Von Jannik Hanstein

Ich war Tierwärter bei Lieferando. Jede Woche, oder besser gesagt jeden Samstag lieferte ich den Tieren Essen. Ich und meine Kollegen wechselten uns immer ab in welche Stadteile wir das Futter liefern. Es gab viele Tieren die wir zu beliefern hatten. Da waren Affen mit vielen verschiedenen vertretenen Affenarten, Giraffen, die bei zu späterer Anlieferung des Essens immer solch einen Hals hatten und geschweige denn einmal herabgeguckt zu haben um uns Trinkgeld zu geben und Ameisenbären, welche ihre Nase einfach nicht aus dem Bong gezogen bekommen haben und mir deshalb immer zu wenig Geld für die Bestellung gegeben haben, aber trotzdem sagten: „Stimmt so“.

Da waren mir die Affen noch am liebsten. Sie waren zwar immer auf einen relativ anderen Trip und die, die ihre ADHS-Pillen nehmen sollten nahmen sie nicht und die, die kein ADHS hatten die nahmen die Pillen. Im Prinzip herrschte bei den Affen Samstagabend stets immer Anarchie, welche aber in ruhigen Bahnen verlief solang noch genug Bananenweizen im Kasten waren, es Bananenpizza von meiner Seite aus geliefert gab und die Party trotzdem keine sogenannte „Bananenparty“ war. Die Affen nannten es eine Bananenparty, wenn entweder nur männliche Affen oder unterdurchschnittlich wenig weibliche Affen auf der Party waren. Würde das der Fall sein, würden sich die anderen Affenbanden ziemlich über sie lustig machen. Hauptsächlich mit Witzen über die Längen von ihren Bananen… Wie ich schon sagte, ich mag die Affen. Sie sind gemeinschaftlich, achten aufeinander und sind immer verdammt gut drauf und wissen wie man die affengeilste Party der Stadt macht. Sie bekommen es sogar so gut hin, dass sie die nervigen Nachbarn der Siebenschläfer, die jeden Freitag immer rumbrüllen, dass die Affen doch leiser sein sollten, weil sie sonst die Polizei rufen, jedes Mal zur Weißglut bekommen können, weil sie dann sagen, dass der Siebenschläfer Siebenschläfer heißt, weil er siebenmal so viel wiegt und deshalb so viel schlafen muss, weil er auch siebenmal so viel zu verdauen hat.

Die Affen hatten es einfach drauf. Meistens blieb ich nach meiner Pizzalieferung noch ein Weilchen und zog bei den Affen mit an der Shisha, welche zu meinem Bedauern leider selten Shishatabak beinhalte, sondern nur eine durch Zigarettentabak und Gras gestreckte Version davon. Diese Affen wussten einfach wie man für das wenigste Geld, den meisten Spaß rausholte.

Erwähnte ich schon, dass sie in der Dachwohnung eines alten Bahnhofsgebäude, gebaut aus Backsteinen wohnten? Die Aussicht war der Hammer und auch die Bananen haben auf den mit Rauch umhüllten Hängematten, angebunden an hereingewachsenen Ästen von Bäumen einfach viel lebendiger geschmeckt. Als hätte ich sie gerade gepflückt und nicht einfach aus meiner Lieferandobox gezogen.

Ich liebte diese Affen und die Affen liebten mich. Sie wussten, dass ich als Lieferant immer für sie da sein werde und sie wussten, dass sie für immer auf diesem Dach gesät mit Gartenstühlen und Hollywoodschaukeln Kästen vernichten werden. Jeder Samstagabend war wie ein Traum für mich, den die Affen selber lebten. Ich wusste nicht was sie beruflich machten, oder wie sie den massenhaften Alkohol besorgt haben, aber ich wollte es auch nicht wissen. Alles was ich wissen wollte, war wo mein vor 10 Minuten angekündigtes Bier blieb und wer ein Feuer für mich hatte, da ich mein Feuer wegen eines draufgedruckten, verdammt lustigen Spruches verloren hatte, als mich jemand nach Feuer gefragt hat. Es waren stets schöne Samstage, die ich nicht besser verbringen hätte können als mit den Affen. 

Eines Tages wurde ich dann für den Freitag in ein anderes Stadtviertel versetzt, in dem nur Löwen lebten. Ich war noch nie in diesem Bezirk, weshalb ich mich darauf einließ, solang ich am Samstag noch für die Affen ausliefern würde. Ich schaute auf den Betriebsplan und las, dass es sich um den alten Hafen handelt. 

Eine wirklich schreckliche Gegend, in welcher sich doch tatsächlich jemand dachte, er hätte Bock auf zwanzig Döner mit nur Fleisch drauf. Der Stammkunde ist uns schon seit längeren bekannt. Er bestellt jeden ersten Freitag des Monats satte 20 Dönertaschen, ohne Salat und ohne Soßen, während er dann 20 Dönerboxen ohne Soßen noch dazu bestellt. Man solle sich nur ausmalen, was sich dort meine Augen ansehen mussten, als ich diese dort auslieferte. 

Manche würden sagen, es war pures Chaos und Barbarei was sich dort abspielte. Andere würde aber sagen, dass sie in dem allem eine Kunst richtig zu leben sahen. Eine Kunst das zu tun, was das Leben für einen zulässt. Ohne über irgendetwas nachzudenken, all das zu tun, was man einfach machen kann. 

