Von Marianne Apfelstedt

Es war einmal vor langer, langer Zeit. In einem kleinen Dorf, auf einem Bauerngehöft, hinter dem großen Wald, dort wo der Regenbogen endet. Die Menschen lebten in bescheidenen Holzhütten, ernährten sich von den Früchten des Feldes und von dem, was die Tiere ihnen überließen. Dem Honig der Bienen, der Milch der Schafe und den Eiern der Hühner. Wie jeden Morgen lief Martha den Feldweg bis zu den Tannen am Waldrand entlang und tauchte ein ins Dämmerlicht des Waldes. Zielstrebig wanderte sie zur Lichtung mit den Wildkräutern.

 

Martha wusch sich das Gesicht am Brunnen, flocht den zerzausten Haarzopf neu und holte flugs den Eimer mit den Essensresten. Die Kräuter zerkleinerte sie grob und vermengte sie mit dem Rest. Beim Eintreten in das schummrige Häuschen wurde sie gleich von munterem Gegacker umringt. Kaum hatte sie das Futter in den Napf geschüttet, kam das letzte Federvieh angelaufen, rasch holte sie den Korb in der Ecke des Hühnerhauses und inspizierte die Schlafplätze. Ein ganzes Dutzend Eier lag beim Verlassen der Hütte in ihrem Weidenkorb. Freudestrahlend nahm sie ihn mit in die Kate.

„Heute lagen 12 Eier im Stroh“, verkündete sie der Mutter.

„Die können wir beim fahrenden Händler eintauschen.“

„Ich bringe Tante Berta ein Paar von den Eiern und tausche sie gegen Schafsmilch.“

„Nimm einen weiteren Korb mit, vielleicht findest du Pilze im Wald“, bat die Mutter.

 

Auf dem Weg zu Berta entdeckte sie Steinpilze, sie prägte sich die Stelle ein, um sie auf dem Nachhausewweg einzusammeln. Die Kate der Tante war eine der ersten am Rand des kleinen Dorfes. Berta hängte frisch gefärbte Wollstränge auf die Leine. Ein Rest Rohwolle wartete im gusseisernen Topf noch auf das Einfärben.

„Gott zum Gruße Berta, ich bringe ein paar Eier. Die Hühner legen gerade fleißig.“

„Du kommst zur rechten Zeit, ich habe frisches Brot gebacken. Bleibst du zum Probieren?“, erkundigte sich Berta.

„Da sage ich nicht nein.“

 

Über den holprigen Weg zog das Kaltblut gemächlich den schwer beladenen Karren des Krämers Tane. Zu Fuß kam der Knecht Ferek mit dem Wolfshund hintendrein. Er spannte das Pferd aus und hängte ihm einen Beutel mit Hafer um. Aus den Tiefen des Wagens lud er nach und nach Kisten, Truhen und Tonkrüge aus. Dann baute er das Zelt für das Nachtlager direkt neben dem Fuhrwerk auf dem Dorfplatz auf. Der Wolfshund des Krämers überwachte das Treiben. Martha hatte den Karren des Händlers gehört, als dieser an der Hütte vorbeifuhr.

 

„Tane der Krämer fuhr gerade vorbei. Vergelt´s Gott für das leckere Brot und die Kanne Milch. Jetzt muss ich schnell nach Hause, wir wollen die schönsten unserer Eier eintauschen.“ Martha lief in Windeseile mit Korb und Milchkanne zurück zur Mutter, die Pilze waren vergessen.

 

„Kind du bist ja ganz erhitzt, hast du einen Wettlauf gewonnen?“

„Tane ist angekommen, wir sollten gleich ins Dorf zum Tauschen gehen.“

Sie sortierte die Eier nach Farben und legte sie in den Henkelkorb. Obenauf lagen einige wenige Mehrfarbige. Die Hühner waren der stolze Besitz der Familie und wurden seit vielen Jahrzehnten gezüchtet. Diese Eier schimmerten in allen verblassenden Farben des Regenbogens, wenn das Hühnervolk regelmäßig Kräuter erhielt. Marthas Aufgabe war es, die Pflanzen jeden Tag frisch zu sammeln und einen Vorrat für den Winter zu trocknen. Wenn die getrockneten Kräutlein aufgebraucht waren, verblassten die Farben der Eier. Dann blieben sie einfarbig grün oder gelb.

