Von Juliane Soain
„Was wird wohl passieren, wenn der Regenbogen aufhört zu leuchten?“, schreit Heli wütend ihrem Kameraden hinterher.
Langsam dreht sich Jeff ihr zu. „Es interessiert mich nicht im Geringsten. Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich muss einen Eingang finden.“
Heli weiß nicht, was sie sagen soll. Verzweiflung steht in ihr Gesicht geschrieben. Schon immer ist Jeff etwas schroff gewesen, aber dass ihn ihre Meinung überhaupt nicht interessiert, das hat sie bisher noch nicht erlebt.
„Verehrte Heli“, kommt Soranius um die Ecke. Ihr bleibt keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.
„Ich brauche deine Hilfe. Könntest du mir noch mal die Wundheiltechnik von gestern erklären? Ich glaube, du warst etwas zu schnell für mich“, fängt er verlegen an zu lächeln.
„Na klar. Lass uns zu Mari gehen und nach ihr sehen.“
„Verehrte Heli, du wirkst so traurig. Ist alles in Ordnung bei dir?“
„Ach, nur ein kleiner Streit unter Kameraden. Zeigst du mir den weg?“, wiegelt sie Soranius Frage ab.
Während sich die Beiden auf den Weg zu Mari begeben, schleicht Jeff durch die Gassen. „Irgendwo muss doch dieser Eingang sein“, sucht er verzweifelt danach.
„Wieso bloß funktioniert dieser dämliche Scanner nicht, wie er soll?“, schlägt er das Gerät mehrmals gegen seine Schulter, bis es endlich ein klares Bild liefert.
„Na endlich“, doch plötzlich bleiben dem sonst so redegeschickten Jeff, die Worte im Halse stecken. Wenn der Scanner seinen Ping rausschickt, offenbart sich eine riesige, unterirdische Anlage. Alle paar Sekunden. Sein Herz schlägt schneller. Damit sich ein Gesamtbild ergibt, stellt Jeff den Scanner um.
Seine Hand schnellt zum Funkgerät hoch. „Heli, das ist der reine Wahnsinn, was ich entdeckt habe. Das musst du dir ansehen“, doch plötzlich wird die Verbindung unterbrochen.
„Oh man, die ist wohl immer noch sauer.“
„Nun gut, konzentrieren wir uns auf die Anlage“, wischt er auf dem Scanner herum, bis er den vermeintlichen Eingang gefunden hat.
Jeff ist leicht verstimmt, als er diesen endlos langen Zugang zur Anlage bis zum Ende nachverfolgt hat. „Das ist aber ganz schön weit draußen. Nun ja, hilft ja nichts.“
Während Jeff sich zum Eingang bewegt, zeigt Heli den Einheimischen ihre Wundheiltechnik. Doch plötzlich werden sie gestört.
„Verehrte Heli, was war das für eine Stimme?“, wundert sich Soranius.
„Das war nur Jeff, der Plagegeist. Ich habe ihn vorerst stumm geschaltet. Nun sollte er uns nicht mehr stören.“
„Ihr Beiden bleibt für mich ein Rätsel. Ihr steckt voller Magie und Überraschungen. Obwohl ich Jeff nicht in der Nähe sehen kann, habe ich seine Stimme gehört. Jeden Tag überrascht ihr mich aufs Neue.“
Plötzlich kommt der Hohepriester dazu. „Verehrte Heli, habt ihr einen Moment für mich? Ich würde gerne mit dir etwas Dringendes besprechen.“
Heli nickt und wird mit einer Handgeste aufgefordert zu folgen. Im Zimmer des Hohepriesters schildert er ihr die Lage. „Mein Volk hat Angst. Schon seit längerer Zeit sieht es so aus, als ob der Regenbogen dabei ist zu vergehen. Er ist nicht mehr so farbenfroh und intensiv wie damals.“
Schweren Herzens erzählt er weiter: „Leider flackert der Regenbogen in letzter Zeit immer häufiger. Die Abstände werden kürzer. Ich bin sehr besorgt, was passieren wird.“
Weiterzureden fällt ihm sichtbar schwer. “Heli, ihr scheint ein besseres Verständnis von der Welt zu haben. Bitte helft uns.“
Während Heli von der Bitte des Hohepriesters völlig überrascht ist, kommt Jeff nicht so recht damit klar, was er entdeckt hat.
