Von Peter Burkhard

 

Da sitze ich morgens um vier an einer schlecht beleuchteten Bushaltestelle, mit einem Bündel Papierschnipsel in der Hand …
Ich bin vielleicht die größte Idiotin auf Erden.
Und das alles wegen dieses einen Anrufs vor einer Woche.
Und weil ich schwach geworden bin. Wegen Ronnie. So einfach ist das.

„Pedro hat mich informiert, dass du dringend Geld brauchst und für den Job infrage kommst.“
„Das stimmt, aber ich habe so etwas nie zuvor gemacht.“
„Das wird schon. Denke an die Knete, die dabei herausschaut.“ Die Stimme der Frau, mit der ich telefoniere, ist rau. „Also nochmals: Woran erkennen wir dich?“
„Ich werde ein korallenrotes Cocktailkleid tragen, eventuell ein dunkelgraues Jäckchen, dazu rote High Heels und ich habe schulterlanges goldblondes Haar.“
„Okay, das genügt. Wenn alles geklappt hat, bist du raus und die Fünftausend gibts cash auf die Hand. Das ist alles, was du wissen musst, wir werden uns sonst weder vorher noch nachher je begegnen. Ist das klar?“
„Und das Codewort?“
„Erntezeit, auf diese Handynummer. Und ehe ich es vergesse: Wenn du den geringsten Fehler machst, gefährdest du dich und die anderen. Dann bist du tot. Hast du das verstanden?“
„Ja, hab ich, aber woher weiß ich …“
Der Kontakt bricht ab.
Schweißgebadet lehne ich mich an die Küchenwand.
Dann bist du tot. Verdammt, worauf habe ich mich da bloß eingelassen. Aber ich kann nicht anders, ich brauche das Geld. Für Ronnie.

Bruderherz, hört denn das nie auf? Verdammt, Ronnie, warum tust du uns das an?

* * *

„Arrivederci und besten Dank für Ihren Besuch.“ Der Inhaber der Pizzeria persönlich hält mir die Tür auf. Ich trete ins Freie, ziehe mir mein Jäckchen über und genieße die frische, feuchte Luft.
Es ist kurz vor elf, noch ist das Stadtzentrum voller Leben. Erst gerade hat sich ein Gewitter verzogen und schon funkeln die ersten Sterne zwischen den Wolkenfetzen hervor. Ich schlendere in Richtung meines Hotels, angespannt, aber ohne Eile und immer wieder mal in ein Schaufenster äugend.

Die Drehtür am Haupteingang des mondänen Stadthotels dreht verlassen ihre Runden. Der Portier von heute Nachmittag ist verschwunden.
Noch in der Tür gefangen schallt mir Partylärm entgegen: „Marmor, Stein und Eisen bricht …“
Das kann ja heiter werden. Aber man hat mich gewarnt.
„Zimmer hundertvierzehn, nicht wahr?“ Die dralle Rezeptionistin winkt zuversichtlich mit dem Schlüssel.
„Bitte sehr, Madame. Zudem muss ich Sie leider darauf …“
„Alles klar, Ihr Kollege hat mich informiert. Ich werde es wohl ertragen müssen. –– Gibt es hier unten Toiletten?“
„Selbstverständlich, gleich um die Ecke.“

„Gefällt Ihnen die Feier?“, frage ich die Dame, die sich selbstgefällig im Spiegel mustert. Sie ist um die fünfzig, trägt teure Designerklamotten, dazu passenden Schmuck und was mir auch noch auffällt, sind schmale Schweißränder unter den Achseln.
„Bitte?“
„Nicht so wichtig. Ich habe nur gefragt, ob Sie sich gut unterhalten.“
„Aber sicher. Wahnsinnsstimmung, nicht? Wie findest du die Band?“
„Ich kann da bedauerlicherweise nicht mitreden, ich gehöre nicht zur Gesellschaft. –– Also dann, weiterhin viel Vergnügen.“
„Hmm.“
Jetzt darf ich nicht locker lassen. „Der Abend ist noch jung, mal schauen, ob an der Bar noch was los ist.“
„Die ist heute geschlossen, wegen unserer Hochzeitsfeier. Sind Sie allein?“
„Ja leider. Was soll’s, ich werde mich jetzt zurückziehen, wenn es sein muss halt ohne Drink.“
„Ach was, kommen Sie mit. Bei diesem Lärm wird das sowieso nichts mit schlafen. Sie können sich zu uns setzen, das wird niemand merken, geschweige denn stören. Sie sehen ja, nicht mal ich kenne alle Hochzeitsgäste …“
„Gut, wenn Sie meinen.“
„Na klar. Ich bin Eva, die Brautmutter und du bist?“

