeten der Elefanten übertönte die leiser werdenden Schreie der Stürzenden.
Nachdem der letzte Mensch der Prozession, im festen Glauben an seine Bedeutung, über den Rand getreten war, brach das Trompeten ab.
Die Tiere liefen in lockeren Gruppen auf der Straße wieder nach unten. Sie waren nicht mehr so groß und sie waren auch nicht mehr dunkelrot, sondern grau.
Zufrieden machten sie sich auf den Weg zur nächsten Stadt.