Von Monika Heil            

Margit

Aufmerksame Nachbarn hatten die Polizei gerufen nachdem der Briefkasten länger nicht geleert worden war und ein Kippfenster Tag und Nacht offen stand.

Die Beamten fotografierten den Tatort, ließen die Leiche in die Rechtsmedizin bringen und stellten eventuelles Beweismaterial sicher. Viel war es nicht. Ein Becher mit den Resten einer milchigen Flüssigkeit, ein leeres Tablettenröhrchen, sowie ein handschriftlicher, winzig kleiner Zettel, darauf in zittriger Schrift „I`m sorry“. Ein Ehering mit der Gravur ´Margit vorever`. Der Besitzer des Schmuckstücks – offensichtlich der Ehemann – hielt sich laut Nachbarn oft zu Arbeitseinsätzen im Ausland auf. Das Ehepaar lebte sehr zurückgezogen. Man wusste nichts über sie. Ein Handy wurde nicht gefunden. Festnetzanschluss gab es nicht.

 

Die Ermittlungen waren schnell abgeschlossen. Die Todesursache schien klar. Suizid, nachdem der Ehemann – auf eine äußerst knappe und unschöne Art – die Ehe aufgekündigt hatte. Unterlagen, die hätten helfen können, seinen derzeitigen Aufenthalt zu ermitteln, wurden nicht gefunden. Die Mutter der Verstorbenen, die seit Jahren keinen Kontakt zu Tochter und Schwiegersohn hatte, konnte nichts zur Aufklärung beitragen. Sie kümmerte sich um die Bestattung, nicht aber um die Auflösung der Wohnung. Da ein Dauerauftrag bestand, wurde die Miete einstweilen weiterhin abgebucht.

 

Tatjana

 

Es war nicht das erste Mal, dass sie sich auf diese etwas skurrile Weise „verabschiedete“ und ihren Abgang vorbereitete. Während er – stark alkoholisiert – tief und fest schlief, stand sie leise auf, zog sich schnell an, platzierte den kleinen Zettel, auf dem sie ihren üblichen Abschiedssatz geschrieben hatte, unter den aquamarin-blauen Zahnputzbecher, der rechts neben dem rosenquarzfarbenen stand, den sie benutzt hatte. Den Ring warf sie hinein. Das Gegenstück trug er an der linken Hand. Sie hatten beide erst gestern beim Sommerfest an einem Modeschmuckstand erworben. Trompetengold, wie man so schön sagt. 

»Jeder hat so seinen kleinen Tick«, erklärte sie ihrem Spiegelbild und fing ein ironisches Lächeln ein. 

 

Ihr kleiner Koffer war schnell gepackt, seine Brieftasche sowie sein Handy verschwanden in ihrer Handtasche. Leise zog sie die Tür hinter sich zu, gab ihren Schlüssel an der Rezeption ab mit dem Hinweis, sie müsse zum Flughafen und ihr Mann checke erst gegen Mittag aus. Zwei Straßen weiter stellte sie in ihrem kleinen, nüchternen Appartement ihren Koffer ab, griff ein identisches, aber leeres Teil und eilte zurück.

»Ich habe mein Handy vergessen. Kann ich meinen Schlüssel bitte noch einmal haben? Mein Mann schläft noch.«

Sie hörte seine Schnarchgeräusche bis in den Flur und lächelte. Alles lief nach Plan. Sie stellte den kleinen Rollkoffer neben seinen, warf einen kurzen Handkuss Richtung Bett und verließ erneut das Zimmer. Den Schlüssel ließ sie von außen stecken. Diesmal nahm sie einen Nebenausgang des Hotels.

 

Es wurde Zeit, weiterzuziehen. In eine andere Stadt, zu einer anderen Kurzzeit-Liebschaft, mal mit, mal ohne Eheversprechen. Sie staunte immer wieder, wie naiv und sorglos die Männer wurden, wenn sie ihnen ihre große Liebe vorgaukelte. Sie hätte Schauspielerin werden sollen.

 

Auf dem Weg zum Bahnhof warf sie das in Folie verpackte, ausgeschaltete Handy in einen städtischen Papierkorb. Die Brieftasche landete – wie immer – im Postkasten einer x-beliebigen Polizeistation auf der Strecke. Lediglich die Geldscheine – diesmal waren es leider nur etwas mehr als fünfhundert Euro – gingen in ihren Besitz über.

 

Gregor

 

Als er erwacht, dröhnt es in seinem Schädel, als hämmerten unzählige Zwerge in einem Bergwerk nach Gold.

Ächzend versucht er, sich aufzurichten. Haltlos fällt er zurück in die Kissen.

