Von Gerhard Fritsch

Es ist sehr schwer, zu erzählen, was geschehen ist. Schon seit dem ersten Mal, an dem ich sie gesehen habe, es mögen gut dreißig Jahre her sein, war ich verliebt in sie. Aber ich war von Anfang an verloren. Ich wusste, dass es keine Zukunft für uns geben könnte. Aber sie, dieses Geschöpf von unendlicher Reinheit, Schönheit, Anmutigkeit, aber auch Demut und Keuschheit, zog mich vom ersten Blickkontakt an in ihren Bann, von dem ich mich bis heute nicht befreien konnte. Nicht einmal nachdem, was geschehen ist. 

 

Ich war verliebt in sie – nein, ich bin es nach wie vor -, ich glaube immer noch, dass sie eine Fee ist, die einen Zauber versprüht, von dem sie selbst vielleicht gar nichts weiß. 

Anfangs sah ich sie, wenn überhaupt,  nur bei oder nahe der Koppel, in der sie ihre Ponys weiden lies. Immer nur morgens, wenn noch Nebel  darauf lag, oder abends, wenn es schon dämmrig wurde. Nur langsam, sehr langsam, konnte ich Kontakt zu ihr aufnehmen. Oft nur mit ein paar Worten zur Begrüßung und der Frage, wie es ihr geht. Je öfter ich sie zufällig – anders war es nie möglich – traf, desto mehr Unterhaltungen konnte ich auch mit ihr führen. Mir war daran gelegen, möglichst viel von ihr beziehungsweise ihren Lebensumständen zu erfahren, doch ich erfuhr immer nur das Oberflächliche, nie das Intime. Und dass ich sie liebte, getraute ich mir nicht zu sagen. Nur einmal, ich war entschlossen dazu, aber eine Bekannte von ihr kam dazwischen, sie herzten sich und ich fühlte mich fehl am Platz. 

Ein einziges Mal in diesen dreißig Jahren konnte ich sie tatsächlich in meine Arme schließen und ihr einen Kuss geben, allerdings nur auf den Hals. Aber ich hatte auch einmal einen Traum, in dem sie mich richtig geküsst hatte – auf die Lippen. Eine ganze Woche lang waren meine Sinne voller Glück. 

Als ich ihr das erste Mal begegnete, war sie wohl noch Schülerin. Sie hat sich aber in all den Jahren nicht verändert. Ihre Stimme ist immer noch die eines jungen Mädchens, damals wie heute habe ich nie ein böses Wort von ihr gehört. Meine zaghaften Annäherungsversuche hat sie meist mit Schweigen beantwortet. In ihrem Verhalten mir gegenüber lag nie ein Hoffnungsschimmer für mich, aber auch nie ein Anzeichen von Abneigung oder Zurückweisung. Sie war immer freundlich zu mir, unterhielt sich angenehm und lächelte mir immer zu. Jeder, der ihr einmal in die Augen geschaut hat und ihr Lächeln gesehen hat, dem kann es nicht anders ergangen sein wie mir, denke ich: er wird ihr für immer gefangen sein in seiner Sehnsucht nach diesem Geschöpf.

Das ist auch der Grund dafür, dass ich immer sofort eifersüchtig wurde, wenn sie sich nur mit jemandem anderen auf die gleiche angenehme Art wie mit mir unterhielt. Voller Neid blickte ich dann auf diese andere Person, obwohl es, wie mir im Nachhinein klar wurde, nie nähere Männerbekanntschaften bei ihr gab, zumindest nicht, seit dem ich sie kannte.

Obwohl ich von Anfang an wusste, dass es keine gemeinsame Zukunft für uns geben könne, gab ich die Hoffnung darüber nie auf. Im nächsten Leben, redete ich mir ein, möchte ich ihr früher begegnen und sie auf der Stelle heiraten. Gedankenspiele eines hoffnungslos Verliebten. Kein Tag verging in all diesen Jahren, an dem ich nicht an sie dachte. Auch wenn ich sie wochenlang nicht sah sondern nur in die Nähe kam, an der ich ihr irgendwann einmal begegnet war, suchten meine Gedanken einen Weg zu ihr, eine Erinnerung an ein früheres Treffen oder einen Wunsch, mehr für sie tun zu können.

Ja, diese Pein liegt nun schon jahrzehntelang in meinem Herzen, und ich kann mit niemandem darüber sprechen. 

 

Es musste geregnet haben an jenem tragischen Morgen. Der Himmel war blau und die Sonne strahlte wieder, aber ein deutlich sichtbarer Regenbogen mit kräftigen Farben wölbte sich über die Landschaft. Ich glaubte sie zu sehen und beeilte mich, ihr zu folgen. Unten am Fluss stand sie dann, dort wo der Regenbogen die Erde berührte, und blickte mir entgegen. Ich dachte, sie wartet auf mich und wir könnten uns endlich gegenseitig unsere Liebe zueinander gestehen. 

Aber nichts geschah: ich starrte sie nur an und brachte kein Wort hervor und sie lächelte nur und ging zum Regenbogen, genauer gesagt zu seinem Anfang oder auch Ende, denn der Regenbogen hat keinen Anfang und auch kein Ende. Oder der Anfang ist gleichzeitig auch das Ende. Das schwirrte mir zu diesem Zeitpunkt im Kopf herum und ich geriet in Angst und Verwirrung. Ich bildete mir ein, es wäre das Ende: sie würde mich für immer verlassen und mich in meiner Verzweiflung alleine zurücklassen. 

 

Ich weiß nicht mehr, woher ich die Waffe hatte und warum ich sie plötzlich auf sie richtete. Und ich glaube auch nicht, dass ich mit Absicht geschossen hatte. Ich sah noch, wie sie zusammensackte und ich lief zu ihr und wollte sie auffangen, aber wie von einem Nebel umgeben verschwand sie vor meinen Augen im Äther des Regenbogens, gerade dort, wo er sich mit seinen Krallen im Boden festhielt. Ich kann schlecht beschreiben, was in diesem Moment in mir vorging. Ich war tief erschüttert. Ich selbst hatte sie getötet, sie, das Liebste, das mir in meinem Leben je begegnet war. Ich war verzweifelt, alles drehte sich in mir, ich konnte nicht verstehen, was geschehen war, ich glaube noch, dass ich kurz davor stand, ohnmächtig zu werden. Gedankenblitze tauchten vor meinen Augen auf, hin- und her gerissen von meinen Schuld- und Liebesgefühlen. Dann wurde mir schwarz vor den Augen und ich glaubte, ihr Ende sei gekommen, ich würde sie nie wieder sehen. Aber ich fühlte mich in einem kurzen Augenblick auch befreit, frei von dem nimmer endenden Verlangen nach ihr, nach ihrer Gegenwart. Doch nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn dann wurde mir bewusst, dass ich gerade den schlimmsten Traum meines Lebens geträumt hatte.

 

Diese Geschichte ist inspiriert von dem 1969 veröffentlichten Song „Down By The River“ von Neil Young:

 

Be on my side,

I’ll be on your side, baby

There is no reason for you to hide

It’s so hard for me staying here all alone

When you could be taking me for a ride

 

Yeah, she could drag me over the rainbow,

Send me away

Down by the river, I shot my baby

Down by the river

Dead, oh, shot her dead.

 

 

(kompletter Text z.B. lesbar bei https://www.azlyrics.com/lyrics/neilyoung/downbytheriver.html)