Von Ursula Riedinger

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie wütend ich war, als ich schnallte, dass das mit unserer Familie jetzt zu Ende gehen würde. Ich war so was von sauer. Und das alles wegen der Gefühle von ein paar dummen Erwachsenen. Ok, meine Mutter war eine davon, und die war sonst ja ganz ok. Und die andere war Laura, die sonst total cool war. Und am schlimmsten war das mit Selma.

Aber alles der Reihe nach. Ok, ich gebe zu, ich war alles andere als happy, als das mit dem Regenbogen anfing. Ich war damals ja erst 10 und es gab ein ewiges Getuschel in der Klasse, wie ihr leicht erraten könnt. Sie hatten spitzbekommen, dass Mama jetzt mit einer Frau zusammenlebte, mit Laura also. Ok, ihr werdet sagen, ist ja nichts dabei, Freundinnen und so. Aber Mama wollte ihre Beziehung offen leben, wie sie es nannte, und das hiess, dass die beiden in der Öffentlichkeit zumindest Händchen hielten. So peinlich. Könnt ihr sicher verstehen. Nicht dass ich Laura nicht mochte. Ich mochte sie sehr. Sie war viel unkomplizierter als Mama und liess so Einiges durchgehen bei mir und Selma. Das Beste daran war nämlich, dass ich auf einen Schlag eine supercoole Schwester bekam, Lauras Tochter Selma. Selma hatte einen wilden Lockenkopf, während ich lange gerade Haare habe, also rein äusserlich ein ungleiches Gespann. Aber sonst passten wir voll zusammen. Selma nahm mich total ernst, obwohl sie ein Jahr älter war, und wir wurden echt dicke Freundinnen, die wirklich alles zusammen unternahmen.

Ich verstand schon ein wenig, warum Papa ausgezogen war. Auseinandergelebt nannten Mama und Papa es, und wenn er da war, gab es dicke Luft und das fand ich nicht so toll. Ich zog mich dann meistens im mein Zimmer zurück. Mein Papa war sonst schon in Ordnung, aber er hörte mir nie so recht zu, wenn ich etwas Wichtiges erzählen wollte, nicht so wie Mama. Er hat viel Stress im Job, sagte Mama, aber man kann doch von einem Papa erwarten, dass er zuhört, wenn er zu Hause ist, oder was denkt ihr? Mama hat dann rausgefunden, dass Papa trotzdem Zeit hatte für eine andere Frau, und das nervte mich total. Entweder hat man Zeit oder man hat keine. Jedenfalls wollte ich die Frau gar nicht kannenlernen, auch wenn Papa sie mir gerne vorgestellt hätte, wie er sagte. Ich spürte auch, dass Mama manchmal traurig war, als er nicht mehr bei uns wohnte, obwohl die Luft nun wieder besser war. Und nur wir zwei, Mama und ich, dass war eine Weile lang echt schön, Mama verwöhnte mich so richtig und wir machten coole Ausflüge zusammen.

Bis dann eben Laura in ihr Leben trat, wie Mama es nannte. Sie erklärte mir, dass es zwischen ihr und Laura ernst geworden war und dass man sich als Frau nicht nur in einen Mann verlieben konnte, sondern auch in eine Frau. Ich fand das irgendwie komisch, aber ja, konnte ja sein. Nur das mit den Kindern funktionierte nur mit einem Mann und einer Frau, hatten wir gerade in der Schule wieder besprochen. Aber jeder, der nicht blind war, konnte es sehen, also Mama hatte sich ganz doll verliebt in Laura und sie machte immer ganz verrückte Sachen, wenn es um Laura ging. Sie war dann gar nicht mehr die alte vernünftige Mama, sondern benahm sich wie ein Teenager. Ich weiss nicht, ob ihr das kennt, jedenfalls ist es ein Zeichen, wenn eure Mama plötzlich ganz schräge Dinge macht. Ich fand das ziemlich peinlich, wir ihr euch denken könnt. Und dann lernte ich Laura und Selma kennen und es war ziemlich ok wie es war.

Dann entschieden die beiden, dass wir alle zusammenziehen sollten. Das fand ich zuerst nicht so cool, ich wollte Mama nicht immer mit Laura teilen, aber ich bekam ein schönes Zimmer neben Selmas und ich gewöhnte mich an unsere neue Regenbogenfamilie, wie Laura und Mama sie nannten. Jedenfalls hatten wir oft viel Spass alle zusammen. Mama hatte Laura, ich hatte Selma.

