Von Maria Monte

Mein Name ist Harald Kling. Vor fünf Tagen bin ich hier eingezogen. Auf meiner Stube sind wir zu viert, alles angenehme, ruhige Kameraden. Zwei EK´s, also Entlassungskandidaten, ein Vize und ich als Frischling. Ich denke, ich hatte großes Glück, hier zu landen. Habe mich nach der Grundausbildung, die wirklich viehisch war, sehr linkisch angestellt in der Hoffnung, bei den Nachrichten den Telefonisten zugeordnet zu werden. Hat geklappt. Trotzdem bin ich, wie so oft, ein Außenseiter. Ich passe hier nicht her. Als ich mich den Kameraden im Zimmer vorgestellt habe, mein Beruf ist Elektromonteur, Familienstand ledig, erwähnte ich natürlich auch, dass ich im Chor Tenor singe. Und weil ich mit meinen Gesangsübungen unter der Dusche aufgefallen bin, nennen mich bereits alle im Objekt „Kling Klang“. Dabei spielen auf meiner Bude alle ein Instrument. Die Truppe der Gelben hier, vierundzwanzig Mann, setzt sich zur Hälfte aus zukünftigen Studenten bzw. Doktoranden zusammen. Es gibt nur vier Arbeiter, echte raue Typen. Meist geht es kameradschaftlich zu. Aber, wie überall, brauchen die Männer ein schwarzes Schaf. Und das bin ich. Hänseln ist das Eine, Scheißaufgaben zu erledigen, die mir nicht liegen, das Andere. Noch bin ich ein Neuling, ein Frischling, ein Sprutz, wie sie das hier nennen. Ich beiße die Zähne zusammen. Heute soll eine Party steigen. Wir Frischlinge mussten dafür bereits den langen Flur wischen und bohnern. Einige der Sprutze, die schon länger hier eingesetzt sind und sich gut auskennen, schafften eine Unmenge an Getränken heran. Nun liege ich auf meiner Matte, also Bett, denke an zu Hause und trällere so vor mich hin. Die Kameraden richten das Fest aus. Ich werde wohl etwas mittrinken müssen, um nicht wieder aufzufallen. Meine Mama hat mir ein Päckchen mit selbstgebackenem Kuchen und einer Salami geschickt. Sie macht sich täglich Sorgen und will mich auch mal besuchen.

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Die Tür wird aufgerissen, Norbert stürzt herein. „Na, Kling Klang, übst du schon für unser Fest? Hast du meinen Stahlhelm und die Stiefel gewienert?“ Er öffnet seinen Spind und holt sein Bandmaß hervor. Jetzt kommt auch Martin, ebenfalls EK, herein. „Der Spieß hat sich gerade verpisst, wir können anfangen. Hey, Kling Klang, sind das da meine geputzten Sachen?“ Harald hat für die beiden Gefreiten alles parat gestellt und murmelt: „Na klar, alles o.k..“ Vom Flur her sind Geräusche zu hören. Stühle und Tische werden gerückt, Flaschen klirren.