Er steht vor einem Bunker. Eine massive Tür versperrt den Weg. Mit seiner Hand wischt Jeff den Staub von der Stelle weg, an der etwas geschrieben steht. Daneben sind eindeutig die Landesflaggen abgebildet.
Unmöglich. Was hat die Earth Space Association damit zu tun?
Plötzlich klappt an der Wand ein Terminal auf und erwartet eine Eingabe. Reflexartig tippt Jeff den Standardauthentifizierungscode für militärische Gebäude ein. Als die Tür aufgeht, beschleicht ihn ein mulmiges Gefühl.
Vielleicht finde ich heraus, wie alt das Gebäude ist. Doch der Scanner verweigert gerade seinen Dienst.
„Auch das noch!“, flucht Jeff, während er vorsichtig den notbeleuchteten Gang entlangschreitet. Plötzlich beginnen sich die Lampen mit jedem seiner Schritte einzuschalten. Seinen Schätzungen zufolge ist der Tunnel ungefähr 800 Meter lang. Genug Platz für tödliche Fallen. Doch wider Erwarten durchschreitet er diese Strecke ohne eine einzige Verletzung. Ein dunkler Raum, der spärlich erleuchtet ist, erwartet ihn am Ende. Es dauert einen Moment, bis die Automatik das Licht einschaltet.
All das kommt ihm sehr vertraut vor. Allerdings brennt ihm erst mal eine andere Frage auf der Zunge. „Computer?“
„Wie kann ich helfen?“, antwortet ihm eine Stimme.
Eindeutig eine Computerstimme, aber keine mir bekannte.
„Wann wurdest du in Betrieb genommen?“
„BB 11812472122:1400“
Nachdem Jeff kurz nachgegrübelt hat, kann er es immer noch nicht glauben.
Zweifel liegt in seiner Stimme. „Diese Datierung haben wir erst vor 1000 Jahren eingeführt. Die Anlage soll 400.000 Jahre alt sein?“
„Ich war sehr lange allein.“
Für einen Moment versucht Jeff klare Gedanken zu sammeln.
Alles ist sehr staubig.
Konsolen sind mit Tüchern abgedeckt.
Code und Datierungsformat entspricht unserem.
ESA und Flaggen wirkten authentisch.
Mit seiner Hand zieht Jeff, ein an der Wand aufgehängtes Tuch zur Seite. Zu Übertragungszwecken hat man die Flaggen manchmal verborgen.
Vorhin ist es mir gar nicht aufgefallen, aber sie unterscheiden sich in Details von unseren.
Unaufgefordert meldet sich der Computer zu Wort. „Ich verstehe, dass alles für dich sehr verwirrend sein mag. Schließlich seid ihr meinem Signal hierher gefolgt.“
Das stimmt. Ein Notrufsignal hat uns hierhergeleitet, das wir vor Wochen entdeckt haben.
„Du bist nicht der erste Besucher, der ratlos in diesem Raum steht.“
Aber das hilft mir nicht weiter. Damit verwirrst du mich noch mehr.
Was bedeutet das? Jeff kann nicht mehr klar denken und stammelt vor sich hin: „Der Wievielte bin ich denn?“
„Nummer 6.“
Wenn ich nicht der Erste bin, warum wissen wir nichts von diesem Ort?
„Computer, was ist das hier für eine Anlage?“, fragt Jeff, um mehr darüber zu erfahren.