 

Nach und nach füllte sich der Marktplatz. Die Dorfbewohner stellten sich in eine Schlange auf, viele Beladen mit Körben und Säcken. Als Martha mit ihrer Mutter am Dorfplatz ankam, hatte sich bereits eine Menschenschlange gebildet. Die Dörfler, die in einzelnen Katen außerhalb des Dorfes lebten, freuten sich über die Möglichkeit, ein Schwätzchen zu halten. Jerome, mit zwei Zicklein im Schlepptau stand direkt vor ihnen und war in ein Gespräch mit dem Bauern Ensel vertieft.

„Der Weizen ist dieses Jahr früher dran als sonst, jetzt kann ich dem Krämer schon zwei Säcke Korn mitgeben“, erzählte Ensel erfreut.

„Der Hafer steht auch bestens auf dem Feld. Hast du schon gehört? Des Königs neue Frau wird ein großes Fest feiern, weil sie guter Hoffnung ist“, ereiferte sich Jerome.

Mutter tauschte sich derweil mit Berta über das beste Rezept für Hefezopf aus. Auf Bertas Kraxe lagen einzelne Wollstränge in Purpur, Gelb, Grün und Blau. Als Martha und ihre Mutter an die Reihe kamen, rieb sich der Krämer in froher Erwartung die Hände.

„Ich warte schon auf euch Martha. Wie ich sehe, habt ihr wieder Regenbogeneier dabei. Legen die Hennen gut? Die Königin gibt ein Fest und braucht mehr von euren Eiern.“

„Die Hennen legen sehr fleißig. Seht nur, wir haben euch ein ganzes Dutzend in den schönsten Farben mitgebracht“, sprach Martha und trat an den Tisch, um den Korb zu übergeben.

„Wunderbar, verkauft mir einige Hühner für die Königin!“

Es wurde gefeilscht und verhandelt. Letztendlich bekam der Händler sieben frisch geschlüpfte Hennen für das Königspaar mit.

 

Viele Wochen später wurde die Familie im Morgengrauen durch lautes Pochen an der Tür geweckt. Vater Martel war als erster wach und zündete die Fackel am Herdfeuer an, er scheuchte die Frauen auf die Seite und öffnete die Tür.

„Seid ihr die Familie Maler mit den Regenbogeneiern?“, brüllte ein Stadtbüttel mit dem Wappen des Königs auf der Brust.

„Ich bin Martel Maler und wir haben Hühner auf unserem Gehöft“, erklärte der Vater wachsam.

„Dann seid ihr im Namen des Königs verhaftet“, sprach der Büttel, während seine Helfer Martel packten und ihm die Hände zusammen schnürten. Die Gruppe drehte sich um und zog ihn ohne Federlesen hinterher. Martha fasste sich ein Herz und lief Tross nach.

„Was wird meinem Vater vorgeworfen?“, rief sie den Männern zu.

„Bleib zurück Weib! Das erfahrt ihr morgen im Schloss bei der Gerichtsverhandlung.“

Martha sah ihnen verwirrt hinterher und ging zur Mutter nach Hause.

 

Am folgenden Morgen erwachten die beiden Frauen vor dem Morgengrauen. Nachdem sie die Hühner versorgt hatten, brachen sie zum Königshaus auf. Als sie beim Schloss ankamen, waren die Verhandlungen für diesen Tag schon im Gange. Nach endloser Zeit wurde endlich ihr Vater vorgeführt.

