Von Renate Oberrisser

„So, jetzt zeig ich dir noch schnell wie das geht. Das ist so und hier so und dann so.“  Mira verteilte mehrere Zettel über ihren Schreibtisch, sortierte hier und dort ein wenig herum und legte den Stapel wieder in die Schütte mit der Aufschrift Retoure. „Aber grundsätzlich werde ich das, genauso wie die Abrechnungen und die Bestellungen und die … , in Zukunft noch selber machen. Nur damit du es einmal gesehen hast. Wenn es dich freut, könntest du vielleicht die Lieferscheinnummern heraussuchen und drauf schreiben.“ Petra unterdrückte ein perplexes Kopfschütteln bei dem Gedanken der durch ihren Kopf schwirrte: ‚Na, wenn das so weiter geht, kann es noch spannend werden!‘

 

„Und das ist unsere Mira. Das Abteilungskücken und unser Wunderkind. Es war so ein Segen, als sie vor ein paar Jahren bei uns angefangen hat.“ So stellte die Chefin ihr die Kollegin vor, die für ihre Einschulung zuständig sein sollte, daran musste Petra immer wieder mal denken.

 

„Kannst du dich noch an die Ulla erinnern?“ Mira presste den Telefonhörer mit der Schulter ans Ohr. „Echt nicht, Tommi? Das war doch die, die immer so gejammert hat, wegen Überforderung, wenn ich mal auf Urlaub war. Na, jedenfalls hab ich sie gestern zufällig getroffen. Zugenommen hat sie auch anständig. Aber egal. Wann kommst du wieder mal ins Büro?“ Petra machte sich auf eine längere Beschallung gefasst. „Aber geh, Tommi. Nein. Nein. Du bist aber ein Schlimmer … Kicher, kicher …  Ja das sagst du immer. Ich glaub dir das schon lange nicht mehr … Nana, so kannst du mich nicht überzeugen … Also bis Mittwoch. Bringst uns was mit, weißt eh, zum Kaffee.“

 

„Du Chefin, hab ich dir schon erzählt, dass ich die Ulla gestern getroffen hab. Zugenommen hat sie, ich hab mich richtig erschrocken.“ An den vertraulichen Ton zwischen der Chefin und den jungen Kolleginnen war Petra inzwischen gewöhnt.

„Mira, kannst du mir das nochmal einstellen am PC. Weißt eh, ich und die EDV.“ Die Chefin und Mira verschwanden in den hinteren Büroräumen.

Petra erinnerte sich daran, bei ihrem Vorstellungsgespräch einer extrem schlanken, freundlichen aber zurückhaltenden Person begegnet zu sein. Ulla, wie sich im nach hinein herausstellte. Das leise „Alles Gute …“ klang öfters mal in ihrem Kopf nach.

 

„Guten Morgen, ihr zwei. Das muss ich euch unbedingt erzählen. Ich war am Freitag doch im Theater. Es war so lustig. Da sagt er doch gleich zu Beginn … haha.“ Petra versuchte nach einer kurzen Atempause die Szene besonders originalgetreu wiederzugeben. Mira und Sarina wechselten lethargische Blicke.

„Hast du die neue Folge gesehen. Wie der Kev versucht hat die Angie herumzukriegen. Ich bin schon gespannt, wer mit wem … Echt geil der Typ.“ Während Mira auf den Knopf des Kaffeeautomaten drückte lächelte sie verklärt. Sarina tippte auf dem Handy herum und hielt es Petra unter die Nase.

„Das ist der Typ. Schade, dass du dir keine von unseren Serien ansiehst, sonst könnten wir gemeinsam darüber ablästern.“  Mit dampfenden Kaffeetassen und von Schokolade und Zucker ertränkten Teigringen verließen sie tuschelnd die kleine Kaffeeküche. Petra atmete, nicht zum ersten Mal, tief durch bevor sie den beiden folgte.