Nur das mit der Schule war ziemlich doof. Das Getuschel über meine Mama die ganze Zeit. Meine Lehrerin, Frau Keller, merkte das natürlich, und meinte, dass Leute tuscheln, wenn sie von etwas keine Ahnung hätten, und ob ich nicht der Klasse erklären wollte, wie meine neue Familie sei und so. Zuerst wollte ich nicht, aber ich tat es dann doch und Frau Keller half mir dabei. Ich erzählte also, dass es passieren konnte, dass sich eine Frau in eine andere Frau verliebte, dass das oft passierte und gar nicht Besonderes sei, auch wenn sie bis jetzt noch nie davon gehört hätten. Ich gab auch zu, dass ich mich auch daran gewöhnen musste, dass ich jetzt mit zwei Müttern lebte, aber dass es total ok war. Als die Klassenkameraden Fragen stellen konnten, waren plötzlich alle so scheu. Nur Matthias fragte, ob das auch mit Männern möglich war und jemand zwei Väter bekommen konnte. Damit hatte ich nicht gerechnet, aber selbstbewusst sagte ich, ja klar, ist doch logisch. Danach wurde es wieder ruhig in der Klasse, nur Melina und Mia schnitten mich nach wie vor, aber die gehörten eh nicht zu meinen Freundinnen.

Es war dann lange echt cool in unserer Regenbogenfamilie. Das mit dem Regenbogen gefiel mir besonders und ich zeichnete ihn oft, weil er so wunderschön farbig war. Aber in unserem Überschwang hatten Selma und ich nicht bemerkt, dass Mama und Laura nicht mehr so eng zusammen waren wie am Anfang, nicht mehr so viel kuschelten. Als sie so verliebt waren, war es uns immer peinlich, vor allem das mit dem Küssen und so. Jetzt war es irgendwie anders, wenn sie zusammen waren. Aber wir hatten wohl Anderes im Kopf, auch Jungs und so, jetzt, da wir 14 und 15 waren. Darum merkten wir es wohl nicht gleich.

Dann nahm mich Mama zur Seite und ich sah an ihrem Gesicht, dass sie mir etwas Unangenehmes sagen wollte. Und wirklich, aus heiterem Himmel eröffnete mir Mama, dass sie sich von Laura trennen würde. Zuerst wusste ich nicht, was das hiess, aber dann war es klar, wir ziehen aus. Ihr könnt euch denken, dass eine Welt für mich zusammenbrach. Es tat Mama ja leid, wie sie immer wieder sagte, aber es ginge nicht anders. Wir würden vorerst in eine kleine Wohnung ziehen.

Mit Selma redete und redete ich, aber es half alles nichts. Ich horchte Mama aus, ob sie sich denn wieder verliebt habe. Ich wollte das gar nicht wirklich wissen, und dachte natürlich an eine andere Frau, aber sie gab dann zu, dass sie einen total netten Mann kennengelernt hatte. Lukas und sie würden aber nichts überstürzen. Selma hatte ihre Mutter auch ausgehorcht und erfahren, Laura eine andere Frau kennengelernt hatte, obwohl sie es mir gar nicht hätte sagen dürfen. Wir wussten beide, das hiess, dass bei ihnen jemand Neues einziehen würde. Wir waren am Boden zerstört und wären am Liebsten abgehauen. Wir waren echt sauer auf die Erwachsenen und ihre sinnlosen Gefühlen. Am liebsten wollten wir den ganzen Sch… hinter uns lassen und einfach nur Freundinnen sein und es cool haben.

Wie das Leben so spielte, ich hatte Selma aus den Augen verloren, als ich in Paris studierte, und das tat mir echt leid. Ich tat alles, um sie wiederzufinden, aber sie und ihre Mutter waren in dieser Zeit auch weggezogen. Sie war weder auf Facebook noch sonst einer Plattform zu finden.

Dann kreuzten sich unsere Wege zufällig wieder in der gleichen Stadt, als wir auf den Bus warteten. Das stand meine Freundin Selma, unverkennbar mit ihren wilden Locken. Wir schauten beide lange eine zur anderen und fielen uns dann in die Arme. Wir hatten uns so viel zu erzählen. Wir erzählten und erzählten, bis Selma meinte, sie müsste jetzt unbedingt nach Hause, um zu kochen.

Und wisst ihr, was das Witzigste an der Sache war? Selma lebte mit ihrem Freund Thomas und ihren beiden Kindern seit kurzem ganz in der Nähe von mir und meiner Lebenspartnerin Eva.

 

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