Von Helga Rougui

Ich weiß nicht, warum sie mir nicht unverzüglich den Baseballschläger über den Schädel zog.

 

Ich sollte echt mal dran denken, ihn nicht immer wieder in meinen Schirmständer zu stecken.

 

Also – sie stand da mit dem Baseballschläger, und ich stand vorgebeugt vor dem Kühlschrank, um das Gemüsefach zu inspizieren – es wäre ihr diesmal ein Leichtes gewesen, mich niederzuschlagen.

Stattdessen stand sie da mit hocherhobenem Knüppel und sagte:

– Nun? Was soll es sein? Aus den Paprikaschoten ließe sich ein nettes Gemüse machen – oder nehmen wir lieber die Zucchini für eine Frittata? Es sei denn, Sie wären Veganer …

 

Ihre hochgestochene Redeweise ging mir auf den Sack. Ich drehte mich um, schnappte mir ohne Mühe den Schläger und warf ihn in eine Ecke. Ich musterte ihre kleine ausgefranste Gestalt und ihr verriebenes Gesicht und dachte: „Schau an, wie fit die Alte noch ist – und frech wie ein junges Mädchen obendrein. Das kann lustig werden.“

 

Die Kühlschranktür stand noch offen. Ich trat mit der Ferse dagegen, und sie schloß sich mit einem gemächlichen Plopp. Ich zog einen Küchenstuhl heraus und setzte mich an den Küchentisch. Nach kurzem Zögern setzte sich die Alte auf den Stuhl mir gegenüber.

Und da saßen wir nun.

 

„Ich kann uns was kochen“, sagte sie.

„Nein“, erwiderte ich und langte zu ihr hinüber, um den Alarm am Notrufarmband zu aktivieren. „Erzähl mir von dem Gefängnis, in dem Du lebst.“

Sie hob den Blick und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

„Das interessiert dich nicht. Du bist jung.“

Ich lachte kurz auf und antwortete:

„Das tut nichts zur Sache. Dann also ich. Ich bin, seit ich sieben Jahre alt war, eingekerkert in diesem Körper, den du hier siehst. Immer zweimal mehr wie du, wie die bösen Tassen sagen. Als Kind war ich doppelt so dick wie die anderen Kinder. Als Jugendlicher sah ich, wie alle aus dem Schwimmbecken flohen, wenn ich auf dem Drei-Meter-Brett erschien. Mutter und Vater waren hilflos. Sie überlegten, ob die Schuld bei ihnen läge, und sie fanden keine Antwort, obwohl die Lösung offensichtlich war. Du erinnerst dich nicht? Das dachte ich mir.

Weiter im Text. Mit zwanzig hatte ich sechzehn nutzlose Diätversuche hinter mir, die alles nur noch schlimmer machten. Kein Sport, keine Spaziergänge, keine Disco, keine Freunde, keine Freundin. Erinnerst du dich? Du erinnerst dich nicht.

Und heute? Ich watschele wie eine Ente, laufe dreißig Meter und schnappe nach Luft und die einzigen Menschen, die ich besiegen kann, sind alte, schwache Menschen, so wie endlich du einer bist.“

Sie lachte.

„Und ich soll jetzt wohl meine Hüftarthrose, meine kaputten Knie, meine eingeschränkte Lungenfunktion und mein metabolisches Syndrom ins Feld führen, um diesen Kampf der Hilflosen zu gewinnen?“

„Nein verdammtnochmal“, sagte ich, „dein Befinden interessiert keine Sau“, und hörte im gleichen Moment draußen die Sirene des Einsatzwagens.

Sie zuckte zusammen wie eine Verbrecherin, die sie, wie ich wußte, nicht war.

„Hören Sie, da draußen kommen die Ritter in goldener Rüstung, die werden Sie zurückführen in Ihr goldenes Verlies.“

Ich erhob mich, ging zur Hintertür und ließ die Bullen rein.

„Nabend. Sie hats schon wieder getan. Abgehauen aus dem Altersheim. Weiß nicht, wer ich bin, erkennt mich nicht, bedroht mich körperlich. Die vermissen sie sicherlich schon.“

 

Die Bullen nahmen die Alte sanft am Ellenbogen und führten sie zum Einsatzwagen. Während er abfuhr, schloß ich bereits die Hintertür.

Dann ging ich zum Kühlschrank, öffnete ihn, beugte mich über das Gemüsefach, nahm die Zucchini heraus sowie zwanzig Eier und begann alles für die Frittata vorzubereiten.