Von Sabine Rickert                                       

April 2021

 

Ich schlage die Zeitung von gestern auf und meckere vor mich hin:

„Gibt es denn nichts anderes zu berichten, bloß Corona, Inzidenzwerte, Schnelltests und Impfungen, außerdem Wahlkampf und das frostige Wetter, das sich beständig hält?“

Ich habe die Nase voll. Die Pandemie lässt uns seit einem Jahr nicht los und ein Ende ist nicht in Sicht.

„Ich habe hier etwas“, sagt mein Gatte. Er sitzt mir am Tisch gegenüber und liest die Zeitung von heute. „Eine Frau hat ihren Mann mit dem Bügeleisen geschlagen und ihn dann in die Gefriertruhe gesteckt. Dort hat sie ihn erfrieren lassen.“

 „Originell“, sage ich verblüfft. „Entweder hatte sie Muskeln wie Popeye, um ihn in die Kühltruhe zu hieven, oder eine Menge Wut im Bauch. Scheinbar war ihr das mit den Küchenmessern zu blutig, so ist die Truhe sauber geblieben.“

„Originell sagst du zu dem Mord, du bist ja abgebrüht. Hast du kein Mitleid mit dem Mann?“ Der Liebste schaut mich fragend an.

„Doch, aber jetzt ist es ja eh zu spät. Ich fühle mich in den Vorgang hinein. Wie hat sie das bewerkstelligt?“ „Ich wäre mit meinen muskelfreien Armen dazu nicht in der Lage, du bist zu schwer“, stelle ich fest.

„Hattest du erwogen, mich zu ermorden“, ruft er gespielt erschrocken.

„Ich würde dir nie Gewalt antun“, sage ich theatralisch. Dabei schaue ich ihm tief in seine grünen Augen und klimper mit den Wimpern.

„Es ist fiktiv“, füge ich hinzu.

„Du hast perfekte muskulöse Arme Schatz, ich liebe diese Figur.

Nur die Gedanken, die du hegst, sind irritierend mordlustig. Bin ich nicht mehr sicher in deiner Gegenwart?“ Er schmunzelt und schlürft seinen Kaffee geräuschvoll. „Ich war der Meinung, dass du mich mit diesem stählernen Körper beschützt, sobald mir Unheil widerfährt“. Er schaut gespielt enttäuscht.

Oh, welch ein Kompliment, ich strahle, den Rest blende ich aus.

Die Geschichte lässt mich nicht los. „Warum hat sie ihren Ehemann ermordet?“, frage ich. Der Fan meiner Arme schlürft wiederholt seinen Kaffee mit einem anschließenden Rülpser.

„Es gibt keinen Grund, einen anderen Menschen zu ermorden, das macht man nicht, das ist ethisch gesehen nicht zu vertreten, egal was vorgefallen ist“, sagt er mit Nachdruck.

„Ich interessiere mich für den psychologischen Hintergrund, was trieb sie zu dem Mord? Lies bitte weiter.“ Jetzt war ich gespannt.

„Sie 45, er 49, keine Kinder, wohnten in der Stadt in einer 60-qm- Wohnung. Beide waren zur Zeit des Geschehens im Homeoffice.“

„Wie bei uns“, bemerke ich kurz, „abseits vom Berufsverkehrsstress.“ „Das sah sie anders“, sagt mein Gatte. „Sie gab bei der Polizei an, sein tägliches Schmatzen, Schlürfen und Rülpsen beim Essen hätte sie nicht mehr ertragen. Es kam außerdem heraus, dass sie ein Krösken mit ihrem Kollegen hatte, was ja in Corona-Zeiten schwierig ist.“

„Overworked and underfucked, eine tödliche Mischung“, witzelt er. „Sie forderte ihren Mann mehrmals auf, in seinem Büro zu arbeiten, was er strikt ablehnte. Sie hatte nicht die Möglichkeit, da ihr Betrieb komplett geschlossen war, daraufhin sah sie vor einigen Tagen rot.“

„Mein Gott, welch ein Grund, verstehst du das?“, sagt er grinsend. Er schlürft nochmals lautstark seinen Kaffee.

„Nein“, entgegne ich. „Corona stellt uns alle vor Herausforderungen. Homeoffice, keine Verwandtenbesuche geschweige denn Freunde treffen und am schwierigsten, die Pflege der Seitensprünge.“ „Entweder war es im Affekt, oder sie plante, ihren Geliebten wieder zu sehen, das ist vorsätzlich“, stelle ich fest. „Das erhöht das Strafmaß.“

„Du grübelst über die Länge der Strafe? Er ist mausetot und ihr Leben schlägt definitiv eine andere Richtung ein.“ „Auf jeden Fall erwartet sie eine Gefängnisstrafe, mit neuen Erfahrungen in der Sparte schmatzen, rülpsen und hauen“, bemerkt er süffisant.

„Das Meeting mit Malte fängt jeden Moment an“, unterbreche ich. Dabei bewege ich mich in Richtung Schlafzimmer und schicke ihm einen Luftkuss.

„Ich wünsche dir einen gelungenen Arbeitstag, bin im Wohnzimmer“, entgegnet er. Schnell formt er mit seinen Händen ein Herz. „Wir treffen uns um 13 Uhr hier in der Küche zur Mittagspause, mein Meeting ist bis 12.30 Uhr. Ich koche uns eine Kleinigkeit. Aber vorher räume ich lieber alle Geräte, die schwer sind und sich zur Waffe eignen, weg.“

Ich schaue ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Er kocht, wow, ich bin total überrascht.

