Von Ina Rieder

Eva betritt das Haus und ich werde still. Mein Herz krampft sich zusammen. Ihre Augen wirken klein wie Perlen. Die Falten auf ihrer Stirn sind größer als sonst. Doch ihr Auftreten ist perfekt. Sie wirkt wie eine Businessfrau aus dem Katalog. 

„Hallo, mein Schatz!“

Eva ignoriert meine Begrüßung, legt ihre Tasche auf der blauen Kommode im Flur ab und schlüpft aus ihren Highheels.

Frag sie jetzt bloß nicht, was los ist!

„Was gibt es zum Essen?“ 

Sie betritt die Küche und sieht mich an.

„Ich habe Suppe gekocht! Probier mal!“

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen gehe ich auf den Herd zu und nehme den Deckel ab. Sie tritt neben mich.

„Schon wieder Suppe? Hast du keine anderen Ideen?“

Mein Lächeln erstirbt. In meinem Magen ziept es und ich habe das Gefühl zu wenig Sauerstoff zu bekommen. Immerhin war ich über eine Stunde mit der Zubereitung beschäftigt! Sie holt einen Löffel aus der Schublade und taucht ihn in die heiße Brühe ein. Meine Muskeln spannen sich an. Sie probiert. 

„Das schmeckt ja nach gar nichts!“

„Danke fürs Kochen …“, murmle ich vor mich hin und spüre Wut in mir aufkeimen. 

„Was ist? Ich habe dir doch schon hundert Mal gesagt, dass du abschmecken musst! Wenn du nicht einmal das auf die Reihe kriegst, wie willst du später eine Familie mit mir gründen?“

Ihre schrille Stimme vibriert wie eine Sirene in meinem Kopf. Meine Magenschmerzen verstärken sich. Salz rieselt in den Topf und ich klopfe mir die Hände über dem Waschbecken ab.

„Essen in zehn Minuten?“

 „Ja, ich muss nur kurz oben etwas gucken!“

Sie dreht sich um und lässt mich stehen. Ich höre sie die Treppen nach oben poltern. Mein Blick schweift über den Küchenblock. Ich habe den Reinigungsschwamm im Waschbecken liegen gelassen. Zum Glück ist es ihr nicht aufgefallen! Ich nehme ihn, drücke ihn aus und deponiere ihn dort, wo er ihrer Meinung nach hingehört, am Beckenrand. Ich decke den Tisch und warte. 

Mittlerweile sind fünfzehn Minuten vergangen. 

Soll ich ihr Bescheid geben oder abwarten? 

Ich gehe in der Küche auf und ab, stelle ein Brennen fest, das sich von meinem Bauch ausgehend über meinen Körper Richtung Hals ausbreitet. Entschlossen gehe ich nach oben und bleibe im Türrahmen stehen. Sie tippt konzentriert auf der Tastatur ihres PCs.

„Eva, die …“

„Pst! Ich bin gerade bei etwas Wichtigem dabei!“

Ich bleibe stehen und warte. Sie dreht ihren Kopf zu mir.

„Was ist denn?“

Sie klingt genervt. Aggressivität schwingt in ihrer Stimme. Ich spüre eine beklemmende Schwere in meinem Hals. 

„Herrgott, was ist denn? Kannst du mir bitte antworten, wenn ich dich etwas frage?“, fährt sie mich an.

„Ja, die Suppe ist fertig!“

„Ich komme gleich!“, bekräftigt Eva und wendet sich wieder ihrem PC zu. 

Ich betrete unser Bad, öffne meinen Hosenstall und uriniere im Stehen. Wenn sie das sehen könnte, würde sie einen Schreianfall bekommen. Meine Mundwinkel ziehen sich in die Höhe und ich fühle mich für ein paar Sekunden befreit. Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, überprüfe ich die Einstellung des Wasserhahns. Alles gut! Der Hebel befindet sich immer noch in der Mitte, sodass bei der Betätigung warmes Wasser fließt. Genauso, wie sie es mag. Bevor ich das Bad verlasse, kontrolliere ich zur Sicherheit, ob die Klobrille, die manchmal nach hinten rutscht, richtig positioniert ist. Ich habe mich zwar gar nicht hingesetzt, aber die Szene, die Eva mir neulich deswegen gemacht hat, hat sich für immer in mein Gehirn eingebrannt. 

Zurück in der Küche schöpfe ich die Suppe in die Teller, stelle sie auf dem Tisch ab, setze mich und warte. Die Minuten vergehen. Es steigt kaum noch heißer Dampf in die Luft. Ich tauche meinen Zeigefinger in die Brühe. Wie erwartet, ist sie nur mehr lauwarm. Die Treppen knarzen. Endlich kommt sie. Ich richte mich auf und sehe Eva lächelnd entgegen.

„Hier riecht es ja herrlich!“

Ihre plötzliche Begeisterung versöhnt mich. 

„Guten Appetit! Lass es dir schmecken!“

„Könnte etwas heißer sein!“, merkt Eva an.

„Sie war heiß! Ich sitz hier schon seit zehn Minuten und warte auf dich!“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich bei etwas Wichtigem dabei war!“

„Du meintest, du würdest gleich kommen!“

„Jaaa …“ Sie dehnt das Wort übertrieben in die Länge, so als dürfte man das nicht so eng sehen. „Aber für die kalte Suppe kannst du mich nicht verantwortlich machen! Du hättest sie im Suppentopf lassen sollen!“

Eine unangenehme Stille breitet sich über uns aus. Wie so oft fühle ich mich elend, wie ein Versager, der Evas hohen Ansprüchen nicht gerecht werden kann.

„Ich war heute Mittag bei diesem neuen Italiener“, sagt sie plötzlich in einem Plauderton, als wäre nichts gewesen.