»Bist du wach?«, murmelt er und sucht mit der Hand zittrig nach der Frau im anderen Bett. Er findet nur leere Kissen.

»Darling? – Bist du im Bad?« Vergeblich wartet er auf eine Antwort. Sein Gedächtnis kommt und geht. Es wirkt, als hätte es Wackelkontakt. Im Hotelzimmer herrscht doppelverglaste Stille.

Mühsam quält er sich aus dem Bett. Sein Blick streift die beiden Koffer. Er schlurft in das angrenzende, leere Bad. Irritiert betrachtet er sein Spiegelbild. Es scheint, als erkenne er den Mann nicht, der in dem Glas gefangen ist. Er greift – Linkshänder, der er ist – nach dem rosafarbenen Becher, versucht, den schlechten Geschmack wegzuspülen, verschluckt sich, muss husten, schließt entnervt die Augen.  

Erst eine kalt-warme Dusche bringt ein wenig Struktur in seine Gedanken. Sie wird frühstücken sein. Ja, ich treffe sie gleich unten im Wintergarten, denkt er. »Tatjana, Liebe meines Lebens«, murmelt er und dreht den billigen Verlobungsring an seiner linken Hand. Es ist der Satz, den er gestern wohl hundertmal gesagt hat. Sie kennen sich erst wenige Monate, haben in dieser kurzen Zeit so oft es möglich war, ein verlängertes Wochenende oder auch nur einen Abend und eine Nacht miteinander verbracht. Dennoch!

 

Ein flüchtiger Gedanke verirrt sich in die Vergangenheit. Hat man sie inzwischen gefunden? Habe ich alles richtig gemacht? Ja, alles wird gut. Es ging nicht anders. Sie hätte mich nie freigegeben, hätte geklammert wie all die Jahre zuvor. Dabei hielt uns doch nur noch Sprachlosigkeit zusammen. Jeder kümmerte sich längst ausschließlich um seine Angelegenheiten. Und meine sind nun diese junge Frau. »Liebe meines Lebens.»

Während er sich anzieht, sucht er flüchtig nach seinem Handy, findet es nicht.

 

Im Frühstücksraum sitzen nur ein altes und ein junges Paar. Stirnrunzelnd schaut er sich um, wählt einen Platz mit Blick auf die leere Terrasse, bestellt Kaffee. Plötzlich wird er wütend. Schrecklich wütend. Die Frage, ob seine Frau bereits gefrühstückt habe, wird negativ beschieden. Seine Kopfschmerzen, die sich unter der Dusche gebessert hatten, nehmen an Intensität zu.

»Bin gleich wieder da«, erklärt er der jungen Bedienung und  stürmt aus dem Frühstücksraum.

 

»Tatjana? Darling?« Das Zimmer ist leer. Niemand im Bad. Fieberhaft sucht er nach seinem Handy, hofft auf eine erklärende Nachricht. Vergeblich. Nachdenklich bleibt er am Fenster stehen, scannt den Raum langsam und aufmerksam. Sein Puls beschleunigt sich. Vorsichtig öffnet er ihren Koffer und zuckt erschrocken zurück. Leer!

»Was soll der Scheiß?«, schreit er und tritt wütend gegen das Gepäckstück. »Was wird hier gespielt?« Eine böse Ahnung lässt ihn erstarren. Er öffnet die Schranktür, will die Brieftasche aus seinem Jackett ziehen und greift ins Leere.

»Verdammt, verdammt, verdammt!« Ich bringe sie um, denkt er wütend. Sein sarkastisches Lachen erschreckt ihn selbst. Nein, noch einen Mord wird er nicht begehen.

 

Anna

 

Als Anna das Zimmer säubert, findet sie einen Ring in einem der beiden Zahnputzgläser. Als sie den blauen Becher anhebt, entdeckt sie einen kleinen Zettel. „I´m sorry.“

Kopfschüttelnd legt sie beides auf den schmalen Schreibtisch, damit der Gast es findet, wenn er vom Frühstück kommt.

»Merkwürdig«, murmelt sie. »Was soll dieses Versteckspiel? Komische Menschen, diese Deutschen.«

 

Im nächsten Zimmer fällt ihr Blick auf die Schlagzeile der Bild-Zeitung.

Es sollte wie Selbstmord aussehen. Ehemann vergiftete seine Frau mit einem Cocktail aus Schlafmitteln und Giftpflanzen. Nach ihm wird deutschlandweit gefahndet.

 

Anna schaut auf das Foto des Gesuchten. Ein attraktiver Mann, denkt sie. Und der soll ein Mörder sein? Nicht zu glauben.

 

V 2