„Schau mal, Sprutz, so wenige Tage haben wir noch.“ Die beiden EK´s ziehen ihr bemaltes Bandmaß hervor, halten es Harald vor die Nase. Fast eine Woche haben sie mit dem Kennzeichnen der Tage zugebracht, Querstriche, Diagonalen, farblich ausgefüllte Felder. Nun binden sie ihren Helm an das untere Ende, in das ein Loch eingestanzt ist. Das Band strafft sich. Peter, der vierte im Zimmer, ab heute Vize, auch Zwischenkeim genannt, kommt in Latschen angeschlurft und lässt die Tür offen. Nun dringen alle Geräusche vom langen Gang lauter herein. Insgesamt liegen nur sechs Zimmer mit je vier Betten hier oben unter dem Dach. Der Raum vom Spieß und seinem Schreiber und die Abstellkammer vervollständigen den kleinen Bereich. Die unteren zwei Stockwerke sind für die Zivilangestellten der Nachrichtenkompanie als Büros eingerichtet. Am Wochenende und nach 17 Uhr verirrt sich keiner in dieses kleine Gebäude. Alle Soldaten kennen sich, sie mögen diese familiäre Atmosphäre. Jeder hier weiß, dass es in anderen Einheiten rauer zugeht. Trotzdem zelebrieren sie die kruden Rituale, die in der Armee gängig sind. Wenn sie schon nicht in den Ausgang kommen, feiern sie eben unter sich ihre Partys, die immer ausschweifende Gelage werden. Damit verdrängen sie ihre Gefühle und blenden Wut und Frust aus. Norbert spricht aus, was alle Entlassungskandidaten heute hier denken. „Dreihundertsiebenundneunzig Tage habe ich dieses Affentheater mitgemacht und ausgehalten. Mit dem heutigen Tag beginnt die letzte Etappe, ein Lichtblick zum Ende dieses Stumpfsinns.“ Auf dem Flur sind immer mehr Stimmen zu hören. Im Nachbarzimmer bauen die Zwischenkeime eine Bar auf. Der Tisch biegt sich unter diversen Alkoholitäten, darunter stehen vier Kästen Bier. Die Sprutze haben bei der Beschaffung ganze Arbeit geleistet. Auf einem kleineren Tisch liegen Esswaren aller Art, auch Harald hat seine Kostbarkeiten aus dem Päckchen der Mutter dazugelegt. Jürgen, ein Zwischenkeim aus dem Nachbarzimmer, übernimmt die Leitung zur Durchführung des Rituals. „Achtung, raustreten und Aufstellung nehmen.“ Die EK´s steigen auf die bereitgestellten Stühle, sieben an der Zahl. Stolz und mit einem breiten Grinsen halten sie ihre Bandmaße mit den Stahlhelmen vor sich. Aus einem der hinteren Räume marschieren sieben Frischlinge in weißer langer Feinrippunterwäsche, das Tragegestell darüber, blitzblanke Stiefel an den Füßen. Den Kopf schmückt jeweils ein Stahlhelm mit angezündeter weißer Haushaltskerze. Was für ein Bild! Ein Vize führt die Riege an. Er trägt würdevoll das Kissen, auf dem die glänzende Schere liegt. Die restlichen Soldaten bilden einen Halbkreis um das Geschehen und intonieren eine Marschmelodie: „Links zwo drei vier, links…“ Als die Sprutze an den Stühlen Aufstellung nehmen, wird gejohlt und gepfiffen. Jürgen gibt ein Zeichen, Stille tritt ein. „Der EK denkt, der Vize lenkt, der Sprutz rennt, die Kerze brennt, Anschnitt marsch.“ Der erste herausgeputzte Frischling tritt vor, greift zur Schere auf dem Kissen, hebt sie bedeutungsvoll in die Luft, um dann gezielt die Zahl 150 vom Bandmaß abzuschneiden. Der Stahlhelm von Martin knallt auf die Dielung. „Hurra, hurra,“ brüllen die jungen Männer. Klaus, jetzt auch ein Vize, reicht die gekühlte Wodkaflasche nach oben. Martin greift sie, nimmt einen tiefen Schluck und gibt sie zum Trinken an „seinen“ Sprutz weiter. Dann tritt der zweite Frischling vor, greift die Schere, wiederholt die Zeremonie und die Flasche geht an Norbert, der neben Martin steht, weiter. Mit jedem Fallen des Helmes klingt das „Hurra, hurra“ lauter und euphorischer. Nachdem der letzte EK und der letzte Neuling die Wodkaflasche geleert haben, wickelt Jürgen die Flasche in Zeitungspapier. Ein Sprutz holt die Bohnerkeule, um das Paket zu zerkleinern. Es scheppert dumpf. Schnell greifen sich die Gefreiten