Von Eva Fischer

„Kommst du zu meiner Geburtstagsfête?“

„Das finde ich echt nett, dass du mich einlädst, aber ich kenne doch niemanden.“

„Wo liegt das Problem? Dann lernst du jemanden kennen. Ich habe nur nette Leute eingeladen so wie dich.“

Regina versetzt mir einen jovialen Stups. 

„Lars wird sich um dich kümmern.“

Sie zwinkert mir zu.

Toll! Keine Ahnung, wer der Lars ist. Vielleicht ein unsympathischer Kerl. Vielleicht aber auch einer, mit dem es sich angenehm plaudern lässt. Eigentlich reizen mich solche Unvorhersehbarkeiten. Das Leben wäre langweilig, wenn man alles im Vorhinein weiß.

„Ok. Ich komme zu deinem 50. Geburtstag.“

Regina umarmt mich und ich fühle mich fast geschmeichelt. Wir kennen uns erst seit ein paar Wochen, haben uns bei einer Fortbildung kennen gelernt, waren uns aber von Anfang an sehr sympathisch.

*

Ich bin das erste Mal bei Regina zu Hause. Sie stellt mir ihren Mann vor, der wie ein Seebär aussieht und so gar nicht zu seiner grazilen Frau passt. Sein Gesicht ist fast zugewachsen. Der weiß gesprenkelte Bart lässt den Blick auf seine graublauen Augen frei. Er reicht mir die Hand. Ich unterdrücke einen Schmerzensschrei. Er sieht nicht nur aus wie ein Seebär, er hat auch seine Kraft. Ich lächle ihm freundlich zu, bin aber froh, als Regina sagt: „Komm! Lars wartet schon auf dich.“

Ein hochgewachsener, gut, aussehender Mann mit einem dunklen Lockenkopf hat sich vor einen Stehtisch platziert. Er spielt unschlüssig mit seinem Glas Bier.

„Hey, Lars! Hier ist meine neue Freundin Chris. Ich habe dir doch schon von ihr erzählt. Nimmst du sie unter deine Fittiche und spielst den Fremdenführer?

Ich kenne Lars seit meiner Schulzeit. Er weiß einfach alles über mich und meine Gäste“, fügt sie an mich gewandt hinzu.

„Klar, Chefin, wird gemacht!“

Auf seinem Gesicht nimmt ein breites Grinsen Platz.

„Magst du auch ein Glas Bier, Chris? Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn wir uns duzen.“

„Gegen das Duzen habe ich nichts, aber gegen das Bier.“

„Ah, du bist mit dem Auto da. Trinkst du lieber Wasser?“

„Auto stimmt. Aber ich bevorzuge ein Glas Wein. Der Abend ist ja noch lang.“

„Wird gemacht, Chefin“, sagt er und wühlt sich durch die Gäste.

Dieses Chefinnen Gesülze geht mir auf den Keks. Ich betrachte neugierig die mir unbekannten Menschen und beobachte eine Frau, die äußerlich Regina ähnelt, wenn auch femininer als meine burschikose Gastgeberin. Zudem ist sie einen Kopf kleiner.

Beide sind in ein intensives Gespräch vertieft. Bei näherer Betrachtung streiten sie sogar, wie ich den Wortfetzen entnehme.

„Papas Liebling!“

„Schnee von gestern!“

„Immer im Vordergrund!“

„Nervensäge!“

„Egomanin!“

„Wer hat hier Geburtstag? Was ist das für ein unhöfliches Benehmen? Warum bist du überhaupt gekommen?“

„Weil du mich eingeladen hast. Schon vergessen? Schwesterherz braucht ja Fans für den Solo-Auftritt. Deshalb bin ich 200 km hierhergereist.“

„Ich vergesse immer, wie unausstehlich du warst. Leider ändert sich das auch im Alter nicht.“

Noch nie habe ich Menschen so in Rage gesehen. Ihre Stimmen beben, werden immer lauter. Eigentlich müssten sich alle Gäste nach den beiden Streithennen umdrehen. Doch keiner nimmt davon Notiz. 

 

Lars stellt mir mit seinem Strahlemann-Lächeln ein Glas Wein hin. 

