Von Daniela Seitz

Sie tanzte so gern. Selbst am Esstisch lag immer ein aufgeschlagenes Buch, dass sie gerade las. Sie war offen für alle Musikrichtungen, weil Ihr Sohn sich als DJ etablierte und sich besonders für Jungle, oder für Laien Techno, interessiert. Sie lernte bulgarisch, weil die Frau ihres Neffen aus Bulgarien kam und sie Sprachen liebte. Den Schwiegersohn adoptierte sie sofort als eigenes Kind. Die Tochter war immer ihr Goldstück. Ihr Mann ihr so ergeben, dass er die Pflege bis zum Schluss übernahm.

Irgendwie metaphorisch, dass die Enkelin trotz Interesse für Bagger und Bälle, eine Puppenmutter aus Leidenschaft ist. Die Familie war ihr Leben und die Enkelin spiegelt dies.

Mein Freund und Kollege (ihr Schwiegersohn) zeigt mir die Anzeige, die er im Auftrag des Schwiegervaters aufgesetzt hat:

 

„Vom Baum verweht der Wind ein Blatt

es einen wichtigen Platz eingenommen hat.

Erinnern werden wir uns immer an die

Gemeinsam verbrachte schöne Zeit,

in unseren Herzen bleibst du in Ewigkeit!“

 

Das Foto sprüht vor Lebenslust. Ein Ganzkörperbild. Die Schwiegermutter lässt sich in einen Baum fallen und hat die Arme zum Himmel ausgestreckt. Würde der Baum sie nicht stützten, würde sie tanzen.

„Mein aufrichtiges Beileid“, kondoliere ich.

„Danke! Irgendwie ist das ganze überhaupt nicht real.“

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Nicht ganz real ist meine Teilnahme an der Beerdigung zwei Wochen später. Ich kenne hier nur meinen Kollegen, seine Frau und ihre gemeinsame Tochter, die gerade erst zwei Jahre alt geworden ist. Natürlich will ich ihn unterstützen. Genau wie unser Chef, für den ich als der Prokurist unserer Firma hier auch teilnehme.

Aber es gibt auch einen ganz privaten Grund. Trotz einer vierjährigen Leidensgeschichte, sind 63 Jahre einfach zu jung zum Sterben. Der Umstand ihres Todes ist tragisch: dass sie sich einen Tag vor ihrem Tod vom Notarzt nicht hat mitnehmen lassen, weil sie ihren Zustand unterschätzte. Die falsche Entscheidung traf zum falschen Zeitpunkt. Es berührt mich, weil die Schwiegermutter meines Freundes mein Jahrgang ist. Zu plötzlich kam dieser Sonnenuntergang, obwohl alle ihn gesehen haben.

Es ist eine Urnenbestattung. Die Trauerfeier findet in einer Halle statt in der sich viele Menschen drängen. Auffällig sind die ausgewählten Musikstücke. Tina Turner leitet mit „The Best“ Erinnerungen ein, die ich nicht teilen kann.  „Euch zum Geleit“ von Schandmaul ermöglicht mittendrin tiefste Trauer. Um dann am Ende von Hélène mit „Pauvre blues“ mit Lebenslust wieder ins Leben entlassen zu werden.

Ich sehe die Frau meines Freundes mit der Enkelin auf den Arm tanzende Schritte von der Halle zum Grab machen. Die Kleine muss wohl bei Laune gehalten werden, um nach der Andacht auch die Bestattung durchzuhalten. Dachte ich jedenfalls.

Der Auftritt der Rock Pop Coverband meines Freundes nach dem Essen belehrt mich eines Besseren, als alle Anwesenden mit einer Ausnahme außer mir sich von der Band, der Tochter und insbesondere der Enkelin zum Tanzen animieren lassen.

„Danzen“, ruft die Kleine auf dem Arm ihrer Mutter.

Als die zwei mich antanzen um auch mich mit einzubeziehen hinterfrage ich diese plötzliche Party, die dem Anstand halber keine sein sollte.

„Meine Mutter war der erklärte Fan Nummer Eins der Band meines Mannes. Und sie nannte Beerdigungen immer Buddelpartys. Sie liebte Regen. Sie war anders.“

„MAMA!“, fordert die Kleine Aufmerksamkeit ein und erhält sie tanzend.

Was bleibt da zu sagen?

„DANZEN“, höre ich die Kleine erneut.

Und so tanze ich auf meiner allerersten Buddelparty.

 

V1 3660 Wörter

https://www.youtube.com/watch?v=GC5E8ie2pdM

https://www.youtube.com/watch?v=QR7kBBptT1Q

https://www.youtube.com/watch?v=5LU3TrmoYvc