Von Michael Kothe

Petra war eine begehrenswerte Frau, die Welt hätte ihr zu Füßen liegen müssen. Sie wohnte ein Stockwerk über mir, war Anfang 40 und sah verdammt gut aus. Stets folgte sie neuen Modetrends, verlor dabei aber nie Stil und Eleganz aus den Augen. Sie interessierte sich für Kultur, Politik und Technik, sie besuchte Konzerte und anspruchsvolle Vorträge. Dennoch war sie Single. Ich hatte sie als sehr aktiv kennengelernt, als den berühmten Hansdampf in allen Gassen. Andererseits beobachtete ich, dass sie, je mehr sie unternahm, umso mehr dem Gefühl erlag, etwas zu versäumen. Unsere Hausgemeinschaft war rührig, und so blieb es nie bei einem »Hallo, wie geht´s?«, wenn man sich über den Weg lief. Zwar lebte Petra zurückgezogen, aber die Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit ein paar Worte mehr als nötig zu wechseln, hatte auch sie angenommen. Nur erging sie sich nach den einleitenden Allgemeinplätzen in Klagen über ihre Arbeit ohne Aussicht auf eine wirkliche Karriere und darüber, dass sie den Richtigen aus der Elite der Reichen und Schönen noch nicht getroffen hatte. Auch schien Hochnäsigkeit mitzuschwingen, da ja nichts ihren Ansprüchen genügte.

Nun saßen wir uns an einem warmen Sommerabend unter bunten Lampions beim Nachbarschaftsfest gegenüber und beteiligten uns über den Tellerrand hinweg am Tisch­gespräch. Heute hatte sie ihre Überheblichkeit abgelegt, sie gab sich locker, humorvoll und keineswegs ichbezogen.

Die schwungvolle, unaufdringliche Musik und der leichte Tischwein sorgten für Unbeschwertheit und ermutigten mich, die kleine Episode zum Besten zu geben, die ich ein halbes Jahr zuvor erlebt hatte und die zum Gespräch passte.

»Ich habe drin gestanden, es geht wirklich! Aber das mit dem Schatz ist ein Märchen.«

Als ich das vom Regenbogen erzählte, riss Petra erstaunt die Augen auf und zwang mich weiterzureden.

»Im Februar war´s, ganz früh am Morgen und nur einen Kilometer von hier. Klirrend kalt, Eiskristalle schwirrten durch die Luft, sie war voll davon. Wer sagt denn, dass ein Regenbogen bunt sein muss? Meiner war silbern und endete auf dem Parkstreifen neben dem Bürgersteig. Ich fand´s lustig. Bloß einen Schritt trat ich zur Seite und stand mittendrin, ich sah mich in einem diamantenen Nebel gebadet. Nur nach der Kiste mit den Dukaten habe ich vergeblich geschaut.«

»Kein Scheiß?«

»Nein. Da war wirklich kein Schatz.«

»Thomas, ich meine deinen silbernebligen Regenbogen.«

»Er war da, und ich habe mich hineingestellt.«

»Muss ja ein tolles Gefühl gewesen sein! Aber warum erzählst du mir das?«

In dem Augenblick wurde unser Gespräch unterbrochen. Überrascht blickten wir auf und bedankten uns bei dem Nachbarn, der uns zu seinem freiwilligen Grill-Dienst auch noch bediente: Lächelnd hielt er uns einen Teller voller Nackensteaks und Bratwürste hin. Nach einer Minute nahmen Petra und ich das Gespräch wieder auf. Ich rief mir ihre letzte Frage ins Gedächtnis, erstaunt über die darin enthaltene Wendung.

»Warum ich dir das erzähle? Eigentlich war es nicht an dich gerichtet, ich habe es einfach so erzählt. Aber wenn du willst, habe ich auch einen Grund, es dir zu erzählen. Ein paar Jahre lang wohnen wir schon Tür an Tür. Selten nur habe ich dich lachen gesehen, und bei jedem zweiten Gespräch im Treppenhaus beklagst du dich übers Alleinsein und über deinen tristen Beruf. Dein Prinz ist noch nicht erschienen, um dich wachzuküssen, und deinen Traumjob hat dir auch noch keiner angeboten. Hast du dich um beides überhaupt bemüht? Ich hatte …«

Ihre heftig vorgetragene Antwort gab zu verstehen, dass genau dies zu erreichen, ihr Lebensziel schien. Und das versprach sie mit Verbissenheit zu verfolgen.