 

„Oh wie schön Sarina! Du hast heute wieder das hübsche Kleid an. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, dass du es bei deinem Vorstellungsgespräch getragen hast. Wie eine Prinzessin hab ich mir damals gedacht.“ Déjà-vu dachte sich Petra bei den Worten der Chefin, die mit einigen Paketen beladen ins Büro kam. „Kann wer dem Karli sagen, dass er die zur Post bringen soll, die müssen retour geschickt werden.“

„Zum Glück sind es nicht mehr als drei auf einmal, sonst wäre es sicher zu viel für unseren Karli.“ Sarina und Mira amüsierten sich köstlich über ihren Witz.

„Aber eines muss man schon sagen, er ist immer sehr hilfsbereit, der Karli. Jeder andere würde sich beschweren, wenn ständig fünf gleichzeitig was von ihm wollen.“ Petra konnte sich diesen Seitenhieb in Richtung der jungen Kolleginnen nicht verkneifen.

„Du Chefin, der Paketbote hat vorhin etwas für dich gebracht.“ Beide verschwanden wie an Weihnachten, voller Vorfreude, mit mehreren Päckchen ins Büro der Chefin. Das Petra ohne Internet-Shopping auch tragbare Mode besaß, war nur einmal kurz und verwundert thematisiert worden.

 

„Aber sicher doch Schnurli … Weißt ja eh was ich meine … Na, hör mir auf damit. Kicher, kicher … Ja sicher, das ist schon für dich hergerichtet.“ Sarina meistert perfekt den Spagat zwischen zwei Gesprächen. „Miri, das für Tom ist schon hergerichtet, oder?“

„Also dann bis Mittwoch und du nimmst was Leckeres mit, hat Miri gemeint.“

Petra erkannte bereits am Tonfall, mit wem ihre Kolleginnen telefonierten.  Die Gespräche variierten zwischen girrender und neutraler Artikulation, je nach Anrufer. War sie wirklich so anders gestrickt als die Kolleginnen?

 

„Na leck. Das wäre mir ja viel zu fad. Wofür musst du das machen. So eine lange Excel Liste. Nein, das würde mich nicht freuen.“ Bei derartigen Statements von Sarina gelang es Petra oft, aber nicht immer, auf Durchzug zu schalten. Es wäre mehr als genug, wenn die motivierte Kollegin nur ihre eigene Arbeit derartig kommentieren würde.

„Duuu Miri, kannst duu mir daaa mal helfen.“  Augenblicklich wusste Petra, dass die, zugegebenermaßen wirklich, langweilige Bearbeitung der Liste nun mühevoll werden würde.

 

„Sarina, jetzt reicht es aber endgültig. Auch wenn es nicht dein Aufgabenbereich ist, bist du doch auch dazu angestellt worden um mitzuhelfen wenn Not am Mann ist. Ich kann auch nichts dafür, dass es am heutigen Fenstertag rund geht wie beim Ringelspiel. Jutta ist neu und hilft auch mit so gut sie kann. Also hör endlich mit der privaten Telefoniererei auf und hebe auch mal beim Firmentelefon ab.“ Viel zu selten fuhr Petra aus der Haut.

„Ich bin nicht die Einzige, die privat telefoniert“, mokierte sich Sarina.

„Und ich nicht die Einzige, die heute dazu schauen muss, dass alles läuft. Und wer hier nur in Ausnahmefällen telefoniert, dass muss ich dir wohl nicht sagen!“

Für den Rest des Tages herrschte scheinheilige Ruhe. Vor Dienstschluss suchte Petra nochmal ein klärendes Gespräch mit Sarina.

 

„Ich hab diese Telefoniererei heute auch als überaus unangebracht empfunden. Ich hätte dir gerne mehr geholfen, aber bei vielem kenne ich mich ja noch nicht aus.“

„Du hast mehr als genug geholfen. Danke liebe Jutta. Schönes Wochenende.“ Petra winkte der Kollegin zu und ging zu ihrem Auto.

 

„Petra, die Chefin hat mich gefragt, was den am Freitag los war.“ Petra sah Jutta verwundert an. Hatte sie sich gerade verhört. Sie dachte eigentlich, dass der Vorfall mit der Kollegin bereits geklärt gewesen wäre. Das die Chefin nicht direkt mit ihr sprach, verblüffte sie dann doch oder nein, nicht wirklich. Aus undefinierbaren Gründen klaffte ein unsichtbarer und unüberwindbarer Graben mitten im Büro.

