Von Ute Scharmann
Johns weißes Auto hatte nicht in der Straße gestanden. Der Briefkasten war leer gewesen.
Den Ring auf dem Tisch sah Rina schon beim Betreten der Küche.
Johns Ring, der Ring, den sie nicht loswurde. John, der Mann, den sie nicht loswurde.
Sie schloss die Augen, drehte sich um, räumte die Einkaufstasche aus, ermahnte sich, nicht hysterisch zu werden und sah wieder zum Tisch: der Ring war noch da, unter dem Ring lag ein Zettel: „I´m sorry!“
Der Anrufbeantworter blinkte – drei Anrufe.
- Anruf: Die Putzfee Annelu: „Wollte nur Bescheid sagen, da hat ein Herr geklingelt und mich gebeten, den Zettel und den Ring auf den Küchentisch zu legen.“
- Anruf: Er: „Hey Sweetheart…“ Rina drückte die Löschtaste.
- Anruf: Er: „Oh, immer noch nicht zuhause“… Löschtaste
Sie zog den Telefonstecker aus der Buchse und legte sich im Schlafzimmer aufs Bett. Sollte sie das Telefon abmelden? Sollte sie umziehen?
Sie hatten sich auf einer Party kennengelernt. Ein Kollege einer Freundin ihrer Freundin Anneli. Computerfachmann, Engländer, für ein paar Monate im Außendienst in Deutschland. Sein englisches Deutsch gefiel ihr, er war sportlich und steif zugleich, arrogant und smart, liebenswürdig und hartnäckig.
Nach einer gerade gescheiterten Beziehung war sie zurückhaltend gewesen. Die Party hatte sie von ihm unbemerkt verlassen als er von Anneli in ein Computerproblem verwickelt worden war.
Einen Tag später erhielt sie eine E-Mail: Wenn du ein Problem mit deinem PC hast, ich helfe gerne. John
„Wie konntest du ihm meine Mailadresse geben?“
Anneli hatte mit den Schultern gezuckt. „Warum nicht? Er ist doch nett. Du solltest dich mal wieder mit jemand treffen.“
Rina hatte kein Computerproblem, zumindest im Moment nicht. John belagerte sie mit E-Mails: virtuelle Blumensträuße, witzige Cartoons, Fragen: Wo kann man in Kiel am besten Vietnamesisch essen? Kannst du mir eine Änderungsschneiderei empfehlen? Wo gibt es sonntags die besten Brötchen? Ab und zu schrieb sie zurück, schließlich wurde sie schwach. Er hatte Karten für eine Comedy.
Der Abend war perfekt gewesen. Sie hatten an den gleichen Stellen gelacht, im Anschluss noch in einem Irish Pub zusammengesessen.
Dann ein Sonntagsausflug an die Ostsee. Ein langer Spaziergang und ein Fischessen. In ihren Gesprächen stießen sie auf immer mehr Gemeinsamkeiten. Ein Wochenende in Dänemark, harmonisch und voller Übereinstimmung. Mit einem ersten leisen Zweifel hatte Rina sich gefragt, ob es Übereinstimmung war oder ob er ihr nach dem Mund redete.
Drei Tage nach dem Dänemarkwochenende der Ring. Gravur: sein Name und das Datum des ersten Treffens.
„Das kann ich nicht annehmen.“
„Doch, es ist dein Ring, probiere ihn.“
Der Ring passte. Woher hatte er ihr Ringmaß?
„Siehst du, dein Ring!“
Sie ließ den Ring am Finger, wollte die Harmonie des Abends nicht stören.
Beim nächsten Treffen trug sie den Ring nicht, sie schob ihm den kleinen seidenen Beutel, in den sie den Ring verpackt hatte, über den Tisch.
„Es ist zu früh. Behalte ihn. In einem Jahr vielleicht…“
Zwei Wochen später verbrachten sie das Wochenende in ihrer Wohnung. Harmonisch. Am Montagabend fand sie den seidenen Beutel unter ihrem Kopfkissen.
Sie behielt den Ring, trug ihn aber nicht bis zu dem Abend in der Oper. Er hatte die Karten besorgt, beste Plätze in der ersten Reihe. Er holte sie zuhause ab, kam eine Stunde zu früh, bat sie, ein extravagantes Kleid anzuziehen und den Ring zu tragen. Sie lehnte es ab. Er bat, sie würde ihm den Abend verderben.
In der Pause an der Sektbar steuerte er ein Ehepaar an. „Mein Chef“, flüsterte er ihr zu und stellte sie als „meine Verlobte“ vor.
Kurzer Smalltalk, dann hatte sie ihr Glas abgestellt und sich entschuldigt. Am Taxistand hatte er sie eingeholt.
„Warte!“
„Lass mich in Ruhe!“
Er hatte sie nicht am Einsteigen gehindert. Sie hatte dem Taxifahrer ihre Adresse genannt und dann das Seitenfenster geöffnet und den Ring nach draußen geworfen.
Seitdem waren drei Wochen vergangen. Drei Wochen, in denen er sie mit E-Mails, Handyanrufen und per Anrufbeantworter belagert hatte. Nach gefühlten hundert Botschaften auf dem Handy hatte sie die Nummer gewechselt und nach gefühlten zweihundert Emails eine neue Emailadresse eingerichtet. Im Büro und zuhause lief der Anrufbeantworter. Seine Briefe warf sie direkt in die Papiertonne. Zweimal hatte er vor ihrem Büro auf sie gewartet, sie hatte das Gebäude durch den rückwärtigen Ausgang verlassen. Sein Auto hatte an drei Abenden vor ihrer Wohnung gestanden, sie hatte bei Anneli übernachtet.
Jetzt war der Ring wieder bei ihr.
Für die nächsten Wochen quartierte sie sich mit der Begründung, im Haus müsse ein größerer Wasserschaden repariert werden, bei ihren Eltern ein. Als sie mit Koffer und Reisetasche zu dem wartenden Taxi ging, hatte er plötzlich neben ihr gestanden.
„Verreist du?“
Der Taxifahrer hatte ihr immer wieder versichert, dass ihnen kein Auto folgte.
Nun belagerte John Anneli mit Fragen und Bitten, stand vor deren Haustür.
Rina war nervös, hielt Ausschau nach weißen Autos, erschrak beim Klingeln des Telefons, fühlte sich immer wieder beobachtet.
Als ihre Mutter sich nach dem Wasserschaden erkundigte, erzählte Rina von John.
„Du musst nochmal mit ihm sprechen, ihm klarmachen…“
Rinas fast hysterischer Ausbruch machte deutlich, dass das keine Lösung sein konnte. Der Vater schrieb eine E-Mail: „Meine Tochter möchte nichts mehr mit Ihnen zu tun haben. Unterlassen Sie jede Kontaktaufnahme oder ich informiere die Polizei und Ihren Vorgesetzten.“
Erst als Anneli berichtete, John sei nach England zurückversetzt worden, ging Rina wieder in ihre Wohnung zurück.
Am darauffolgenden Wochenende fuhr sie mit Anneli zum Schönberger Strand. An dem regnerischen Oktobernachmittag waren die beiden Frauen alleine auf der Seebrücke. Am Ende der Brücke holte Rina den kleinen seidenen Beutel aus der Tasche, öffnete ihn und ließ den Ring in die Ostsee fallen.
In einem fast leeren Strandcafé bestellten sie Tee, Sahnekuchen und Sekt.
Niemand erzählte Rina von dem Post, der im folgenden Frühjahr auf einer Schönberger Facebookseite veröffentlicht wurde:
„Ring mit Gravur (John und Datum) am Schönberger Strand gefunden“.