„Dem Martel Maler wird zur Last gelegt, den Krämer Tane arglistig getäuscht zu haben. Martel verkaufte Hühner für das Königshaus, die Eier in bunten Farben legen sollten. Die Eier der Hennen sind jedoch nur einfarbig gelb“, verkündete der Ausrufer.

„Packt den Lügner in den Kerker!“, befahl der König.

 

Martha wollte sich durch die Menschenschar drängen, um ihrem Vater beizustehen, doch die Zuschauer ließen sie nicht durch. Mutter zog sie zum Ausgang und weg von der Menschenmenge.

„Warum hat Vater nichts von den Färberkräutern erzählt, sich nicht verteidigt?“

„Die Kräuter sind ein Familiengeheimnis und nicht für fremde Ohren bestimmt. Das weisst du doch Kind.“

„Wir können Vater nicht im Kerker lassen, er hat nichts Unrechtes getan.“

Auf dem langen Heimweg besprachen die Frauen das Für und Wider. Sie beschlossen den König in das Geheimnis der Kräuter einzuweihen und ihm den Wintervorrat für seine Hühner zu überlassen.

 

Am nächsten Tag machte sich Martha erneut auf den Weg zum Schloss, im grossen Weidenkorb den gesamten Kräutervorrat. Als sie endlich zum Ausrufer vorgelassen wurde und sich erklärte, war die Mittagszeit längst überschritten.

„Ihr behauptet, das die Hühner farbige Eier legen, wenn sie diese Kräuter ins Futter gemischt bekommen?“, donnerte der König.

„Ja mein König, diese Kräuter habe ich selbst im Wald gesucht und getrocknet. Lasst sie über das Futter streuen und eure Diener werden bunte Eier in den Nestern finden.“

„So soll es geschehen! Ihr werdet euch in der Schlossküche nützlich machen. Wenn das Federvieh in drei Tagen keine Regenbogeneier legt, werdet ihr eurem Vater im Kerker Gesellschaft leisten.“

Ein Diener mit grauen Haaren zog sie am Arm hinter sich her in die Küche, wo sie mit Arbeit eingedeckt wurde. Als nach zwei Tagen die begehrten Eier im Hühnerhaus gefunden wurden, zeigte sich der König gnädig und ließ Martha und Martel nach Hause gehen.

 

Der Winter kam und zog vorüber und der Frühling weckte die Färberkräuter im Wald. Martha sammelte Kräuter und versorgte die Hühner, als eines Tages wieder der Büttel mit Dienern des Königs auf dem Hof erschien. Vater und Mutter halfen den Nachbarn beim Ausbringen der Saat, so dass sie den Männern allein gegenüber stand.

„Tochter des Martel, der König verlangt nach weiteren Kräutern für die Hühner. Führe uns in den Wald, zeige uns wo die Pflanzen wachsen.“

Martha zeigte den Dienern die Plätze mit den gewünschten Pflanzen. Mit Spaten wurden die Heilpflanzen ausgestochen, in Kisten verpackt und auf den Karren verladen. An allen Stellen blieb aufgeworfene Erde zurück. Ein trockener Sommer folgte und im nächsten Jahr fand Martha die Färberkräuter nicht mehr. Im Boden des Schlossgartens wuchsen die Kräuter aus dem schattigen Wald nicht an, so musste sich der König und die Königin mit einfarbigen Eiern begnügen. Der König verfügte, dass jeder der Eier in den Farben des Regenbogens besaß, in den Kerker gesteckt werden sollte. Dessen Hühner aber mussten dem Königshaus übergeben werden. Nach einigen Jahren gab es im ganzen Wald keine Färberkräuter mehr und somit keine Regenbogeneier. Die Erinnerung an die prächtigen Eier geriet in Vergessenheit.

 

Viele Jahre sind seitdem vergangen, Marthas Kinder versorgen morgens die Hühner der Familie. Diese suchen sich ihr Futter auf dem ganzen Hof. Manchmal läuft das Federvieh bis in den nahen Wald bei der Futtersuche. Die Kinder finden dann in den Nestern ab und an ein Regenbogenei.

 

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