In dieser WG die ich zu beliefern hatte, war jeder ein Künstler. Kein Spaß. Es gab den egozentrischen, mit Minderheitskomplexen ausgestatteten Bildhauer, der nur Skulpturen von sich selbst machte, der surreale Löwe, welcher in jedem LSD-Trip versucht die Wahrheit zu finden, damit er dann auf seinem noch leeren Bild einschläft, um dann am nächsten Morgen nichts mehr von seiner Inspiration zu wissen und er den Prozess wiederholt. Dann gibt es auch den klassischen Löwen, der nichts anderes lieber mag, als mit Fremdwörtern die keiner kennt rumzuwerfen und von den Bildern barocker Vorgänger zu schwärmen, bis ihn jemand eine Havanna Clubflasche, gezogen aus der Sofaritze gegen seinen Schädel wirft. Und zu guter Letzt nicht zu vergessen der Löwe der nichts anderes macht als auf dem Sofa zu sitzen und während er Bobs Burgers guckt, Bong zu rauchen. Er ist arbeitslos und genau deswegen nennt er sich Künstler. Ach und meistens liegt da immer noch Andi rum, der die meiste Zeit nur auf dem Sofa schläft und den sie eigentlich auch gar nicht wirklich kennen. Eines Morgens lag er auf einmal da und niemand traute sich ihn aufzuwecken, weil man im Schlaf Redende lieber nicht wecken sollte. Und er redete ständig im Schlaf. Hauptsächlich über Gras. Wahrscheinlich war es deren Dealer, aber mehr als dass er immer auf dem Sofa gepennt hat, weiß ich nicht über ihn.

Eines Abends sollte ich zu diesen vier und mit Andi mitgezählt fünf, diese monströse Ladung Döner abliefern. Ich kannte die überhaupt nicht und als ich klingelte machte auf einmal nur ein Zombie die Tür auf. Er fragte mich ob ich den Stoff hätte und als ich ja sagte, meinte er ich soll reinkommen. Dann sah ich die ganze Welt von oben. Ein staatenloser, anarchistischer Staat innerhalb eines Staates, in der keine Regeln gegolten haben, außer dem gesagten Satz des Löwen der sagte, dass das der Dschungel ist. Später habe ich erfahren, dass dieser Löwe tatsächlich der surreale Löwe ist, weshalb er auch die ganze Zeit so langsam gesprochen hat. Er war dabei ein Kunstwerk zu finden und dieses heute tatsächlich auch einmal umzusetzen. 

Zumindest war es für mich ein Kunstwerk, was der Löwe folgendes mit der Bestellung gemacht hat. Er trommelte die gesamte Bonghöhle zusammen und sprach von einem Ritual was gleich stattfinden sollte. Ein Ritual? dachte ich mir. Und dann begann es. Auf einmal, wie ein Gott, zog er seine Dönertasche aus der Plastiktüte, machte dann die Aluminiumfolie ab und griff nach einer der 20 Dönerboxen in der Tüte. Ab dann geschah ein Wunder. Er holte sich eine Gabel aus der Schublade, in der nur Löffel drin lagen, außer einer einzigen Gabel die er dann feierlich hochnahm. Er stoch in das Kalb-Dönerfleisch und aß fünf volle Gabeln von Fleisch aus seinem Döner, ohne dass die restliche Dönertasche auch nur einen Hauch Kontakt davon vernehmen konnte. Als er dann diese fünf Gabeln einfach so gegessen hatte, ohne Soße, ohne Salat, ab dann hat er die Dönerbox geöffnet und mit der Gabel als Szepter alle Pommes und alles Dönerfleisch in seine Tasche reingefüllt, sodass sie schon fast übergelaufen ist. Aber sie hielt. Sie hielt all dieser Belastung stand. Dann lehnte sich der Löwe der sich mittlerweile zum Sofa hinvegetiert hatte, zurück und biss in dieses Heiligtum von kulinarischer Köstlichkeit. Mir verging die Zeit wie in Zeitlupe und konnte es nicht fassen, wie man auf eine solche geniale Idee kommen konnte einen Döner zu essen.

Es war nicht nur der surreale Löwe. Alle haben diese Art einer Anbetung von Göttlichkeit als Ritual vollzogen und alle waren berauscht. Nicht nur wegen des Hotboxens im Wohnzimmer, sondern weil der heilige Geist sie durchzogen hat. Das war also das Ritual jedes ersten Freitags im Monat. Ich wusste es nun endlich. 

Dann ergab sich des Zufalls holde Lieblichkeit. Eine Löwin musste sich auf dem Klo übergeben, weil sie im Bierpong verloren hat und ab da kam ich ins Spiel. Der Löwe meinte, nachdem wir uns ausgiebig über die Strategie und Planung, sowie den respektvollen Umgang eines sogenannten „Pommdöners“ unterhalten haben, dass mir nun auch die Ehre eines solchen zu Teil werden soll. Er vollbrachte das Kunststück erneut und zauberte auf irgendeine Weise, es ist mir bis heute ein Rätsel, eine zweite einzige Gabel aus der Löffelschublade. Ich aß die ersten fünf Gabeln des Dönerfleisches und der Löwe kippte mir die Pommes und das restliche Dönerfleisch in die Dönertasche. Danach biss ich zu, ließ die Kunst auf meiner Zunge zergehen und hatte einen erleuchtenden Trip. Ich blieb noch eine lange Zeit des Abends bei den gastfreundlichen Künstlerlöwen und deren Kumpels und kehrte am nächsten Morgen wie ein erleuchteter Prophet nach Hause.

Am darauffolgenden Samstag sollte ich dann wieder eine Lieferung für die Affen bringen. Sie hatten Bock, ich hatte Bock, aber diesmal war es anders. Ich brachte statt den versprochenen Bananenpizzen für jeden einen Kalbdöner ohne Salat und Soßen und für jeden eine Kalbdönerbox ohne Soße. Ich kam als gefeierter Held mit Essen, und war nach meiner Vorstellung des Schlachtplanes ein noch größerer geworden. Ein jeder aß einen Pommdöner und ein jeder liebte ihn. Ab dann war ich Gott.

Amen.