Von Eva Fischer
„Anfangs war Hadir richtig gut im Bett, also ich meine, wir hatten tollen Sex.“
Sie schaut ihr Gegenüber provozierend an, doch es erfolgt keinerlei Regung.
„Wie haben Sie Hadir kennen gelernt, Frau Sommer?“, bohrt eine männliche Stimme weiter.
„Ich arbeite als Abteilungsleiterin in einer Bank und am Freitag gehe ich gerne nach der Arbeit in eine Bar, trinke ein, zwei Coctails. Das entspannt mich.“
Sie atmet hörbar aus.
„Ja und dann habe ich ihn gesehen. Er arbeitete als Kellner. Sah mega cool aus. Super Figur! Schwarze lockige Haare! Einen sinnlichen Mund und Augen zum Dahinschmelzen! Da brannte ein Feuer, sage ich Ihnen.“
Ihr Gegenüber schaut sie nicht an, sondern macht sich mit dem Kuli ein paar Notizen.
„Und wie ging es weiter?“, fragt er, als er sieht, dass sie ins Stocken geraten ist.
„Nun ja, es wurden dann mehrere Coctails. Die Musik und natürlich Hadir haben mich völlig auf Wolke 7 schweben lassen. Irgendwann war es dann Mitternacht. Wir hatten bis dahin miteinander heftig geflirtet. An diesem Freitag gab es gar nicht so viel Kundschaft und er fragte mich, ob ich auf ihn warten wolle. Wollte ich!“
In Gedanken an die süße Erinnerung kaut sie an einer blonden Haarsträhne.
„Dann sind wir zu mir gegangen und hatten leidenschaftlichen Sex.“
„Und wann haben Sie dann Hadir wiedergesehen?“
„Ja, das war merkwürdig.“
Verena Sommer runzelt die Stirn.
„Ich gab ihm meine Telefonummer, aber er rief mich nicht an. Also, ging ich nächste Woche wieder in die Bar und er begrüßte mich herzlich.“
„Tja,“ sie blinzelt ihr Gegenüber an, „wir landeten dann wieder in der Kiste und von da ab regelmäßig.“
Dieser Doc ist kalt wie eine Hundeschnauze, denkt sie. Wie soll der mir helfen?
„Nach einigen Wochen erzählte er mir, dass seine Aufenhaltserlaubnis in Deutschland abgelaufen sei und dass er zurück nach Marokko müsse. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und ich fragte ihn, wie ich ihm helfen könne. Ihm sei nicht zu helfen, lachte er. Habe ich schon sein Lachen erwähnt? Es ging einem immer direkt ins Herz und nahm einen mit in eine andere Welt, wo es keine Kälte gibt, keine Gleichgültigkeit. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen?“
„Ich denke schon. Fahren Sie fort Frau Sommer!“
„Nun er sagte, nur eine Heirat mit einer Deutschen könne ihn noch vor der Abschiebung retten. Aber er verstand es offensichtlich als Joke, nur ich konnte nicht mehr schlafen und grübelte und eines Morgens sagte ich mir ‚Verena, du kannst zwar nicht die ganze Welt retten’, bisher war das auch nie mein Gedanke gewesen, ‚aber du kannst Hadir retten.’ Ich bot ihm die Heirat an und wenige Wochen später waren wir verheiratet.“
„Sie sehen etwas erschöpft aus, Frau Sommer. Sollen wir morgen weitermachen?“
„Gerne“
Der Schweiß rinnt ihr über die Stirne und sie fängt an zu zittern, als sie das Zimmer verlässt.
Sie fährt nach Hause in ihre Wohnung, wo sie alles an Hadir erinnert und Tränen laufen ihr über die Wangen. Mit letzter Kraft legt sie sich auf ihr Sofa und stiert aus dem Fenster. Zeit hat sie jetzt genug. Sie ist für mehrere Wochen krank geschrieben. Burnout, heißt die offizielle Diagnose.
Schließlich kocht sie sich einen marokkanischen Pfefferminztee und während sie pustet, um sich nicht zu verbrennen, kommen ihre Gedanken zurück, als sie jung verheiratet waren.
Die Beamten der Ausländerbehörde kontrollierten, ob sie nicht eine Scheinehe führten. Amüsiert zeigten sie ihnen ihr Doppelbett und das Bad, wo Hadirs Rasierapparat einträchtig neben der Packung ihrer Antibabypillen thronte. Es war eine wundervolle Zeit. Sie kam sich vor wie in Tausendundeiner Nacht.
Hadir fragte sie, ob sie seine Familie kennenlernen wolle. Verenas Eltern hatten zwar nicht begeistert auf die Heirat mit einem Muslim reagiert, aber gesagt, mit 35 Jahren sei sie alt genug, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Im Gegensatz zu seiner war ihre Familie ein Eisblock. Von Anfang an wurde sie von Hadirs Familienmitgliedern herzlich in die Arme geschlossen, eingeladen, bekocht, herumgezeigt. Sie lernte die Eltern, die Geschwister und deren Familien kennen. Man sprach Französisch. So klappte die Verständigung, auch wenn ihr Schulfranzösisch nicht perfekt war. Man zeigte ihr mit Stolz die marokkanischen Königsstädte, die verwinkelten Gassen, die Basare, wo Gewürze und allerlei andere Köstlichkeiten angepriesen wurden. Mit ihrem marokkanischen Ehemann an der Seite wurde sie respektvoll, ja wie eine Prinzessin behandelt.
