Von Manuel Fiammetta

Frankfurt, 2007

 

„Mark? Mark, bist du es?“

„Ja, Onkel. Ich bin es.“

„Schön, dass du dich meldest. Wie geht es dir?“

„Mir geht es super. Einfach blendend. Ich wohne jetzt seit fünf Monaten in meiner eigenen Bude. Da du sie noch nicht gesehen hast  wollte ich dich fragen, ob du mal vorbeikommen willst?“

„Oh, das kommt überraschend. Wir haben uns schon ein paar Jahre nicht mehr gesehen. Ich hatte das Gefühl, dass du mir aus dem Weg gehst.“

„Ach Onkel, alles gut. Hast du was zu schreiben?“

„J-j-ja, warte eben. So, jetzt habe ich was.“

„Hölderlinstraße 12. Wann hast du Zeit?“

„Ich könnte am Donnerstag.“

„Also übermorgen. Prima. Ich freue mich.“

„Ich mich auch, Mark. Ist 17:00 Uhr in Ordnung?“

„Perfekt, Onkel. Dann bis Donnerstag. Mach´s gut.“

„Tschüss, Mark.“

 

Julia, Marks große Jugendliebe, hatte sich nicht mehr gemeldet. Sie war weiterhin der einzige Mensch, der Marks schlimme Vergangenheit kannte. Nun also nahm er allen Mut zusammen und rief seinen Onkel an.

Die letzten Minuten zogen sich wie Kaugummi. Alles war vorbereitet: Der Kaffee aufgesetzt, der gekaufte Kuchen schön auf dem Tisch drapiert und auch das Bier kaltgestellt. Wie der Abend auch verlaufen sollte, Mark war bereit.

 

„Gut siehst du aus. Ganz schön breit bist du geworden.“

Onkel Jörg war erstaunt ob der sehr männlichen Figur von Mark.

„Irgendwann muss sich das Krafttraining ja bezahlt machen. Komm´ rein. Schön, dass du da bist.“

Auf eine Umarmung verzichteten beide. Es blieb beim Händeschütteln.

„Ich würde sagen, dass wir zunächst ´nen Kaffee trinken und dann zeig´ ich dir die Bude.“

„In Ordnung, Mark. Ich muss zugeben, ich bin ganz schön nervös.“

„Ich auch, Onkel. Ich denke, das ist normal.“

Jörg setzte sich an den Couchtisch und nahm mit deutlich sichtbar zittrigen Händen die Kaffeetasse in die Hand. Mark verteilte Kuchenstücke.

Die Unterhaltung blieb zunächst sehr oberflächlich. Bisschen was über die Arbeit. Bisschen was Allgemeines. Bisschen was über Sport.

„Mark, ich habe mich wirklich sehr über deinen Anruf gefreut.“

Jörg war immer noch sehr zurückhaltend und nervös. So kannte Mark ihn überhaupt nicht. Nein, das war nicht der Onkel, der ihn jahrelang missbrauchte.

Jörg fuhr fort. „Das, was damals war …“

Mark unterbrach ihn, während er merkte, wie sich das Alte in seinen Körper schlich und seine Organe einschnürte. Doch er nahm sich zusammen.

„Onkel, lass´ uns nicht über die Vergangenheit sprechen. Komm´ ich zeige dir jetzt mal alle Räume.“

Jörg, zwischen Erleichterung und Nervosität gefangen, folgte Mark in jedes Zimmer. Nun standen sie vor einer geschlossenen Tür. Dem Schlafzimmer.

„Und hier ist das Schlafzimmer“, sagte Mark.

Die Fenster waren durch Bretter abgedunkelt und der Raum schalldicht isoliert. So schnell konnte Jörg gar nicht reagieren, da hatte ihn Mark schon an das Heizungsrohr gekettet und seinen Mund mit Klebeband versehen.

„So, Onkelchen, jetzt können wir uns über die Vergangenheit unterhalten.“

In Jörgs Augen sammelte sich Angst. Er zappelte.

„Muss ich die Füße auch noch festbinden oder hältst du endlich ruhig?“, fragte Maik, um gleichzeitig mit voller Wucht gegen Jörgs Knie zu treten.

„Du hast meine Kindheit zerstört. Ich hoffe, dass ist dir bewusst.“

Jörg nickte.

„Ich höre nichts. ICH HOFFE, DASS IST DIR BEWUSST?“ schrie ihn Mark an.

Wimmernde, bejahende Laute waren zu hören.

„Schön. Nun, ich dachte mir, dass du auch ein wenig leiden solltest. Deswegen habe ich dich angerufen. Du dachtest doch nicht etwa allen Ernstes, dass ich so einen Schwein wie dich aus einem anderen Grund einlade.“

Jörg zappelte weiter und konnte nur unverständliche Laute von sich geben.

„DACHTEST DU DAS WIRKLICH?“

Schnelles Kopfschütteln.

„Ich möchte meine Tränen zurück, die ich wegen dir geweint habe. ALLE!“

Jörg kniff die Augen fest zusammen, als Mark immer näher kam.

„Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du sagen, dass du auf dem Nachhausweg zusammengeschlagen wurdest.“

Jörg nickte. Sein Blick hatte etwas Flehendes.

„Oh ja, so habe ich damals auch geschaut. Mit bittenden Augen habe ich dich angesehen und gehofft, dass du die Botschaft erkennst und akzeptierst. Aber nein, dich hat das wahrscheinlich nur noch geiler gemacht.“

Mark ging wie ein wilder Tiger auf und ab, während er zu Jörg sprach.

„Ich habe auch gezappelt, bis ich merkte, dass es nichts bringen würde. Dann war ich nur noch eine Puppe.“

Jörg verstand die Anspielung nicht und versuchte weiterhin loszukommen oder zumindest den Klebestreifen vom Mund abzuziehen.

Eine krachende Ohrfeige landete daraufhin in seinem Gesicht.

„Bleib still. So wie ich damals.“

Stunden vergingen. Es war schon Mitternacht. Jörgs Handy klingelte alle paar Minuten. Helen rief an. Sie wollte wissen, wo ihr Mann blieb. Der war noch immer gefesselt. Bis auf einer blutigen Nase und einem angeschwollenem Gesicht, hatte Mark ihn verschont.

„Ich nehme dir jetzt den Streifen vom Mund und lasse dich los. Dann kannst du gehen.“

Die Erleichterung kam in Jörgs Gesicht zurück, hatte er doch zwischenzeitlich nicht mehr damit gerechnet, die Wohnung nochmal lebend zu verlassen.

„Aber vorher, lieber Onkel, muss ich noch etwas machen. Mach´ die Beine auseinander.“

Jörg riss die Augen weit auf. Er weigerte sich.

„Ich hoffe nicht, dass ich sie dir brechen muss. Da habe ich jetzt echt keinen Bock drauf.“

Jörg machte, was Mark befahl. Mark tritt so fest er konnte zu.

„Ich warne dich nochmal. Ein Wort von dem, was hier heute passierte, und ich mache dich platt.“

Mark nahm das Klebeband ab und öffnete die Handschellen.

„Jetzt verpiss dich und komme mir nie wieder unter die Augen.“

Mark spürte Genugtuung. Von diesem Tag an, fühlte er sich freier. Er hat sich gewehrt, hat sich für all die Pein, die er erleben musste, gerächt.

Die Tränen, die er weinte, hat er aber nicht zurückbekommen. Trotzdem fühlte er sich besser.

 

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