»Doch, habe ich! Ich habe mich bei Partnerbörsen angemeldet, und die Stellenanzeigen in der Süddeutschen und in der Frankfurter lese ich auch regelmäßig.«

»Und mit dieser Auswahl baust du weiterhin Luftschlösser! Dein Traumprinz ist vielleicht noch nicht geboren, und wenn er irgendwann wirklich zur Welt kommen sollte, bist du, verzeih mir, schon ein wenig zu alt für ihn.« Ich zog die Mundwinkel nach oben, und bevor Petra etwas erwidern konnte, redete ich weiter. »Außerdem: Wenn alle nur auf ihren Prinzen warten, wer nimmt dann noch uns Normale?«

»Du hast … dich … in mich …? Du hast nie ein Wort darüber verloren!«

Diesmal verzog ich meinen Mund zu einem breiten Grinsen.

»Nee, da hätten wir uns schon zehn Jahre früher kennenlernen müssen. Jetzt bleibe ich bei der Meinen. Und das andere: Du hast eine feine und gut bezahlte Stelle. Wenn jeder noch höher hinaus will, frage ich mich, wer dann noch zum Arbeiten bleibt. Nochmal. Hör auf, im Wolkenkuckucksheim zu leben und komm zurück auf die Erde! Der Schatz liegt nicht am Ende des Regenbogens, an keinem der beiden!«

Mit meinem Ratschlag musste ich Petra vergrault haben. Missgelaunt stand sie auf und schob sich mit ihrem halbvollen Teller und einem gebrummten »Kümmere dich um deinen eigenen Kram!« auf die Bank in meinem Rücken.

Kurze Zeit später standen wir nebeneinander am Tisch mit den Salatschüsseln. Selbstbedienung diesmal. In Petras Blick lag etwas Vorwurfsvolles, vielleicht sogar Verachtung.

»Du und dein Schatz unterm Regenbogen. Bist du neidisch, weil ich noch Ehrgeiz habe? Wie die meisten hier bist du doch auch ein antriebsloser Spießer und gibst dich mit dem zufrieden, was du erreicht hast, und traust dir mehr nicht zu.«

Die Betonung des Wortes erreicht fiel mir auf. Den ironischen Unterton behielt ihre Stimme bei.

»Das ist einer der Gründe, warum ich in zwei Wochen ausziehe. Nein, nicht du, sondern die ganze Hausgemeinschaft, bei der sich jeder auf seinen Lorbeeren ausruht. Was auch immer er oder sie glaubt, geleistet zu haben!«

Ihr Teller war nun voll, und ohne ein weiteres Wort ließ sie mich stehen.

 

Der Winter hatte mit Frost und Morgennebel Einzug gehalten. Mein Weg führte mich wieder an der Stelle vorbei, und eine Erinnerung stieg in mir hoch. Es war die gleiche Uhrzeit, und ich hatte eine ähnliche Besorgung zu machen wie vor nicht ganz einem Jahr. Die Kombination von Ort, Zeit und Absicht ließ mich unwillkürlich innehalten. Vier Schritte ging ich weiter und stand genau dort, von wo aus ich in den kristallenen Regenbogen getreten war. Leise kicherte ich amüsiert über mein Unterbewusstsein, das anscheinend eine Wiederholung des einmaligen Erlebnisses erwartet hatte. Ich sah mich um, es gab keinen Regenbogen. Weder einen farbigen noch einen reinsilbernen.

Dafür sah ich sie. Noch wenige Schritte, und sie wäre an mir vorbeigegangen, ohne von mir Notiz zu nehmen.

»Petra! Eine Ewigkeit …«

Ein Lächeln des Wiedererkennens huschte nun doch über ihr Gesicht.

