Von Martina Zimmermann
Seit drei Monaten wohnte ich in diesem Haus. Hier, in dieser Straße, stehen nur schöne Häuser. Die Bewohner sind alle gut betucht, so hätte ich es früher ausgedrückt. Heute gehöre ich selber dazu, allerdings verhalte ich mich wie immer und irgendwie kann ich mich mit dem viel zu großen Haus auch nicht wirklich anfreunden, aber Elvira, meine Freundin meinte: „Wenn du so viel Geld hast, dann kannst du es dir auch gutgehen lassen. Warum sollst du noch in der kleinen Bude hocken?“
Ich war erfolgreich in meinem Beruf. Meine kleine Firma war im Laufe der Zeit zu einem großen Unternehmen herangewachsen, aber ich blieb der Alte, jedenfalls versuchte ich es.
Aber alle anderen um mich herum, schienen sich zu verändern und durch den Umzug in dieses Nobelviertel, umgab mich auch ein anderes Klientel. Meine Nachbarin, Carmen von der Heide, lud mich eines Tages ein. Ich hatte keine Lust auf eine Party, aber ich wollte nicht unhöflich sein, und so sagte ich zu.
Ich zog meinen Smoking an, ließ ein riesiges Blumenbouquet zu mir nach Hause liefern, und stand dann pünktlich um 19 Uhr samt Blumen vor ihrer Haustür.
Nach dem ersten Klingeln, öffnete sie entzückt die Haustür und begrüßte mich überschwänglich.
Mit einer einladenden Geste, bat sie mich ein, näherzutreten und als ich den Salon betrat, traf ich auf eine Abendgesellschaft, die alle in Gala gekleidet waren. Es waren drei Frauen und vier Männer anwesend, die mich allesamt mit großem Interesse, so schien es mir, musterten.
Carmen stelle mich vor, und sofort wurde ich umringt von den Damen. Ich bewunderte die Schönheit der Frauen. Selten hatte ich so attraktive Damen gesehen, die sich auch noch allesamt für mich interessierten. Noch nie zuvor, war ich auf so einer Art Party, wenn man es als Party bezeichnen konnte. Etwas steif, mit leichter Unsicherheit, versuchte ich mich höflich zu unterhalten, als Carmen auf mich zugelaufen kam und mir mit ausgestreckten Armen und weit aufgerissenem Mund um den Hals fiel. Ich versuchte sie aufzufangen, weil ich anfangs dachte, sie wäre gestolpert, aber dem war nicht so. Als Carmen in meinem Armen lag und ich versuchte sie festzuhalten, spürte ich, dass ihre Beine versagten. Die Damen kreischten und ich schaute verzweifelt. „Helfen Sie mir bitte“, sagte ich und schaute hilflos herüber zu den Herren. Diese sprangen sofort zur Hilfe, und wir legten Carmen auf das nächste Sofa. Sie schien ohnmächtig zu sein, auf den ersten Blick. Ein Mann gab vor Arzt zu sein und kümmerte sich um sie. Dann wurden wir hinauskomplimentiert. Wir warteten, alle vor der Tür, mit Ausnahme von zwei Herren, die drinnen bei Carmen waren. Ich verstand das alles nicht. „Sie war doch gerade noch so heiter“, sagte ich und die Damen stimmten mir zu. „Was ist bloß los mit ihr? „Sie hat doch noch nichts gegessen, und den Champagner haben wir auch alle getrunken“, erklärte die andere Frau.
