Von Denys Saitov

Das ist der Lauf der Zeit, das ist die Gelegenheit aufzustehen.

 

Burny war außer sich, als ihm mitgeteilt wurde, dass er ein verdroßener, unnötiger Mensch ist, der nur noch kriechen kann, der nur noch hier und da nach der Antwort bettelt. Hat er keine eigene Meinung? Diesen Gedanken schliff er in seinem sperrigen, verstaubten Gehirn hin und her, wie… ihr wisst, wie was… Er schliff ihn bis zur Auflösung seiner inneren Matrix, bis zum Aufbruch aus seiner Transzendenz, bis die Augen verdrehten. Er war dennoch erlöst, denn er akzeptierte ab jetzt, er hing von der Meinung der Anderen ab. Man sagte ihm, er sei ein Nichts. Also spielte er einen Nichts.

 

Das Auto, das er fuhr, gehörte einer Freundin. Grün. Ohne Reifen. Keine Ampeln mehr. Radio mit MHz, mit einem holzenden, knirschenden Regler. Er verlor sich. Burny stieg aus dem Auto heraus und ging die grüne Frische asthmatisch einatmen. Er ist befreit. Der Puls der überkommenden, überwältigenden Musik der Natur ergänzte ihn, hüllte ihn ein, zog ihn ein, streckte seine verrostete und verspannte Seele in alle Himmelsrichtungen und das Bild seiner biegsamen Yoga Lehrerin blendete vor ihm ein. Nach ein paar Augenblicken verdunstete diese Erscheinung, als ob es sie nie vorher gegeben hätte.

 

Sein Auto hielt er an, an der Grenze zwischen verlorener Landstraße und einem Massiv. Es schüttelte Burny leicht: er wollte in diesen Wald rein, wie ein nackter, unter LSD stehender Hippie in den Ozean will, um eine Welle zu sein; um der Delphin zu sein. Burny wollte von der Ganzheit umschlungen werden. Er ging vorsichtig hinein.

 

Er war erleichtert. Barfuß sang Burny im selben Ton. Die Kronen der Bäume über ihn rieben sich aneinander und spuckten trillernde Vögel, verteilten angenehme Kühle. Hochsommer. Ich würde gar sagen, Hochhochsommer. Oder Hochhochhochhochsommer. Ohne Aussicht auf eine bessere Welt. Unser Planet ist der Beste, echt der Hammer. Ein scheiß Zufall und wir dürfen einander befruchten, uns vermengen, können kolonisieren, Holocaust machen. Corona. Kriminelle und Mörder für tüchtige Unternehmer halten, die in den Regalen ihre knusprigen Getreidekissen mit  weißer Schoko-Füllung an uns verkaufen. Und wir diese so gehorsam kaufen. Alles gut. Ach ja, und den Impfstoff bei uns selber, für uns, mit unserem Geld, fremdes Wohlbefinden und deren überdimensionale Saunas und so finanzieren. Schade, dass die Ameisen kleiner als wir, Menschen sind. Wenn das so wäre, würde das Tekken Spiel noch mehr Spaß machen. Menschen vs. Ameisen. In and for real. Wessen Giftstoff bzw. Impfstoff  ist effektiver?

 

Die Spiegelung seines Ichs wollte mitlaufen, den Wald gemeinsam entdecken. Aber Burny befiehl ihr im Auto zu bleiben, sich im Kofferraum oder in den Reifen zu verstecken. Ein paar Schritte ging das gut, doch beinahe sofort, sah er sich um,- die bewaffnete Armee seiner Ichs rannte, kroch, sprang um ihn herum. Eine Horde schwerst Süchtiger. Egal wohin, Hauptsache Ontologie. Hauptsache sie dürfen. Hauptsache sie dürfen unendliche Male sein und natürlich, natürlich, auch nicht sein. Er nahm seine M16 und erschoß jede seiner Spiegelung. Das dauerte nur ein paar Minuten. Denn als diese erfuhren, dass sie die Möglichkeit bekommen, endlich zu verschwinden, um mit der Natur Eins zu werden, rasten sie dem versprechendsten Angebot ihres Lebens entgegen – wie die Lämmer oder Schweine im Stall denken, dem “Ausgang” entgegen zu laufen… Naja ihr wisst ja wie das abläuft und wohin das abfließt… M16 hat er am Ende gegessen. Sie war glücklicherweise aus Banane-Schoko-Minze-Likör-Marinade.

 

In einer seltenen Lücke dieses dicht-bewachsenden Waldes, dicht wie der Bart eines russischen Poeten, sah er etwas. Etwas undefinierbares aber etwas, was nicht der Wald war. Es hatte eine andere Farbe. Eine graue Farbe. Fein. Feine Auswahl.