»Mensch, Thomas, das ist schön, dich zu treffen.«

Ihre Augen leuchteten, ihr Teint war frisch und rosig. Sie sah fröhlich aus, unbeschwert und unbekümmert. Für mich war das ein ungewohnter Anblick, soweit ich mich auch zurück erinnerte. Mein Kompliment war aufrichtig.

»Du siehst prima aus, so, als ob es dir richtig gut ginge.«

»Geht es mir auch. Aber du scheinst nachdenklich. Ist irgendetwas? Hoffentlich nichts Schlimmes!«

Ganz kurz schüttelte ich den Kopf.

»Gewiss nicht! Ich hatte nur angehalten, weil es genau hier gewesen ist, …«

Kleine senkrechte Falten zogen zwischen ihren Augenbrauen auf, ihr Blick ließ von mir ab und wanderte zum Bordstein neben uns, fing dann den silbern-weißen Himmel ein und fuhr schließlich hinab auf den Parkstreifen. So schnell geschah das, dass sie meinen angefangenen Satz ohne eine spürbare Pause fortsetzte.

»… wo du den Regenbogen gesehen hast, …«

»… in den ich mich hineingestellt habe. Aber er ist nicht da. Eigentlich hatte ich es auch nicht erwartet.«

Sie legte den Kopf schräg und sah mich nachdenklich mit weit geöffneten Augen an.

»Lange habe ich gebraucht, um es mir einzugestehen. Immer wieder ging mir dein Spruch durch den Kopf. Du hattest Recht. Ich sollte keinen Wunschträumen nachjagen.«

Ich zog die Brauen hoch. Mit diesem Geständnis hatte ich nicht gerechnet nach unserem letzten Gespräch beim Sommerfest. Seitdem waren wir uns nicht mehr begegnet, und sie war ausgezogen, als ich auf einer Geschäftsreise war.

Ihren ersten Halbsatz hatte ich verträumt.

»… habe ich gekündigt und arbeite jetzt bei Heppenstedt & Co in der Kundenbetreuung. Da bin ich zuständig für Südeuropa.«

Die Firma kannte ich, von Berufs wegen hatte ich zufällig tiefere Einblicke. Und war erstaunt.

»Da verdienst du doch weniger als bei deiner früheren Stelle. Hast du deine Ansprüche zurückgeschraubt? Was ist aus deinen hochfliegenden Plänen geworden?«

Ihr Lächeln drückte Zufriedenheit aus und Selbstsicherheit, kurz: die Überzeugung, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben.

»Denk an den Schatz, der eben nicht am Ende des Regenbogens liegt! Das Ende habe ich gefunden. Emotional natürlich. Und da lag doch ein Schatz, nämlich die Erkenntnis, wie wichtig es ist, ohne Stress tun zu dürfen, was einem liegt und was einen ausfüllt. Das mediterrane Flair, das in meine neue Arbeit hinein strahlt, macht alles andere wett. Ach, übrigens, …« Petra löste den Blick von mir und schaute über meine Schulter den Bürgersteig entlang. »Auf den Traumprinzen in glänzender Rüstung und hoch zu Ross warte ich auch nicht mehr. Darf ich dir Dieter vorstellen, meinen Mann?«

Meine Frage war spontan und unüberlegt, aber von aufrichtigem Interesse.

»Und? Seid ihr glücklich miteinander?«

Ihr Blick, ihre Worte und ein verhaltenes Schnaufen hinter mir machten, dass ich mich umdrehte.

Ein Mittvierziger stellte sich zu uns. In beiden Händen trug er Einkaufsbeutel. Jute statt Plastik. Sportschuhe, graue, leicht ausgebeulte Jeans und Parka. Erwartungsvoll strahlte er uns an und nickte mir zu. Sein Blick war offen, sein Gesicht sympathisch. Seinem Auftreten nach zu urteilen schienen das schüttere Haar und die Brille seine Zufriedenheit ebenso wenig zu beeinträchtigen wie das Gewicht der Einkäufe. Petra hatte ihrem Prinzen wirklich den Laufpass gegeben: Dieter war so normal wie du und ich.

Bevor wir weitere Worte wechselten, strahlte sie mich an und nickte.

»Ja. Glücklicher geht´s nicht.«

 

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