Von Ingo Pietsch

Als ich die Tür zum Gerichtssaal öffnete, wurde ich absichtlich angerempelt und erntete noch einen bösen Blick des Provokateurs.

Das passierte mir öfters, da meine Kanzlei Fälle vertrat, in der wir als Nebenkläger zusätzlich zur Staatsanwaltschaft, das Strafmaß, wenn noch um einiges in die Höhe trieben und ich entsprechend unbeliebt war.

Meist ging es um Drogenhandel oder Körperverletzung.

Neben mir am Verteidigertisch, saß der gegnerische Anwalt mit seinem Klienten. Einem deutsch-türkischenstämmigen Mitglied eines Clans, wie die Gangs hier hießen.

Für mich jedenfalls. Ich machte keinen Unterschied in der Verwandt- oder Bruderschaft. Es waren einfach nur Kriminelle, egal welche Vergangenheit sie auch besaßen.

Es war ein öffentlicher Prozess und es gab entsprechendes Publikum. Hauptsächlich, auf den ersten Blick, aber Freunde des Angeklagten.

Der Polizeischutz war verdoppelt worden angesichts der vermeintlichen Gewaltbereitschaft der Zuschauer.

Ich dachte an meine und meine Arbeit. Ich sorgte für mehr Sicherheit auf den Straßen und eine bessere Zukunft für meine Tochter. Deswegen hatte ich mir diesen Job ausgesucht.

Diesmal würde der Angeklagte definitiv ins Gefängnis wandern. Er war mehrfach vorbestraft, kam aber gegen Kaution oder auf Bewährung jedes Mal wieder frei.

Und ganz ehrlich: Die Richter waren zum Teil geschmiert worden oder hatten einfach Angst gehabt.

Manchmal kamen auch mir Zweifel. Aber bisher war alles glatt gelaufen.

Dieser Richter hier war anders. Man nannte ihn „Die eiserne Hand“.

Außerdem sprachen die Fakten, wie Augenzeugenberichte, etc. für sich.

„Die eiserne Hand“ trat ein und alle Anwesenden erhoben sich.

Als er Platz genommen hatte, setzten wir uns wieder.

Heute würde ich mein Abschlussplädoyer halten und der Richter dann sein Urteil abgeben.

Ungeduldig rutschte der Angeklagte auf seinem Stuhl herum. Ich würde ihm den Rest geben, das wusste er.

Ich öffnete den schweren Aktenordner vor mir und musste lächeln. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Meine Frau hatte ein Bild von ihr und unserer Tochter eingeheftet, auf der sie gemeinsam auf einer Schaukel saßen und sichtlich Spaß hatten.

Sie hatten mir heute Morgen noch viel Glück gewünscht, als ich zum Gericht fuhr.

„Sie haben das Wort, Herr Anwalt“, sprach mich der Richter an.

Voller Zuversicht blätterte ich im Ordner weiter und erschrak. Da steckte mitten zwischen den Blättern ein kleiner Notizzettel. Ich zog ihn heraus und las den hastig dahingekritzelten Satz: Rechte Jacketttasche.

Wie kam dieser Zettel hier hinein? Ich hatte den Koffer die ganze Zeit bei mir gehabt. War jemand in unser Haus eingebrochen und hatte die Notiz schon gestern Abend dort drin versteckt?

Meine Familie hatte sich heute Morgen noch von mir verabschiedet und mir Glück gewünscht. Es war alles ganz normal gewesen. Bis auf ein bisschen Nervosität.

Meine rechte Hand fuhr in die Tasche und ertaste einen runden Gegenstand. Es fühlte sich wie ein Ring an.

Ich besah den Ring und erkannte ihn als den Ehering meiner Frau. Ein paar rote Flecken klebten auf der silbernen Oberfläche.

Ich sah ich gehetzt um, der Typ, der mich angerempelt hatte, grinste mich zufrieden an. Er hatte ihn mir zugesteckt.

„Herr Anwalt, wir warten! Oder wollen Sie ihren Glücksbringer noch länger anstarren?“ Der Richter wurde ungeduldig.

Mein Blick ging zum Angeklagten, der mich anlächelte und dann auf seine Finger starrte.

Ich dachte wieder an meine Familie – meine Frau, meine Tochter. Drehte den Ring zwischen meinen Fingern.

Egal, wofür ich mich jetzt entschied, es würde mich mein Leben lang begleiten.

Bestechlich oder standhaft.

„Euer Ehren, ich …“

 

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