„Du kochst so mit Töpfen, Herd und Garen? Nicht nur Fertiggerichte in der Mikrowelle erhitzen, oder Tiefkühlpizza im Ofen aufbacken?“ Ich bin verblüfft.

„Vertraue mir Liebling, wie du mitbekommen hast, habe ich eine Weile ein Singledasein geführt, da gab es nicht ausschließlich Fast Food“, erwidert er. Ihn amüsierte mein Gesichtsausdruck. „Habe ich dich denn nie bekocht? Dann wird es aber Zeit.“

„Ein faszinierender Artikel, da werden Ehrgeiz erweckt und Qualitäten entdeckt, solche Geschichten könnten wir öfter lesen“, merke ich an. Derweil stolziere ich in Richtung Schlafzimmer, dabei wackel ich vergnügt mit dem Hintern.

„Falls du ans Fremdgehen denkst Schatz, ich würde Malte zum Essen einladen, mit Übernachtung, wir haben ja Ausgangssperre“.

„Nein danke das ist nicht nötig, Julia gibt ihn nicht kampflos her.

Ich bin zufrieden mit dir, du bist verhältnismäßig neu, wir sind ja erst zwei Jahre verheiratet.“ Ich betone es lustvoll, und verschwinde im Schlafzimmer. „Inspirierend der Mord“, denk ich.

Malte, mein Arbeitskollege und Freund ist online und zu meiner Überraschung in der Firma.

„Bist du aus dem Homeoffice weggelaufen?“, scherze ich.

Er stand im Bild mit einem Brötchen in der Hand, sein Blick war wütend. „Oh, eher gegangen worden“, verbessere ich.

„Ja“, sagt er zornig. „Julia meinte heute früh, sie braucht Zeit für sich. Vor allem morgens beim Frühstück wäre sie gern wieder ungestört. Die Geräusche, wenn ich mein Knäckebrot esse, setzen ihr zu. Aus dem Grund haben wir uns geeinigt, dass ich in dieser Woche den Vormittag im Büro verbringe, ihre Firma ist ja komplett dicht.“

„Das ist gefahrlos, äh, ein passender Kompromiss, bevor irgendetwas eskaliert“, bemerke ich.

„Ach, eskalieren würde es nicht, wir sind ja erwachsene Menschen, die sich einigen. Wir finden jederzeit eine vernünftige Lösung.“  Dabei ist sein Unterton etwas zu aggressiv.

Er nahm den letzten Bissen, ich frage mich, dass Wievielte es ist. Er ist Stressesser!

„Ich habe heute Morgen in der Zeitung einen Artikel gelesen“, erwähnt er mit vollem Mund. Für mich ein wenig übertrieben beiläufig. „Indem stand, dass eine Frau ihren Mann mit dem Bügeleisen geschlagen hat und anschließen in der Kühltruhe erfrieren ließ. Aus total banalen Gründen. Corona verändert uns alle.“

„Meinst du, Julia wäre der Messertyp?“, hake ich nach.

„Sie würde keiner Fliege …, doch man steckt nicht drin.

Ich werde heute Abend das Essen zubereiten, habe vor der Arbeit eingekauft. Candle-Light-Dinner!“

„Hey du kochst?“ Ich bin schon wieder erstaunt.

„Ich war früher Junggeselle mit eigenem Hausstand, da gab es bei mir, zum Zwecke der Partnerfindung oft ein Fünf-Gänge-Menü“, sagt er herausfordernd.

Ich habe ein Deja-vu.

 „Geile Idee“, lobe ich.

„Lass uns anfangen, du hast ja nachher eine Menge vor und gedenkst  pünktlich den Feierabend anzutreten“, treibe ich ihn an.

Malte schlägt seinen Aktenordner auf, um mit mir den ersten Punkt durchzugehen. Auf einmal sitzt er wie angewurzelt am Tisch und wird blass um die Nase.

„Malte, was hast du?“ Ich mach mir Sorgen. Er rührt sich eine ganze Weile nicht. Dann aus heiterem Himmel, bewegen sich seine Arme, wie in Zeitlupe und er dreht den Ordner in die Kamera.

Auf einem kleinen Klebezettel sehe ich die Worte:

                                           Sorry Malte.

                                             I love you.

                       Das sind die Schwangerschaftshormone.                                 

                                                  Julia                            

„Wie, was ?“, stammelt Malte.

„Du wirst Papa“, schreie ich. Vor lauter Freude hüpfe ich durch das Schlafzimmer.

Nach dem Freudentanz erkläre ich, dem verdutzten Malte, dass er Vater wird. Mein Mann kommt herein, aufgescheucht durch die Geräuschkulisse. Er grinst über beide Backen.

„Du weißt es schon, das sehe ich dir an.“

„Ja, ich habe vorhin mit Julia telefoniert.“

„Herzlichen Glückwunsch Malte, da habt ihr die Ausgangssperre produktiv genutzt“, ruft mein Gatte in den Bildschirm.

„Chapeau, alter Freund. Ich freue mich für euch.“ Dann zu mir: „In die Richtung könnten wir nachher unsere Aktivitäten lenken.“ Er zwinkert mir zu.

„Ich wünsche mir, erst von dir bekocht zu werden. Denke bitte an deinen kürzlich erweckten Ehrgeiz. Später lass uns Kinder produzieren, mit denkbar neu entdeckten Qualitäten.“ Ich amüsiere mich köstlich.

„Welch ein Tag“, sinniere ich.

Ein Zeitungsartikel entpuppt sich als Inspiration für den Ehealltag.

 

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