„Ach ja. Was gab es denn?“

„Fisch auf Polenta. Tom hat mich eingeladen.“

„Wer ist Tom?“ Ich sehe sie an und lege meinen Löffel auf dem Tisch ab.

„Ach, den habe ich kürzlich im Fitnesscenter kennengelernt. Ein toller Typ. Den würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ 

Sie zwinkert mir zu und grinst wie ein kleines Mädchen, das heimlich aus dem Honigglas genascht hat. 

„Ich find das nicht lustig, Eva!“

„Was hast du denn schon wieder? Mach dir da mal keine Sorgen. Da läuft nichts! Ich treffe mich übrigens später mit ihm in der Stadt, ja?“

„Hast du vergessen, dass wir heute ins Kino wollten?“

„Ne, Freitag haben wir vereinbart!“

„Heute ist Freitag! Du sagst diesem Tom am besten gleich ab.“

„Das geht nicht! Ich habe seine Nummer nicht.“

Sie greift sich an die Nase und schaut mich mit einem herausfordernden Blick an.

„Wann hast du dich mit ihm verabredet?“ 

„Gegen 19:00 Uhr.“

„Perfekt, dann tauchen wir da zusammen auf und du sprichst kurz mit ihm. Der Film beginnt erst um 19:30 Uhr. Das schaffen wir leicht!“

„Also das stresst mich jetzt irgendwie. Ich habe mich schon darauf eingestellt, mich mit Tom zu treffen. Und zwar allein. Ich brauch keinen Babysitter! Du kannst dir ja in der Zwischenzeit einen netten Fernsehabend zu Hause machen!“

Sie sagt es in einem Ton, der keine Widerrede duldet. Ich fühle mich, als hätte mir jemand mit der Keule eine übergezogen.

„Ist jetzt der Typ, von dem du keine Nummer hast, wichtiger als ich?“

„Natürlich nicht! Du mit deiner dummen Eifersucht!“

„Ich habe es satt von dir als eifersüchtig abgestempelt zu werden. Wir haben vereinbart, dass wir am Freitag ins Kino gehen. Ich habe mich schon darauf gefreut und …“

Eva funkt dazwischen. „Du nervst mich mit deiner vereinnahmenden Art! Das kann ich überhaupt nicht ausstehen! Ich gehe jetzt zu meiner Verabredung. Wir sehen uns dann später!“

Sie steht vom Tisch auf und verschwindet. Ich starre aus dem Fenster und fühle mich nicht mehr wie ich selbst. Eher wie eine kleine graue Maus, die jederzeit von einer Katze verschlungen werden könnte. Sollte sich eine Beziehung so anfühlen? 

Dabei hat alles so schön begonnen mit Eva und mir. Sie hat mir jeden Wunsch von den Lippen gelesen, mir zugehört, mich ermutigt und verstanden. Für mich zählte sie zu den einfühlsamsten, verständnisvollsten Menschen der Welt.

Ich starre aus dem Fenster. Da ist noch immer diese Hoffnung, die wie Kitt alles zusammenhält. Vielleicht wird es wieder wie am Anfang und ich muss mich nur mehr anstrengen!

Ich nehme mein Handy und klicke mich durch meine Nachrichten. Meine Schwester hat mir einen Podcast zum Thema „toxische Beziehung“ mit dem Vermerk „Hör dir das mal in Ruhe an“ gesendet. Alles in mir sträubt sich, doch dann drücke ich auf die Wiedergabetaste und lasse mich auf das Sofa plumpsen. Eine Psychologin zählt klassische Merkmale auf, an denen man einen „toxischen Partner“ erkennt. Ich muss schlucken. Meine Muskeln spannen sich an, mein Herz rast und die Hände schwitzen. 

Eva, denke ich! Genauso tickt Eva! 

Das Klingeln meines Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Eva. 

„Ich sitze hier mit Tom. Wir unterhalten uns gerade über Literatur und mir fällt der Name dieses außergewöhnlichen, italienischen Schriftstellers nicht mehr ein. Kannst du bitte nach oben gehen und für mich das Buch heraussuchen. Es ist ein dickes mit orangem Einband. Müsste ganz oben rechts stehen. Danke!“ 

Sie legt auf, bevor ich etwas erwidern kann. Ein eigenartiges, beklemmendes Gefühl überkommt mich. Ich komme mir wie eine Marionette vor und schleppe mich nach oben, betrete Evas Büro. Das Buch fällt mir sofort ins Auge. Ich nehme es aus dem Regal. Mein Blick schweift über den Einband. Ich klappe es auf und meine Hände beginnen zu zittern. Eine sehr persönliche Widmung von Eva an einen mir unbekannten Mann. Es endet mit einem wunderschönen Gedicht. 

 Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Wie ein Karussell, das zuerst Fahrt aufnimmt und dann langsamer wird, bis es schließlich stehen bleibt. Mir schwindelt.

Hat Eva das mit Absicht getan? Hat sie es darauf angelegt, dass ich darauf stoße? Nein, so durchdacht kann sie nicht sein, oder? Das bilde ich mir sicher nur ein!

Es ist jenes Gedicht, das Eva anscheinend extra für mich als Liebesbeweis zu Beginn unserer Beziehung verfasst hat. Ich fühle mich wie gelähmt, nehme einen Zettel und kritzle drei Worte darauf. Die Notiz deponiere ich gut sichtbar auf ihrem Schreibtisch. Ich weiß, dass ich etwas ändern sollte, aber tief in mir drin spüre ich, dass ich noch nicht bereit bin diesen Traum mit Eva platzen zu lassen. Wer möchte schon, dass sich bunte Seifenblasen der Illusion im luftleeren Raum auflösen und nur noch einen fahlen Geschmack von Nichts hinterlassen?

V3 9259