ihre Maßbandschnipsel und verstauen sie sicher in ihrem Spind. Morgen werden sie diese in die Briefe nach Hause legen als eine Vorankündigung ihrer baldigen Entlassung. Harald hält sich derweil im Hintergrund, möchte nicht auffallen. Inzwischen hat ein Vize einen Kassettenrecorder aufgestellt, jeder kommt mit seiner persönlichen Tasse zur Bar und bedient sich. Alle sind ausgelassen, rempeln sich freundschaftlich an, tänzeln zur Musik und erzählen sich Storys von zu Hause. Mit steigendem Alkoholspiegel sinkt auch die Toleranzgrenze. Klaus weist zwei Sprutze an, den Besenschrank auszuräumen und heranzuschaffen. „Wir haben eine Musikbox, jeder darf sie benutzen.“ Natürlich wollen die EK´s als erste zeigen, was sie draufhaben. Bernd, einer der Hartgesottenen, schubbst Harald aus seiner Ecke in den Schrank hinein. Durch den oberen Schlitz wirft er eine Münze in den Schrank und brüllt: „Singe uns: So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Haralds Gesang klingt blechern, die Soldaten grölen lautstark mit. Schon tritt der nächste an den Schrank und befielt: „Wir machen durch bis morgen früh…“ Harald gibt sein Bestes. Seine Stimme müsste jetzt geölt werden, die da draußen haben ja ihre Tassen. Aber keiner denkt an ihn. Das Martyrium geht weiter. Beim vierten Titel verlassen Harald Stimme und Luft. Der EK rüttelt und schüttelt den Besenschrank, so dass Harald drinnen hin und her fliegt. „Hey, Musikbox, singe weiter!“ Beim fünften Lied, das nur noch hustend aus dem Schrank zu hören ist, erbarmt sich Martin. Er öffnet die Tür. Leichenblass und schweißgebadet stolpert Harald in seine Arme. Martin drückt ihm eine Bierflasche in die Hand und widmet sich dann dem weiteren Geschehen. Ein neuer Frischling muss in den Schrank, die jungen Männer erfreuen sich an ihrem Spiel. Keiner nimmt zur Kenntnis, dass sich Harald mit Luftnot und Lungenschmerzen in sein Bett zurückgezogen hat. Die Party nimmt ihren Lauf, drei Kästen Bier sind bereits alle. Klaus positioniert sich erneut als Spielmeister. „Wir brauchen sieben Helme, her damit.“ Wieder muss ein Frischling herhalten. An seinem Tragegestell werden in Höhe von Bauch und Rücken zwei Stahlhelme befestigt, zwei kommen an die Ellenbogen, zwei an die Knie, einer wird aufgesetzt. Fertig ist die Schildkröte. Klaus kommandiert. „Auf die Plätze, fertig, los“, gibt Peter einen Stoß und schon rutscht und kullert der Sprutz als erste Schildkröte den Gang entlang. Das Gejohle und Gegröle spornt den Spieltrieb der Soldaten an. Erwin hat inzwischen bereits seinen verträglichen Alkoholpegel überschritten, muss aber ebenfalls als Schildkröte für die Unterhaltung der Feiernden ran.  Er schlingert von Wand zu Wand und reißt dabei einen Feuerlöscher ab. Als er zum Stehen kommt, übergibt er sich in der Ecke. Hannes, ein Vize, nimmt das Gerät und löscht den Schaden. Die Party wird zu einer Schaumschlacht. Erst, als die letzte Flasche Bier geleert ist und die Schnapsflaschen ausgetrunken sind, stolpern alle in ihre Betten.

Am nächsten Morgen werden sie vom Brüllen des Spießes geweckt. Das Chaos im Flur ernüchtert selbst die härtesten Schnapsleichen vom Abend. „Wer von euch hat den Feuerlöscher betätigt? Ihr habt hier wilde Sau gespielt, ihr Suffköppe. In zwei Stunden will ich nichts mehr sehen, verstanden? Und die EK´s melden sich dann in meiner Stube. Das Thema Feuerlöscher wird euch eine Woche Ausgangssperre einbringen.“

Harald hat sich beim Sani gemeldet und wurde ins nächste Krankenhaus eingewiesen. Er konnte sich nicht mal mehr artikulieren, wie es zu seiner Aphonie kam. Als seine Mutter an dem Krankenbett steht, kullern ihm die Tränen. Heimlich wischt er sie ab. Er hat noch einen ganzen Sack an Tagen vor sich.

 

Erklärung: EK´s sind i.d.R.auch Gefreite,

2. Variante

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