 

Um die Spannung der Geschichte noch stärker aufzuziehen, verrate ich schon mal das Schlusswort: “verewigen”.

 

Seine Zehen, Muskeln, Schulter, Wirbeln der Wirbelsäule begannen sich zum Rhythmus zu bewegen, er rannte zu diesem Grauen. So schnell, wie er nur konnte. Die sitzende Bande der flinken Eichhörnchen verfolgte seinen im Raum pulsierenden Körper mit langsamen, fast einschlafenden Blicken.

 

Burny lief mit seiner weichen Stirn gegen einen harten Stamm eines meditierenden Baumes. Eiche. Vielleicht. Die kann man übrigens günstig bei IkEA erwerben. Auch online, for sure. In Form eines Tisches zum Beispiel. Ja warum denn nicht? Am Ende des Monats Neues zuzulegen.

Er lag nach dem Zusammenstoß etwas betäubt rum. Er wollte kurz einschlafen, um sich von der Realität zu befreien, doch ein Traum in der Literatur ist unanständig, nach der post-, meta- und megamodernen Interpretation. Deshalb schlug er sich mit der Faust in den Kinn. Nach der mittelalterlichen Interpretation ist diese Methode viel wirksamer; ist auch praktisch, kann man immer wieder re-wirtschaften. Ein Traum ist ja etwas unergründlicheres. Der Vertrieb gestaltet sich bei solchen ephemeren Dingen etwas zäh.

 

Er machte schlagartig seine Augen auf und erblickte ein überdimensionales Areal vor sich kilometerbreit und weit erstrecken, dadrauf ein Gebäude. Seine Wände, eigentlich Mauern, die in hunderte Meter Höhe ragten, waren durchsichtig und sie floßen auch irgendwie.

 

Auf dem Territorium standen Tausende und Tausende von Fitnessgeräten aller Art: Schulterblattfixator, Brustpresse, Abduktorenmaschine, Balancekissen, Bänke zum Drücken, Hanteln. Mein Gott! Wie viele Laufbänder, wie viel, welche Menge an Sport sah er dort. Er war überwältigt und hat fast geweint. Aber nur fast.

 

Burny. Burny. Burny. Burny. Er wiederholte seinen Namen zum zehnten Mal. Er wiederholte seinen Nachnamen. Er wiederholte sein Geburtsdatum, seinen Geburtsort,  seine Staatsangehörigkeit, die neue Postadresse, die alte; er blickte in seine Kindheit, wo er unter einer Decke liegt und den Piloten eines Super Jets imitiert, wo er noch frei von der Verantwortung der Gesellschaft ist und somit generell frei ist – nach Henry Miller, aus einem seiner Bücher.

Burny sprach mal ruhig, mal aufgebraust, mal bat er die Götter um Hilfe, mal wollte er seinen Handyvertrag ändern, mal dachte er an Kunst und Eklektizismus, den er nicht mag. Vieles kam ihm in den Sinn aber eines hat er nicht verstanden: warum muss er jetzt in aller Heiligkeit einen überdimensionalen, durchsichtigen Fitnesspark genießen dürfen?! Wo liegt der Haken? Warum braucht er das?

 

Die Antwort lag auf der Hand. Dachte er. Doch die kannte er nicht wirklich. Also sprang er von diesem Gedanken zu dem nächsten: wo steht sein Auto? Er blickte zurück und sah den massiven, ruhigen Wald, aus dem er heraus kam. Der Himmel war auch normal gefärbt und ohne sonstige Auffälligkeiten. Selbst dieser Fitnesspark schien bereits normal, gar etabliert zu sein. Der leichte und seltene Wind hob die kurzen und unterschiedlichsten Gräser, als würde er sie streicheln, wie die Haare eines jungen Burschen oder eines Mädchens. Gänsehaut. So leicht war das Sein.

 

Die Geräte funktionieren, Burny ist da. Der Himmel ist oben. Sein Auto ist hinterm Wald, er hat noch einen Job, vielleicht. Seine Eltern sind beide tot. Childfree. Was braucht er mehr vom Leben?

 

Und dann kam die Erleuchtung. Er hat verstanden. Er hat verstanden, dass das sein Ort ist. Das ist dort, wo er ist. Das ist das, wo sein Dort und Hier ist. Er nahm eine Bio-Apfel-Kokos-Pulver-Schaufel und begann in die Erde zu graben. Bis er ein Loch in der kreiert hat. Das schwarze Loch war so groß wie er. Er legte sich hinein, lächelte und begann einzuschlafen. Als das erste Bild eines wunderschönen, warmen Traumes zu ihm kam, waren schon Wölfe, Eichhörnchen und Vögel da und ließen sein erstes und gleichzeitig sein letztes Traumbild in Schleife verewigen.