Von Heinz-Helmut Hadwiger

Unter dem Vordach unseres Wohnwagens saßen wir beieinander, Sophie und ich, und warteten auf das Einsetzen des Regens, der sich durch dunkle Wolken angekündigt hatte.

Schon prasselten die ersten Sturzbäche herab, und wir genossen die willkommene Abkühlung.

Aber ebenso plötzlich, wie der Regen eingesetzt hatte, hörte der Guss wieder auf, und in unserem Rücken brach die Sonne hinter den Wolken hervor.

Da kam auch schon der Regenbogen, jenes atmosphärisch-optische  Phänomen, das als kreisbogenförmiges farbiges Lichtband in einer von der Sonne beschienenen Regenwand oder -wolke wahrgenommen wird, wobei das Sonnenlicht  beim Ein- und beim Austritt an jedem annähernd kugelförmigen Regentropfen abgelenkt und in Licht mehrerer Farben zerlegt wird.

Sophie sprang freudig auf und meinte, man müsste doch feststellen können, wo dieser bunte Regenbogen letztlich die Erdoberfläche träfe. Vielleicht  könnte man ihn dort berühren oder gar besteigen.

 Diese Aufgabe zu lösen, wurde ihr zu einem besonderen Anliegen.

Doch wie wollte sie das anstellen?

Sie würde sich dem Regenbogen nähern, wobei ich sie mittels meines Handys einweisen müsste, wohin sie sich jeweils wenden sollte.

Ich hielt es für ratsam, Hammer und Schere mitzunehmen. Vielleicht könnte sie vom Regenbogen ein Stück abschneiden oder abschlagen.

Dazu bräuchte sie dann aber auch einen Korb, um ihre Beute heimzubringen, ergänzte Sophie.

So ausgerüstet,  trat sie ihre Expedition an.

Zuerst ging sie gerade auf den Regenbogen zu, was bewirkte, dass sie zu weit nach rechts und dorthin geriet, wo der Bogen bereits so hoch war, dass sie ihn nicht erreichen würde können.

Ich dirigierte sie übers Handy weiter nach links.

Nach einer guten halben Stunde hatte Sophie etwa drei Kilometer zurückgelegt und vermutete, schon auf  Höhe des Regenbogens zu sein. Durch mein Fernglas, mit dem ich das Ende des Regenbogens beobachtete, hatte auch ich diesen Eindruck.

 Ich trug Sophie auf, mit dem Hammer nach vorne zu schlagen, in der Hoffnung, sie träfe den Regenbogen.

Sie befolgte meinen Rat, traf aber ins Leere.

Dann müsse sie noch näher heran, schlug ich ihr vor.

Nach weiteren einhundert Metern wiederholte sie ihren Abklopfversuch, stieß jedoch  abermals ins Leere.

Aus ihrer Position konnte sie den Regenbogen nämlich nicht mehr wahrnehmen, so dass sie sich ganz auf meine Instruktionen verlassen musste.

Nun schien sie mir schon in die Farben des Regenbogens eingetaucht zu sein, weshalb ich sie aufforderte, ein Stück davon herauszuschneiden.

Die Schere entglitt ihrer Hand, da sie auf keinen Widerstand traf.

Auch für mich änderte sich die Lage insofern, als ich das linke Ende des Regenbogens nicht mehr sah,  weil es sich gehoben hatte und offenbar nicht mehr in die Erde stach.

Ich verordnete Sophie eine Pause, in der ich versuchen wollte, das für mich sichtbare linke Ende des Regenbogens auf einer Höhe von etwa achtzig Metern  bis zur Erde zu verlängern und danach zu entscheiden, wie weit Sophie noch gehen müsste, um unter dem Regenbogen zu stehen.

Ich schätzte; noch einmal hundert Meter.

Nachdem sie diese Strecke zurückgelegt hatte, schlug ich ihr vor, sich irgendwo eine lange Leiter auszuleihen, mit deren Hilfe sie bis zum sichtbaren linken Ende des Regenbogens hochklettern könne.

Das scheiterte daran, dass dort keine Häuser waren, wo sie hätte vorsprechen können.

Deshalb riet ich ihr, einen  Stein aufzuheben und in Richtung des Regenbogens, nunmehr aus meiner Sicht nur mehr gerade hinauf,  zu werfen.

Ich erwartete,  ihren Treffer daran zu erkennen, dass ich ein klingendes Geräusch vernähme.

Obwohl Sophie drei Versuche unternahm, landete sie keinen Treffer.

Was konnte sie noch machen?

Auch ich war mit meinem Latein am Ende.

Schließlich fiel mir noch die entfernte Lösung ein, einen Kranwagen hinzubestellen, mit dessen Hilfe sie bis zur Höhe des sichtbaren linken Endes des Regenbogens zu gelangen versuchen könnte.

Dies schien ihr zu aufwendig und zu teuer. Sie sprach vielmehr einige Passanten an, sie mögen ihr eine Art Räuberleiter bilden, mit deren Hilfe sie bis an den Regenbogen zu gelangen hoffte.

Plötzlich verfinsterte sich jedoch der Himmel, eine Wolke war vor die Sonne getreten, und der Regenbogen fiel in sich zusammen.