„Ist Weißwein recht? Ich habe ganz vergessen, dich zu fragen, welche Farbe du bevorzugst. Das ist ein Pfälzer Riesling, habe ich mir sagen lassen.“

„Danke. Passt schon.“

Ich nehme einen Schluck, proste Lars zu, der sein Bierglas hebt und luge hinter seinen Rücken, um die Fortsetzung der Familiengeschichte mitzubekommen, aber die beiden Frauen scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben.

Lars erzählt mir von seinem beruflichen Burnout. Traurige Geschichte, aber eigentlich will ich mich heute auf Reginas Geburtstagsparty amüsieren. Da sehe ich die Gastgeberin. 

„War das deine Schwester eben?“, frage ich sie.

Sie schaut mich sichtlich verdattert an.

„Nein, meine Schwester hat abgesagt. Sie konnte leider nicht kommen.“

Ein Schatten der Enttäuschung huscht über ihr Gesicht.

„Und mit wem hast du dich da gestritten?“

Regina schüttelt verwundert den Kopf.

„Lars, wie viele Gläser Wein hat meine Freundin schon intus?“

„Das vierte!“, lügt Lars, ohne rot zu werden.

„Na, das erklärt einiges“, zwinkert sie mir zu und kehrt zu ihren Gästen zurück.

Lars schweigt mich derweil an. Vermutlich hat er von mir mehr Anteilnahme zu seiner Burnout-Geschichte erwartet. Das Glas Wein vor mir leert sich schneller, als von mir beabsichtigt.

„Könntest du mir Nachschub holen?“, bitte ich ihn und halte ihm mein leeres Glas hin.

„Ich muss ja auf vier Gläser kommen“, feixe ich.

Keine gute Idee, Chris, sage ich mir. Eigentlich will ich meinen Führerschein behalten und keine Gefahr für meine Umwelt sein.

Da sehe ich den Seebären. Ganz nüchtern scheint er mir auch nicht mehr zu sein. Auf mein Blinzeln reagiert er sofort und steuert den Stehtisch an, baut sich vor mir auf und beginnt einen Smalltalk. Ich blicke ihm in die Augen. Oh weh! Gesund schaut er nicht aus, denke ich. Vermutlich Herzprobleme. Seit der Krebs-Krankheit meiner Mutter kann ich leider den Menschen ansehen, wenn der Tod im Anmarsch ist. Doch wer will das schon wissen? Eine völlig nutzlose Gabe, denn sobald ich etwas sehen kann, ist es leider eh zu spät. Kein Arzt kann dann noch helfen.

Wie soll man sich auf einer Party amüsieren, wenn der Tod zu Gast ist? Meine neue Freundin strahlt, lässt sich feiern, plaudert mit den Gästen und ahnt nicht, dass sie in naher Zukunft Witwe sein wird. 

Ich nehme den Seebären bei der Hand und ziehe ihn auf die Tanzfläche. Trotz seines Gewichts bewegt er sich geschmeidig. Reginas Sohn macht den DJ und bringt uns Songs aus den Achtzigern zu Gehör. 

„Oh, I wanna dance with somebody…“ ertönt Whitneys kratzige, sexy Stimme aus dem Lautsprecher.

„I wanna feel the heat with somebody“

Ich spüre, wie sich unsere Körper berühren. Sie ziehen sich an wie zwei entgegensetzte Pole: Leben und Tod. 

Nicht an die Zukunft denken, nicht an die Vergangenheit!! 

Musik einatmen und als Bewegung ausatmen! 

Die Gegenwart ist eigentlich nicht existent. Sie dauert nur einen Wimpernschlag. 

„Sooner or later the fever ends“

Der Seebär schaut mich aus seinen wässrigen Augen traurig an. Er weiß nicht, dass er bald sterben wird, aber er ahnt es. Todsicher! 

 

Plötzlich wird Whitneys Stimme abgewürgt.

„Happy birthday“, singen Reginas Freunde fröhlich im Chor. Einer trägt feierlich eine Torte mit zwölf Kerzen. Regina soll sie auspusten. Keine 50 Kerzen! Die bedeuten Brandgefahr für die Seele und auch so.

Vor dem Geburtstagskind hat sich eine Schlange gebildet. Jeder will der frisch gebackenen Fünfzigerin gratulieren, ihr mit einem Küsschen die Zukunft versüßen. 

Der Seebär und ich bleiben wie angewurzelt stehen und warten darauf, dass der Tanz weitergeht.