Ich hab’s geschafft und bin drin.
Nicht ganz unbemerkt, wie Eva vermutete. Aber einfacher und reibungsloser, als ich mir das vorgestellt hatte.
„Hallo zusammen, ich bin Karla. Eva hat mich eingeladen und darum …, bin ich hier.“ Ich erhebe das Glas mit prickelndem Champagner und nicke verklemmt lächelnd in die Runde.
Jetzt heißt es erst mal das Geschehen zu beobachten.
Äußerlich entspannt lasse ich meinen Blick über den Glasrand schweifen und bin fassungslos über den zur Schau getragenen Reichtum.
Wo bin ich bloß gelandet? Was für eine verstörend noble Gesellschaft, deren Wesen sich mir genauso wenig eröffnet, wie sie mir erstrebenswert scheint.
Unbehagen beschleicht mich, ich komme mir vor wie ein kümmerliches Blesshuhn, verloren in einem Reigen prächtiger Schwäne.
Unvermittelt baut sich ein Fels vor mir auf. „… einen Tanz bitten?“ Der Rest seiner Frage geht im Lärm und Gelächter unter.
„Nein, tut mir leid, ich kann nicht.“ Um meinem Korb Nachdruck zu verleihen, greife ich an meine rechte Ferse. „Meine Füße!“ Der schwergewichtige Macker mit der Rolex am Handgelenk lächelt betreten und macht auf dem Absatz kehrt.
Unterdessen haben sich die jüngeren Hochzeitsgäste auf der Tanzfläche zu einer Art Reigen versammelt, jede und jeder mit einem Glas in der Hand. Ich kann mir ein Schmunzeln über dieses Tanzverhalten nicht verkneifen, ebenso wenig wie über das der Silberlocken, die innerlich die Schritte zählend über das Parkett irren.

Es ist halb zwei.
Das Brautpaar hat sich auf Französisch empfohlen und auch das Servicepersonal hat – zum Ärger einiger Schluckspechte – seinen Dienst beendet.
Jetzt ist es die Band, die unter dem Gejohle der Gästeschar eine nicht enden wollende letzte Komposition zum Besten gibt. Wenn auch die weg sind, dann ist mein Augenblick gekommen.
Endlich, ein finales Getöse, damit ist Schluss. Noch vergnügt sich ein Großteil der Gesellschaft im Saal, lacht und trinkt. Aber wenn ich zu lange warte, werden die Ersten gehen.
Unauffällig taste ich in meiner Abendtasche nach meinem Handy …

Kaum jemand hat sie kommen sehen. Wie aus dem Nichts sind sie plötzlich da und verteilen sich blitzschnell im Saal: Vier, die sich über den Balkon Zugang verschafft haben und drei andere, welche durch die Hotelhalle eingedrungen sind. Alle tragen einen schwarzen Ganzkörperdress und eine Strumpfmaske. Einige sind bewaffnet.
Der oder die eine der Eindringlinge – ich kann es nicht erkennen – fegt mit einer schwungvollen Armbewegung ein Tablett voller Gläser von einem Büfett.
Scherben klirren. Dem lähmenden Schreckmoment folgen Ausrufe der Verwirrung, Konfusion und entgeisterte Gesichter. Gläser kippen um …
„Alle mal herhören ihr Kraken.“ Also doch, es ist ein Mann, der von der leer stehenden Bühne in die Menge brüllt.
„Ruhe! Setzt euch. –– Alle. Niemand bewegt sich und niemand spricht mehr.“ Um seinen Befehlen Nachdruck zu verleihen, fuchteln er und zwei weitere der Invasoren mit Faustfeuerwaffen herum.
Der Aufruhr im Saal legt sich schleppend, die meisten haben sich gesetzt, schweigen und schauen um sich. Pärchen klammern sich aneinander, während einige jüngere Männer trotzig stehen bleiben.
„Wenn ihr unsere Anweisungen befolgt, wird niemandem etwas geschehen …“
Unvermittelt schlägt eine der schwarzen Gestalten den Griff seiner Waffe einem zu Wagemutigen ins Genick. „Bist du taub? Du sollst die Fresse halten, verdammt. Setz dich!“