 

„Jutta, gehst du mit eine rauchen?“ Die Chefin winkte mit ihrem Päckchen zur Tür herein. „Hast du das Foul am Sonntag auch gesehen. Der Schiri hat da vollkommen geschlafen. Trotzdem tolle Leistung von unseren Jungs …“

 

„Ich hab beim Bezirks-Senioren-Tanzwettbewerb mitgeholfen. Hab ich euch das schon erzählt. Da sind so großartige Talente dabei. Da kann man sich viel abschauen von den Senioren.“ Petra bewunderte wieder einmal das geneigte Interesse der vielfältigen Zuhörerschaft auf dem Parkplatz vorm Bürofenster.

 

„ … ja toll, freue mich schon auf nächstes Wochenende. Mein Mann kommt diesmal auch mit zum Spiel. Ob es nachher auch wieder die guten Würste vom Grill geben wird?“ Jutta brachte einen Hauch von Zigarettenaroma mit ins Zimmer, packte ihre Sachen zusammen und verabschiedete sich in den wohlverdienten Teilzeitmitarbeiter-Feierabend.

 

„Och, hab ich heute wieder Kopfschmerzen. Das zieht so richtig vom Nacken rauf.“ Sarina betrat mit einer Dose ‚Energie‘ in der Hand, jammernd das Bürozimmer. „Aber sag mir nicht wieder, dass ich Sport machen soll, Petra.“

„Ich hab mich heute in der Nacht auch verrissen. Ich weiß gar nicht, wie ich da getan habe. Jedenfalls zieht es hier an der Seite fürchterlich.“ Mira kramte in ihrer Handtasche. „Oh je. Ich hab leider nichts dabei. Aber die Chefin hat sicher irgendwo eine Schmerztablette.“

 

Petra war froh, dass sich die Kolleginnen entweder beim Bäcker nicht zwischen den Jausenbroten entscheiden konnten oder ausnahmsweise verschlafen hatten. Das Gejammere, es sei so kalt im Büro, musste sie nicht jeden Morgen mitanhören. Sie räumte in der Küche den Geschirrspüler aus und das herumstehende Geschirr vom Vortag ein. Petra genoss dabei den  angenehmen Lufthauch der durch die Büroräume strömte. Als jemand die Eingangstüre öffnete, fiel das Fenster im Nebenzimmer laut knallend zu. Erschrocken stürzte Petra ins Büro der Chefin.

„Das hab ich nicht gewollt“, rief Karli.

„Nichts passiert“, erwiderte Petra erleichtert. Der heftige Luftstoß hatte nur einen Ordner vom Schreibtisch geworfen. Sie bückte sich, um die verstreuten Zettel einzusammeln. Ihre Augen blieben an einem hängen. 

 

Petra drehte ihre linke Hand hin und her, den Daumen weit abgespreizt von den anderen.

„Wer bin wohl ich von den Fünfen?“ fragte sie ihren Freund bei einem abendlichen Gläschen Wein. „An meiner Arbeit kann es nicht liegen. Da kann sich wirklich niemand beschweren. Und es darf doch wohl sein, dass man andere Interessen hat.“

„Aus irgendeinem Grund lief von Anfang an für dich etwas schief in dieser Firma“, antwortete Joe.

Petra schloss die Augen und analysierte abermals den Hinweis des unerwarteten Blattes aus dem Aktenordner.

 

Petra konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als Tom das letzte Mal Kuchen zum Kaffee ins Büro brachte. Es gab wie immer ein großes Hallo. Alle steckten die Köpfe zusammen. Das Tom ein Foto machte, war ihr entgangen. Sie war mehr damit beschäftigt gewesen sich um eingehende

 Anrufe zu kümmern als um den Kaffeetratsch.

„Prost mein Schatz! Du machst das Richtige.“

Petra lächelte ihren Freund an. „Ja, das werde ich.“

 

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