Von Clara Sinn
Sie merkte. Dass sie völlig versunken gewesen war. Im Gedankenschlamm. Der sich von selbst erneuerte, vertiefte … sie in sich hineinzog …
Sie merkte. Dass sie für einen Nano-Nu ausgeblendet gewesen war.
Auf dieser Party. Auf der sie keinen kannte. Naturgemäß.
Gewahrte, dass sie nicht einen Heuhaufen vor sich hatte, sondern lauter einzelne wertvolle Nadeln. Da war jeder recht.
„Ich fürchte“, sagte sie, „ich bin gar nicht da.“
„Verstehe“, gab er zurück, „sehnsuchtsversunken?“
„Erwartungsversackt.“
Sie nickten beide. Wenn auch unterschiedlich. Nachdenklich.
Er mehr in eine umdunkelte Zukunft blickend. Sie eher vergangenheitsbefangen. Zwei, die einen Gedanken hatten: „Sollten wir vielleicht … miteinander …?“
Da fiel es ihr mit einem Mal wieder ein, hatte die Antwort auf die Frage des vergangenen Abends unerwartet wiedergefunden, „Breadcrumbing nicht mitmachen, wenn man darunter leidet“ … gute Beziehung nicht mitmachen, wenn man darunter leidet. Genau.
Sie dachte plötzlich an ihren Ex. Wie er so verstört wie verzweifelt stur auf den Boden starrend nur wiederholen konnte: Ich wollte dir ein guter Mann sein … ich wollte dir ein guter Mann sein …
Er hatte sie die ganze Zeit nur abgewiesen. Mit ihrem Anliegen. Er könne dann nicht mehr in den Spiegel gucken.
Sie hatte das Bedürfnis nach Wertschätzung. Bezahltwerden. Aber keine Chance. Ich brauche deine Liebe. Dein Unbezahltbleiben. Dich als Beute. Für meinen Selbstwert.
Dieser hier war wie ein Sechser im Lotto. Er beachtete sie, er erkundigte sich. Vorsichtig. Statt ihr gleich etwas Gutes zu wollen. Ohne zu fragen.
„Wieviel?“
Einer, der sie wertschätzte, als dieses Kostbare ansah. Statt das normal Kostenlose. Sie mochte Männer, die sich auch unbegrenzt Teures einfach gönnen konnten. Hatte sich schon immer im hochpreisigen Segment verortet.
Er hatte sie dieser unwürdigen Verrenkung direkt enthoben, ‚Wieviel wäre es dir wert …?‘
Natürlich hatte sie auch Souveräne gehabt: „Egal, was er dir gesagt hat, ich verdopple.“
Da fiel es ihr wie aus dem Nichts in den Schoß: Ihre Währung war Respekt.
Der Rest: nicht ihre Baustelle.
Der eine zahlte für Sex, der andere für speziellen Sex, der nächste für Exklusivität, Begleitung, Bindung. Dass sie zuließ, Verbundenheit zu leben. Als Paar. Zuletzt ein ganzes halbes Jahr. Mit einem auf Malta.
Sie wollte erworben sein. Statt persönlicher wertloser Dreck.
Nun war es also abgemacht. Urlaubsbegleitung. Auf dem Boot.
Sie wollte Würdigung.
Da sprach er es aus: „Du zählst …“
Sie war wie vom Donner gerührt. Wusste, dass sie manchmal diese Aussetzer hatte.
Sie hatte Glück gehabt.
War ins beste Etablissement der Stadt gekommen. Wie die Jungfrau zum Kind. Und diese weise, weitsichtige Puffmutter hatte einen Menschen aus ihr gemacht.
Wenn sie daran dachte, wie es ihr vorher ergangen war. In diesem Rattenloch. Im Fenster. In alberner Wäsche. In der Kälte. Hatte ewig lange nicht viel mehr vermocht, als reglos vor sich hinzustieren. Nein, auf die Kerle da unten gucken, das konnte sie nicht. Blieb das Haus gegenüber. Der Sockel in diesem hellen Beige gefliest. Sechzehn versetzte Rechtecke. Immer und immer wieder. Von oben nach unten. Eins bis sechzehn. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand. Einzeln mitgezählt. Von oben nach unten …
„… die Kacheln, nicht wahr?“