Von Tanja Dingelstädt

Bea parkte im Hof von Onkel Gustl und ging auf den alten Stall zu. Dort waren jetzt schon lange keine Kühe mehr drinnen, sondern vier Ferienwohnungen. In einer davon wohnte sie seit vier Wochen. Aber nicht zum Ferien machen. Sie nahm an einer innerbetrieblichen Fortbildung in der nahen Kleinstadt teil, die ein Jahr dauerte. Da traf es sich gut, daß Onkel Gustl seinen Bauernhof auf Ferienwohnungen umgestellt hatte, so mußte sie nur die Nebenkosten bezahlen und ein bißchen sauber machen mit helfen, wenn Gäste abreisten und neue ankamen. Damit sparte sie eine Menge Geld und es war nicht viel zusätzliche Arbeit. Sie hatte mit der Fortbildung auch schon wahnsinnig viel zu tun und lernte jeden Abend und fast den ganzen Samstag.

Von ihrer Wohnung aus hatte sie einen herrlichen Blick über den See, der zu Fuß nur zehn Minuten entfernt lag. Ja, es war schon schön hier. Nur ein bißchen einsam fühlte sie sich. Besonders an den Wochenenden. Natürlich konnte sie jederzeit zu Onkel Gustl und seiner Frau ins große Wohnhaus rüber laufen, auch die Kollegen hatten sie schon eingeladen. Alle waren sehr nett zu ihr, aber sie waren eben auch alle ungefähr doppelt so alt wie sie selbst und hatten ganz andere Interessen. Sie fragte sich, wie sie es bloß anstellen sollte mit den jungen Leuten hier im Dorf in Kontakt zu kommen. Es gab hier ja nichts. Keine Bar, keine Clubs, nicht einmal einen Sportverein. Gingen die alle dazu in die nächste Stadt oder trafen sie sich irgendwo privat? Sollte sie vielleicht nach dem Essen in die Stadt zurück fahren? Aber dort gab es auch nicht viele Kneipen und die wenigen waren mehr für die Touristen ausgelegt, die hauptsächlich zum Wandern und wegen ein paar historischer Gebäude hier her kamen. Und dann… als junge Frau so ganz allein nachts in einer fremden Stadt herum laufen? Nein, das war ihr doch nicht ganz geheuer.

In diesem Moment kam Onkel Gustl über den Hof auf sie zu. Vielleicht hatte er etwas zu tun für sie, so eilig wie er es hatte. Aber da täuschte sie sich.

„Bea, schön daß du jetzt da bist bevor Moni und ich zum Einkaufen fahren. Ich wollte dir was sagen, weil du mußt mal ein bißchen unter Leute. Also junge Leute, meine ich, nicht immer mit uns Alten und mit deine Kolleginnen ist es ja auch nicht so.“, begann er umständlich.

„Ja, ich möcht ja auch, aber hier ist ja nirgends was los und ich kenne ja auch gar niemanden hier. Also von den jüngeren.“

„Ja, siehst, da weiß ich jetzt was für dich. Die Müllers Katrin, die feiert heute eine kleine Party. Da kannst hin gehen.“

„Aber die kenne ich doch auch nicht. Und ich bin ja gar nicht eingeladen.“

„Das macht nichts, die lernst schon kennen. Ich hab schon mit ihrem Vater geredet, der richtet´s aus, daß du hin kommst. Dann lernst ein paar Leute kennen. Ist auch gar nicht weit, nur da den Berg runter Richtung See, die erste links und da das dritte Haus. Das wirst schon gleich sehen. Und hören auch. Um acht soll´s los gehen.“

„Ja, aber…“

„Nichts aber! Ich muß los, die Moni wartet schon im Auto, die muß noch einkaufen. Wennst heut nacht nicht allein rauf laufen willst, dann rufst halt an. Ich hol dich schon. Mach´s gut!“

Bea ging nachdenklich in ihre Wohnung. Sollte sie da wirklich hin gehen? Einerseits wollte sie schon gern ein bißchen feiern und ein paar Leute kennen lernen. Andererseits kannte sie da ja niemanden und wollte sich auch nicht aufdrängen, wenn diese Katrin sie vielleicht gar nicht da haben wollte. Aber Onkel Gustl hatte deren Vater schon gesagt, daß sie käme, wie stünde der denn da, wenn sie dann nicht auftauchte. Also mußte sie ja wohl hin gehen. Sie konnte sich ja mal dort umschauen und wenn es ihr nicht gefiel konnte sie ja beizeiten wieder verschwinden. Und es war ja wirklich nicht weit. Auf jeden Fall war es besser als allein in die Stadt zu fahren. 