Als wir eine Weile im Nebenraum gesessen hatten, öffnete sich die Tür und einer der Herren betrat den Raum. „Ich muss Ihnen eine traurige Mitteilung machen, Carmen ist verstorben. Ich konnte ihr nicht mehr helfen. So wie es aussieht, wird gleich die Polizei hier erscheinen und Ihnen allen einige Fragen stellen. Der Arzt ist auch verständigt, der den Tod untersuchen wird. Es tut mir leid, aber niemand darf das Haus verlassen. Wir müssen uns alle für Fragen der Polizei zur Verfügung stellen.“
„Tot, das kann doch nicht wahr sein?“, hauchte die Frau, die im Sessel vor mir saß. Sie war leichenblass. „Wie kann das sein?“, fragte auch die andere Dame, die neben mir saß, und sie sah genauso mitgenommen aus. „Wie schrecklich“, rief die dritte Dame. „Was sollen wir nur tun?“
„Ich fürchte wir können nichts mehr tun“, erklärte ich. „Wir warten auf die Polizei und schauen, was sie von uns wollen.“ Alle drei nickten sichtlich geschockt und die zwei Herren, die außerdem noch mit mir im Raum waren, nickten mir zu, sagten allerdings nichts.
Wir warteten und keiner von uns schien sich wohl zu fühlen. Das mag an der Tatsache gelegen haben, dass keiner so recht wusste, was er tun sollte und als dann endlich die Kripo eintraf, schienen alle irgendwie erleichtert, weil jemand da war, der Licht in die Situation zu bringen schien. Ein Arzt kam wohl auch dazu. Wir sahen ihn nicht, aber der Polizeibeamte, der anschließend zu uns kam, erklärte, dass es sich augenscheinlich um keinen natürlichen Tod handeln würde, und dass wir alle einzeln befragt werden müssten.
Mir wurde unbehaglich, „ Was wollen Sie damit andeuten?“, fragte ich. „Denken Sie, wir haben Carmen umgebracht?“ Ich war entsetzt. Wäre ich bloß in meiner kleinen Bude geblieben, auch wenn ich mehr Geld hatte, dann wäre mir so etwas erspart geblieben, dachte ich . Und jetzt sitze ich hier, in diesem Nobelhaus und stehe unter Mordverdacht. Was für ein Hohn. „Ich kenne niemanden von diesen Leuten hier“, erklärte ich. „Ich wohne seit drei Monaten nebenan und ich habe nichts mit meiner Nachbarin zu tun“, ergänzte ich . Mir wurde nur noch übel und der Schweiß rann mir an meiner Schläfe runter. Ich zog mein Jackett aus und mit dem, fiel ein Blister Tabletten aus meiner Tasche zu Boden. „Ach, was ist das denn?“, fragte der Kommissar Herr Heubach. Ich starrte zum Boden auf die Tabletten und hob sie auf. „Keine Ahnung wem sie gehörten und wie sie in mein Jackett gekommen sind“, erklärte ich wahrheitsgemäß, aber alle schienen in diesem Moment ein Stück von mir zu weichen. Mir wurde nur noch wärmer und unangenehmer. „Zeigen Sie einmal her!“, befahl Herr Heubach. Ich gab ihm die Tabletten und sah ihn verzweifelt an. „Ich werde sie unserem Arzt geben, er soll sie sich anschauen“, erklärte der Kommissar trocken und ohne Emotionen. Ich dagegen schwitzte noch mehr und ich wäre am liebsten weggerannt. „Was soll das alles?“, fragte ich. „Ich habe damit nichts zu tun. Kann ich gehen? Ich wohne nebenan, wenn sie noch Fragen haben, dann wissen sie ja wo sie mich finden“, erklärte ich. „Sie bleiben alle wo sie sind und keiner rührt sich von der Stelle“, befahl der Kommissar und sein starrer Blick verlieh ihm ein strenges Auftreten, dass die Ernsthaftigkeit dieser Situation noch mehr unterstrich. „Ja, schon gut, ich bleibe hier und warte“, sagte ich niedergeschlagen. „Wir fangen mit dem Verhör der ersten Dame an“, kommandierte Herr Heubach. „Frau Talbach, würden Sie bitte als erstes zu mir kommen?“ Die Frau, die neben mir gesessen hatte, erhob sich, sichtlich angeschlagen von dem Ereignis. Sie ging aus dem Zimmer und wir anderen blieben wortlos zurück. Ich weiß nicht mehr was ich dachte, ich kann nur noch erklären, ich war der Verzweiflung nahe. Immer wieder kreisten meine Gedanken um diese Tabletten. Wer hatte sie mir zugesteckt? Wollte mir jemand etwas anhängen? Aber wer? Und warum? Ich kannte keinen auf dieser Party und Carmen hatte ich nur einige Male gesehen, als wir uns draußen zufällig getroffen hatten. Ich wusste so gut wie nichts von ihr. Was ging hier vor?