„Und wann haben Sie gemerkt, dass sich Ihr Ehemann verändert?“, fragt Dr. Merz.
Verena schluckt, denkt nach.
„ Nach einigen Monaten kam er nach Hause, war wütend. Er habe die Nase voll, Besoffene zu bedienen. ‚Kein Problem’, sagte ich. Ich verdiene genug Geld für uns beide. Zuerst war auch alles recht gut, aber mit der Zeit schien er sich zu langweilen. Er fuhr in die Stadt, trank einen Tee und regte sich darüber auf, dass die Mädchen so offenherzig herumliefen. ‚Schau nicht hin, Liebling!‘, lächelte ich. ‚Guck lieber mich an!‘, und knöpfte meine Bluse auf. Er hatte aufgehört, Alkohol zu trinken und der Sex, wie soll ich sagen, war nicht mehr so frei. Einige Dinge waren auf einmal nicht mehr möglich.“
„Haben Sie Hadir zur Rede gestellt?“
„Was sollte ich ihm denn sagen? Außerdem dachte ich, es sei normal, dass bei Ehemännern die Anfangsgeilheit etwas nachlässt. Ich hatte beruflich viel zu tun, kam oft spät nach Hause.“
„Und dann?“
„Eines Abends sah ich ihn dann auf einem Teppich knien. Er brabbelte mir unverständliche, fremde Worte. Mir war sofort klar, dass er betete. Warum kann er das nicht in meiner Abwesenheit tun, dachte ich nur. Immerhin hat er mich nicht mit einer fremden Frau betrogen. Da konnte ich mir sicher sein, dass er das als gläubiger Muslim nie tun würde.“
Verena schaut aus dem Fenster, sieht, wie die Wolken stürmisch vorbeiziehen.
„Ich war nicht glücklich, aber wir machten dann wieder Urlaub in Marokko und die menschliche Wärme hat mir gut getan. Ich habe sogar vorgeschlagen, dass wir nach Marokko ziehen sollten. Er wollte nicht. In seinem Land habe er keine Chancen. Und in Deutschland? Hast du da welche? Er lachte nur.
Eines Abends, als ich nach Hause kam, lag der Ehering auf dem Tisch und Hadir war weg. Da hat mich doch dieser Mensch verlassen, den ich aus Gutmütigkeit geheiratet habe!“
Einem Vulkanausbruch gleich übermannen sie ihre Gefühle: Wut, Schmerz, Enttäuschung. Ihr ganzer Körper bebt.
Dr. Merz reicht ihr ein Taschentuch.
„Und wissen Sie was! Ich liebe ihn noch immer, ich kann ihn einfach nicht vergessen. Ist das nicht verrückt?“
„Wir machen dann morgen weiter,“ sagt der Therapeut.
*
Zehn Jahre später:
Es klingelt an der Haustür.
„John, could you open the door please!”
John kann nicht, denn die Kopfhörer, aus denen Beethovens Symphonien erschallen, haben den Kontakt zur Außenwelt gekappt.
Verena geht seufzend zur Tür. Wer mag das sein? Sie erwartet niemanden.
Silberfäden haben sich in die schwarzen Locken gewoben, die dunklen Augen werden von kleinen Lachfältchen umrahmt.
„Verena! Erkennst du mich nicht mehr?“
Sein Lachen erklingt wie eine nie vergessene Melodie.
Sie steht noch immer da wie angewurzelt.
„Dürfen wir kurz reinkommen? Ich möchte dir gerne meine Kinder vorstellen.“
Rechts und links lösen sich Silhouetten.
Kurz darauf schütteln Kinderhände die ihren, respektvoll, höflich, neugierig. Die Namen kann sich Verena nicht merken, aber zwei Jungen und ein Mädchen sehen alle wunderschön aus wie kleine Hadirs.
„Und du? Was machst du so? Geht es dir gut?“
Verena lächelt. „Ich denke schon. Ich bin seit 7 Jahren mit John zusammen. He’s a wonderful man, wenn er nicht gerade in die Welt der Musik abdriftet. Möchtest du eine Tasse Kaffee?“
„Gerne!“
Die drei Kids sitzen brav neben ihrem Vater, als John endlich den Kopf zur Türe hereinsteckt.
„Hello!“, strahlt er den unerwarteten Besuch an .
„Do you like music?”, fragt er wenig später die Kinder und als sie scheu nicken, nimmt er sie mit in sein Musikzimmer, wo er seine Karaokeanlage anschaltet und bald mehrstimmiger Hip Hop zu hören ist.
„Hast du Kinder?“, will Hadir wissen.
Verena schüttelt den Kopf.
„Dafür ist es wohl zu spät. Aber wir sind dennoch sehr glücklich.“
„Das freut mich sehr Verena.“
Er schaut ihr warm in die Augen.
„Weißt du, ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich dich verlassen habe und wollte mich bei dir entschuldigen.“
„Entschuldigung angenommen.“
Verena lächelt. Sie hätte nie geglaubt, dass sie es mal ehrlich meinen würde.