Der perfekt inszenierte Handstreich ist von kurzer Dauer.
Zwei Vermummte postieren sich an den Ausgängen, zwei sammeln in Blitzesschnelle sämtliche Handys ein, während ein hünenhafter Kerl von einem Handgelenk nach dem andern wertvolle Uhren abstreift und in einem schwarzen Stoffbeutel verschwinden lässt.
Wieder herrscht der Anführer die eingeschüchterten Hochzeitsgäste an: „Die Portemonnaies, aller Schmuck, rückt besser alles gleich raus, versucht keine Tricks! Ladys! Leert eure Handtaschen in unsere Rucksäcke.“
Seit Beginn des Überfalls habe ich mich kaum bewegt, mich tief in meinen Fauteuil geduckt und genau das getan, was gefordert wurde. Meine Tischrunde desgleichen. Auch die renitenten Männer scheinen den Ernst der Situation erfasst zu haben und verhalten sich ruhig.
Mir fällt auf, dass nur der Bandenchef kommandiert, während die andern eisern schweigend alles einsacken, was Gewinn verspricht. Das ganze Drama, das kaltblütige Vorgehen der Kriminellen, die lähmende Angst, alles wirkt völlig surreal und gleichzeitig bin ich mir mit jedem Atemzug bewusst, in welcher Gefahr wir alle schweben.

„Du.“ Eines der Bandenmitglieder deutet mit seiner Waffe auf mich. „Mitkommen!“
„Was? Was soll das? Was wollt ihr von ihr?“ Edi, der Brautvater, springt auf und stellt sich schützend vor mich hin.
Der Rädelsführer tritt dazwischen, stößt ihn zur Seite und will mich am Arm packen. Doch Edi lässt nicht locker. Es kommt zu einem Gerangel, bei dem er ausrutscht und sich am Bein des Bandenchefs festklammert.
„Nehmt mich mit und lasst diese Dame in Ruhe. Ihr elenden Dreckskerle, ihr mutlosen …“
Ein kräftiger Kniestoß an den Kopf schleudert den mutigen Verteidiger zu Boden, wo er mit einer Pistole vor Augen liegen bleibt.
Blitzschnell hat mich der Boss im Würgegriff und wendet sich an die entsetzte Gästeschar: „Wir werden diese Lady als Geisel mitnehmen. Zwei von uns bleiben hier. Wenn in den nächsten zwanzig Minuten niemand die Nerven verliert und Alarm schlägt, lassen wir sie frei, andernfalls ist sie tot. Und glaubt nicht für den Bruchteil einer Sekunde, dass ich bluffe.“

* * *

Es riecht nach frischem Schweiß und feuchtem Tuch. Eingezwängt zwischen menschlichen Leibern – ganz sicher ein paar Bandenmitglieder – und dem Diebesgut befinde ich mich höchstwahrscheinlich im Laderaum eines davonrasenden Kleintransporters. Noch beim Verlassen des Hotels hat man mir einen Stoffsack über den Kopf gezogen, mir mein Abendtäschchen entrissen und mich nach wenigen Schritten unzimperlich in ein Fahrzeug gestoßen. Niemand spricht, kein Räuspern, nichts. Nur der Körperkontakt zu meinen Entführern zeigt mir, dass ich nicht allein bin.
Zu meiner Überraschung endet die wilde Fahrt schon nach wenigen Minuten mit einem brüsken Bremsmanöver.
Irgendjemand drückt mir etwas in die Hand. Ich höre, wie eine Schiebetür geöffnet wird und mir eine tonlose Stimme befiehlt: „Aussteigen!“

 

 

 

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