Nun also zur wichtigsten Frage, was sollte sie anziehen?

Etwas richtig schickes mit hohen Schuhen kam schon wegen des Fußweges nicht in Frage, was also dann. Bea musterte ihren Kleiderschrank, ein Teil nach dem anderen zog sie heraus und warf es auf das Bett. Zu schick, zu alt, zu warm, zu wenig Stoff, zu verwaschen… Am Ende entschied sie sich für Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit ein bißchen Glitzer. Das müßte gehen. Jetzt aber schnell ins Bad.

Die Kirchenglocken läuteten gerade acht Uhr als sie in die Straße einbog, in der die Feier statt finden sollte. Links und rechts war alles voll geparkt, die ganze Straße entlang. Die Musik konnte sie auch schon hören. Sie zögerte. Ein bißchen mulmig war ihr ja schon davor, da jetzt einfach so aufzukreuzen. Sie erreichte die Hofeinfahrt. Von hier aus konnte sie in die offene Scheune schauen, wo Bierzeltgarnituren aufgebaut und bunte Lampen aufgehängt waren. Überall standen Leute in kleinen Gruppen beieinander, unterhielten sich und tranken Bier aus Flaschen, ein paar junge Männer schürten einen Grill an, einige Mädchen ordneten mitgebrachte Salate auf einem großen Tisch an. Hätte sie vielleicht auch etwas mitbringen sollen? Würden die anderen sie jetzt für einen Schmarotzer halten, wenn sie mit leeren Händen kam? Und wie sollte sie unter den vielen Menschen diese Katrin finden, zumal sie ja nicht einmal wußte wie diese aussah?

Doch da kam schon eine schwarzhaarige junge Frau auf sie zu. „Du mußt Bea sein, stimmts? Die beim Gustl oben wohnt, oder? Ich bin Katrin. Komm mit. Wir besorgen dir was zu trinken und dann stelle ich dir ein paar Leute vor. Zuerst natürlich die Mädels hier aus dem Dorf. Viele sind es ja nicht.“ Katrin zog Bea einfach hinter sich her in die Scheune. 

Wenig später fand sie sich mit einer Flasche Bier in der Hand an einem der Bierzelttische zwischen einigen anderen jungen Leuten, die sie neugierig ausfragten. Mit Katrin und Anna verabredete sie sich zum Shoppen, Tina wollte ihr einen guten kleinen Reitstall zeigen und Martin bot an sich um ihr Auto zu kümmern, wenn es nichts Größeres zu machen wäre. Außerdem erfuhr sie, daß in zwei Wochen ein OpenAir-Kino in einem Nachbardorf stattfinden sollte und am Wochenende davor ein Tanz in der Scheune in wieder einem anderen Dorf. Und im Hinterzimmer eines Cafés spielte im Winter jeden Samstagabend eine andere Band. Meistens New-Comer. War also doch ganz schön was los hier in der Gegend.

Plötzlich war der Strom weg. Das Licht war aus und die Musik auch. Eine unheimliche Stille breitete sich aus. Die Kirchenglocken schlugen Mitternacht. Flackernder Lichtschein näherte sich vom Haus her über den Hof. Kerzen auf einem Geburtstagskuchen. Jemand begann Happy Birthday zu singen. Ein paar andere Gäste fielen mit ein. Im Kerzenschein konnte Bea jetzt über dem Kuchen Onkel Gustls grinsendes Gesicht erkennen. „Happy Birthday, liebe Bea, happy Birthday to you!“, sang er.

Bea hatte ihren Geburtstag ganz vergessen gehabt! Und nun stellte sich heraus, daß in Wahrheit Onkel Gustl und nicht Katrin diese Party organisiert hatte. Als Überraschung für sie. Das beste Geburtstagsgeschenk aller Zeiten!