Ich schwitzte noch mehr und mein Magen wollte sich drehen, aber ich hatte glücklicherweise lange nichts mehr gegessen. Eigentlich dachte ich ja, es gäbe auf der Party etwas leckeres zu Essen.
Einige Zeit später öffnete sich die Tür und die nächste Dame wurde aufgerufen. Auch sie verschwand in den nächsten Raum. „Was wollen die nur von uns?“, fragte die dritte Frau, die noch bei uns war. „Wir können doch nichts sagen, sie ist doch einfach nur umgefallen“, stellte sie fest. Ich pflichtete ihr bei. „Sie brauchen nicht so zu tun“, sagte plötzlich einer der Herren, aus der Ecke. Sie hatten Tabletten dabei, wer weiß, was sie damit gemacht haben. Vielleicht haben sie Carmen umgebracht.“ „Jetzt machen sie aber einen Punkt. Was soll ich gemacht haben? Warum denn? Sie ist meine Nachbarin und ich bin doch gerade kurz vorher erst gekommen, das haben sie doch selber gesehen“, sagte ich entrüstet. Es ging schon gut los. Jetzt war ich schon der Mörder, die anderen dachten es bestimmt auch, aber er hatte es ausgesprochen. Mir wurde immer schlechter und ich überlegte, einen Anwalt anzurufen. Genau, das war die Lösung. Gerade als ich mein Telefon aus der Tasche ziehen wollte, um meinen Anwalt zu kontaktieren, da öffnete sich die Tür und ich wurde aufgerufen. Schnell steckte ich mein Telefon zurück und verließ den Raum, gefolgt von den Blicken der anderen, die mich eh schon für den Schuldigen hielten.
Herr Heubach saß an einem Tisch und machte eine einladende Handbewegung mich zu setzten. Als ich dann loslegte und sofort meine Unschuld beteuerte und mein Telefon aus der Tasche zog, erklärte ich: „Ich rufe jetzt meinen Anwalt an, es ist mir hier zu dumm“, da öffnete sich die andere Tür und mir blieb der Mund offen stehen.
Carmen trat in den Raum und lachte mich an. Ich wusste nicht, wie mir geschah und ich rang um meine Fassung. „Wie kann das sein?“, fragte ich erstaunt. Ich wusste nicht was ich gerade sagen sollte, so sprachlos war ich. Sie kam auf mich zu und lächelte mich an.
„Mein Lieber, mir geht es gut. Mir hat auch nie etwas gefehlt. Hatte ich dir eigentlich gesagt, dass unsere Party eine Art Krimi-Party seine sollte? Oh, ich glaube, ich habe es vergessen“, lachte sie.
„Krimi-Party“?, wiederholte ich sprachlos.
„Natürlich, wir machen so etwas öfter, es ist so ein netter Zeitvertreib, so spannend, man weiß ja nie, wie derjenige reagiert und du hast dich förmlich angeboten, als neuer Nachbar, das Opfer zu spielen. Zu Anfang hast du so gut mitgespielt, aber leider wolltest du sehr schnell deinen Anwalt anrufen.
Wir hätten uns gerne noch weiter amüsiert mit dir, schade, sehr schade.“
Wortlos verließ ich das Haus, und seitdem wohne ich wieder in meiner alten Bude, da bin ich sicher.