Von Ingo Pietsch

Louisa kam nach vorne in den Verkaufsraum und sagte mit tränenerstickter Stimme: „Es ist aus!“

Tom schaute von den Schmuckstücken auf, die er gerade mit einem Staubtuch säuberte.

„Noch 2 Monate und wir können dichtmachen!“, Louisa wedelte mit einem Stück Papier herum und verschmierte mit einer Hand ihr Makeup.

Tom legte sein Tuch weg und umarmte seine Frau erst einmal. Sie krallte sich regelrecht an ihm fest.

In den letzten Jahren war das Geschäft immer schlechter gelaufen. Louisa verkaufte stetig weniger Ringe und Ketten.

Das Trauringgeschäft war rückläufig. Es gab immer weniger Eheschließungen und der Trend zeichnete sich in Richtung Modeschmuck ab.

Louisa zahlte zum Glück nur wenig Miete für ein Ladenlokal am Rande der Bielefelder Innenstadt. Sie hatte den Laden quasi von einem Bekannten geerbt, dem das Haus gehörte und der dort einen Kiosk betrieben hatte, den er aus Altersgründen schließen musste.

Klein aber fein, mit einer Menge Laufkundschaft.

Aber das reichte nicht mehr.

Tom arbeitete als Großhandelskaufmann und unterstützte seine Frau, gelernte Goldschmiedin, wo er nur konnte.

Das half leider alles nichts. Ihr großer Traum zerplatzte.

Tom fand keine Wort, um sie zu trösten und hielt sie weiter fest.

Da klingelte das kleine Glöckchen über der Tür.

Louisa sah durch einen Tränenschleier ihre beste Freundin, Jenny, in den Laden kommen. 

Jenny wirkte aufgebracht.

Louisa befreite sich aus der Umarmung wischte sich die Schnotter durchs Gesicht und verschmierte ihr Makeup noch mehr, dass sie aussah, als wäre sie ein Killerclown.

„Oh wow, und ich dachte mir würde es schlecht gehen.“ Jenny reichte ihrer Freundin ein Taschentuch. „Bist du schwanger?“,fragte sie in neutralem Ton, da sie nicht wusste, ob Louisa sich freute oder traurig war.

„Nein“, antwortete Tom für Louisa, während sie sich die Nase putzte. „Aber bald pleite.“

„Sorry, das wusste ich nicht. Aber weißt du was, es geht bestimmt bald wieder bergauf. Mir geht`s gerade auch nicht gut. Oskar hat mich verlassen.“ Sie warf seinen silbernen Verlobungsring auf die gläsernen Vitrine neben der alten Registrierkasse, dass er noch wenig umherrollte und dann klirrend liegen blieb.

Jetzt nahm Louise Jenny in den Arm.

Tom fragte: „Hoffentlich hat er nicht per Whatsapp Schluss gemacht?“

„Nein, mit einem Zettel, auf dem stand: „I`m sorry“.“

Louisa schob Jenny von sich weg. Sie kratzte sich an ihrer roten Nase und sagte: „Weißt du was? Ich Arbeite den Ring einfach um.“ Sie schnappte sich den Ring und verschwand in ihrer Werkstatt.

Jenny und Tom sahen sich ratlos an. Sie hörten von hinten den kleinen Schweißbrenner und das Gravurgerät arbeiten und nach einer Stunde kam Louisa wieder nach vorn.

„Hier, der ist für dich.“

Jenny betrachtete den Ring ihres Ex und ihr Gesicht hellte sich auf. „Das ist doch mal ein schöner Trost.“

Der Ring war jetzt etwa doppelt so breit wie vorher und auf seiner Oberfläche liefen gravierte, rot eingefärbte Blitze einmal rundherum.

„Steck ihn dir an den kleinen Finger. So als eine Art Trauerring. Dann weiß gleich jeder Bescheid.“

Jenny tat, wie ihr geraten. „Fühlt sich gut an“, sagte sie und lächelte ehrlich. „Wie hast du denn die Farbe da rein bekommen? Geht das überhaupt?“

„Ich habe da so eine Technik ausprobiert.“

„Danke. Leute, ich muss los. Noch ein paar Dinge regeln.“

Louisa und Tom winkten ihr noch und dann ging sie. 

Die beiden schlossen den Laden früher, da wahrscheinlich doch keiner mehr kam.

 

So ging es auch fast den ganzen nächsten Vormittag.

Tom war auf seiner Arbeit und Louisa war noch mal die Finanzen durchgegangen. Aber leider hatte sich kein Fehler eingeschlichen.

Plötzlich klingelte es an der Tür.

Eine junge Frau oder ein Mann, dass konnte Louisa nicht genau einschätzen, betrat den Laden.

„Bin ich hier richtig im spRINGtimE?“, fragte die Person.

„Äh, das kommt drauf an. Noch ja. Aber ich werde bald schließen müssen.“

„Dann bist Du sicher Louisa?“

„Ja“, antwortete sie etwas zaghaft, weil sie nicht wusste, was jetzt kam.

„Jenny ist eine Freundin von mir und sie hat von dir so einen obercoolen Ring bekommen. Ich hätte auch gerne so einen. Oder eher einen ähnlichen. So einen Wunschring. Ich habe das Muster aufgemalt. Geht das?“

Louisa besah sich die Skizze. Es handelt sich um ein Regenbogenmuster, dass sich um den Ring schlängelt.

„Ich brauche nur die Ringgröße und in einer Stunde ist er fertig.“

Louisa nannte noch einen angemessenen Preis, den die Person auch bereitwillig zahlen wollte.

„Super. Dann bis gleich.“

 

Nach einer Stunde war der Ring fertig und passte wie angegossen.