„Am ehesten triff wohl Wissensspeicher zu. Ich bin davon ausgegangen, dass du hergekommen bist, um einen Transfer vorzunehmen.“
Da beschließt Jeff ihn gleich zu fragen. „Was ist mit den Anderen passiert?“
Als der Computer nicht reagiert, rechnet Jeff mit keiner Antwort mehr. „Das kann ich dir leider nicht beantworten. Ich habe allerdings einige Abweichungen in den Daten festgestellt. Im Schnitt erscheint jemand alle 40.000 Jahre. Es sieht so aus, als ob es nicht alle Generationen hergeschafft haben. Im Großen und Ganzen scheinen sich die Daten aller Zyklen zu decken. Jedoch stießen zwei Generationen, zum Ende hin, auf außerirdisches Leben. Für eine tiefgreifendere Analyse benötige ich präzisere Anweisungen.“
Verschiedene Horrorszenarien spielen sich dank diesem Wissen in Jeffs Kopf ab. Seine militärischen Kenntnisse lassen ihn nur zu dem einem Ergebnis kommen. „Das wird nicht notwendig sein.“
Plötzlich kommt ihm Heli in den Sinn. „Warum flackert der Regenbogen? Die Bevölkerung mach sich große Sorgen, dass er ausgehen kann.“
„Die Systeme arbeiten mit maximaler Leistung, gespeist von einer unerschöpflichen Energiequelle. Ich musste eure Ankunft vorbereiten. Eventuell sind einige Spannungswandler etwas in die Jahre gekommen.“
Eine kurze Pause später, fährt der Computer etwas traurig fort. „Meine Systeme wurden noch nie gewartet. Vermutlich kommt das Flackern zustande, wenn zu viel Leistung entnommen wird.“
Plötzlich fängt eine Konsole an zu blinken. Minutenlang starrt Jeff auf die Konsole, bevor er das Tuch abstreift, welches sie vor Schmutz schützt.
Langsam öffnen sich drei Fächer. Eins nach dem anderen.
„In deiner Haut möchte ich jetzt wahrlich nicht stecken. Du hast drei Möglichkeiten.“
„Fach eins macht dich zu einer allwissenden Person.
Fach zwei transferiert das vorangegangene Wissen und ergänzt sich mit eurem.
Fach drei gibt dir Zugang zu der unerschöpflichen Energiequelle.“
Mit der Energiequelle könnten wir das Raumschiff wieder reparieren. Dafür würde mich Heli vermutlich lynchen. Allwissend zu sein, wäre auch verlockend. Zu lernen erscheint mir der unattraktivste Weg.
Ach was soll ich bloß machen?
Jeff dreht Kreise. All das macht ihn wahnsinnig. So viele Neuigkeiten und nicht mal gute.
Seine Haare raufend schriet er heraus: „Ich brauche Bedenkzeit!“
Während Jeff eine schwere Entscheidung treffen muss, vermisst Heli ihren Kameraden inzwischen.
„Heli, warum bist du so traurig?“, fragt Soranius. Seine angenehme Stimme beruhigt sie etwas.
„Ach, Jeff ist verschwunden. Ich kann ihn schon seit Tagen nicht mehr erreichen.“
Mit tröstenden Worten, versucht er sie aufzuheitern. „Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht.“
„So wie der Regenbogen die letzten Tage geflackert hat und sogar für kurze Zeit ausgefallen ist, beunruhigt mich eher, was Jeff anstellt.“
Darauf weiß Soranius nun auch keine Antwort. Aber die ist auch nicht mehr notwendig. Jeff kommt gerade über den Hauptplatz auf sie zu. Als Heli ihren Blick über ihn streift, entdeckt sie zahllose Schrammen und Verbrennungen.
Zumindest blutet er nicht und auch weder Explosionen noch Schüsse habe ich irgendwo gehört.
„Was für einen Unsinn hast du wieder angestellt?“, fährt sie ihn an.
„Hab Wartungsarbeiten durchgeführt.“
Dann öffnet er seine Handfläche und gibt den Blick auf ein kleines Objekt preis: „Ob es Unsinn war, wird sich erst in Zukunft zeigen.“
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