„Was für Muster kannst du denn noch alles machen?“

Louisa zuckte mit den Achseln. „Alles was auf den Ring drauf passt.“

„Ok, ich werde dich auf jeden Fall weiterempfehlen. Tschau!“

 

Louisa hoffte, dass Jenny nicht irgendwelche Leute herschickte, nur damit es ihr besser ging. Das sehe ihr nämlich ähnlich. Ständig hatte sie so merkwürdige Ideen, die alles immer nur schlimmer machten. Jenny war keine einfache Freundin, aber sehr liebenswürdig und dass ihr Verlobter sie verlassen hatte, war eigentlich nur eine Frage der Zeit gewesen – aber trotzdem nicht fair.

Louisa dachte nach. Wenn das gerade kein Fake gewesen war, könnte das ihre große Chance sein, den Laden zu retten.

Vielleicht sollte sie auch auf ihre Farbtechnik ein Patent anmelden.

Louisa erkundigte sich sofort, welche Auflagen sie zu erfüllen hatte. Außerdem fertigte sie weitere Ringe für ihr Schaufenster an.

Mit Mustern und Schriftzügen von Fußballvereinen, Brauereien, Autosymbole und andere Erkennungslogos.

Sie dekorierte eine Ecke mit einem Kärtchen „I`m Sorry“ und darunter Trennungsringe mit Blitzen, Stacheldraht und blutenden Herzen.

Daran konnte jeder erkennen, was man gerade durchmachte,

Dazu kamen noch Trauerringe, Glücks- und Wunschringe.

 

Und, als hätte Louisa das Glück gepachtet, kam gegen Mittag ein junger Mann in den Laden, mit Anzug und Aktenkoffer und orderte für Armenia Bielefeld gleich 1000 Ringe.

Louisa ließ sich nicht mal eine Visitenkarte zeigen und auch keine Anzahlung leisten, so verdattert war sie gewesen.

Endlich ging es bergauf.

 

Irgendwann kam Jenny in den Laden.

Sie schaute Louisa ganz verlegen an: „Du ich habe Mist gebaut. Ich habe da so einen Typen bequatscht, der sollte im Namen von Armenia Bielefeld bei dir 1000 Ringe mit deren Logo ordern. Es tut mir so leid. Ich wollte dich nur aufmuntern Und hab nicht weiter darüber nachgedacht. Ist der schon hier gewesen?“

„Ich denke, du solltest schnurstracks zur Tür rausgehen und dich hier nicht mehr sehen lassen!“ Louisa wies zur Tür.

Jenny senkte den Kopf und ging.

Kurz drauf kam Tom von seiner Arbeit und wollte Louisa helfen.

Sie erzählte ihm natürlich alles.

„Ich hatte mir schon so große Hoffnungen gemacht.“ Sie weinte wieder.

„Hey, so schnell geht das doch nicht. Du musst Werbung machen. Am besten auf deiner Facebook-Seite und bei Instagram.“

„Ich habe aber kein Geld mehr. Unser Erspartes ist nur für Notfälle.“

„Dann ist das jetzt hier ein Notfall.“ Tom küsste sie.

„Ich gehe erst mal nach hinten, um das alles zu verdauen.“

Tom nickte und putzte die Schaufensterscheibe.

Plötzlich klingelte das kleine Glöckchen an der Tür.

Tom sprühte sich vor Schreck den Glasreiniger in die Augen und konnte nichts mehr sehen.

„Ich suche die Louisa“, sagte der männliche Gast, den Tom nicht erkennen konnte und zeigte halb blind Richtung Decke. „Alles klar“, sagte der Mann und ging zum Kassentresen.

Louisa kam nach vorne und musste nach oben blicken, so groß war der Kunde.

Der Mann lächelte sie an: „Ich habe bei einer Bekannten so einen tollen Ring gesehen und in der Auslage draußen sind noch mehr so schöne Ringe. Machen Sie auch größere Mengen? So mit Vereinslogos drauf. Sagen wir, 1000 Stück?“

Louisas Lächeln, dass sie erwidert hatte, gefror von einer Sekunde auf die nächste.

„Ist das echt dein Ernst? Jenny hat vorhin schon so eine Pappnase hierhergeschickt, damit der mich mit einer Fake-Bestellung aufmuntert. Ich lass mich doch nicht zwei Mal veralbern!“

„Wer ist Jenny?“, der Gast blieb ruhig und freundlich. „Ich brauche nur ein paar Ringe in Blau und weiß und …“

„Sie sind ein echt guter Schauspieler, aber verarschen kann ich mich auch allein. Raus hier!“

„Stopp!“, rief Tom, der wieder sehen konnte. „Du Schatz! Weißt du nicht wer das ist?“

„Ja, ein Idiot, der auf meinen Gefühlen herumtrampelt.“

„Nein, das ist Manuel Neuer!“

Louisa zuckte mit den Schultern. „Ja und, wer ist das?“

„Er ist Torwart bei Bayern München.“

„Dem Handballverein?“

„Ich spiele Fußball“, meinte Manuel Neuer.

Louisa schlug sich vor den Kopf. „Richtig, der Typ, der immer auf dem Feld rumrennt, anstatt im Tor zu bleiben?“

„So, ähnlich“, antwortete er.

„Und Sie wollen wirklich 1000 Stück bestellen?“

„Hatte ich vor. Ich habe diesen Regenbogenring gesehen, der hat mir echt gut gefallen. Aber wenn Sie keine Aufträge mehr annehmen, kann ich das verstehen.“

„Möchten Sie was trinken?“, fragte Tom und Louisa rief sofort Jenny an, deren Unglück sie jetzt ihr eigenes Glück zu verdanken hatte.