Von Helmut Blepp
Es war am Tag vor der Zeit. Als ich erwachte und sofort spürte, dass ich Großes erschaffen hatte.
Mich!
Er hatte versucht, mich zu vernichten – und war gescheitert! Ihm zu entsagen und zu überleben, war ein Wunder, das allein ich vollbracht hatte. Alle Furcht fiel mit einem Mal von mir ab und wich einer berstenden Kraft.
Heute, dachte ich, muss es gelingen.
Die Erde brannte. Der Himmel loderte. Der irre Greis war drauf und dran, alles zu vernichten. Nur ich, der Neugeborene, konnte ihn aufhalten.
Ich trat vors Tor. Die Luft war bereits warm, doch noch stand die Sonne nicht im Zenit.
Er wartete bereits.
„Du bist also nicht tot“, stellte er fest. Sein mächtiger Leib bebte. Er konnte seine Wut kaum bändigen.
„Götter sterben nicht“, hielt ich ihm entgegen. „Aber nur die wahren Götter, du verstehst?“
„Ich bin dein Gott“, brüllte er unbeherrscht, so dass mir sein Atem wie eine Böe ins Gesicht fuhr.
„Es gibt Unterschiede, alter Mann. Du hältst dich für allmächtig. Ich bin es. War ich es nicht, der selbst deinen Lakaien, den Tod, besiegte?“
„Ich warne dich: Zügle deinen Hochmut! Wenn du dich mir in den Weg stellst, hetze ich meine Heerscharen auf dich. Sie werden dich in Stücke reißen.“
„Entspann dich, alter Mann! Lerne, loszulassen! Es wird ein schmerzloser Abgang für dich, sobald ich das Kommando übernommen habe. Es darf einfach nicht so weitergehen. Du bist senil, eine Gefahr für die eigene Schöpfung. Sieh doch endlich ein, dass die Ewigkeit einen neuen Mann braucht! Du hast den Menschen geschaffen. Jetzt schafft der Mensch dich. Und dieser Mensch bin ich. Ich, der neue Gott!“
Seine Engel waren herangekommen. Michael zückte sein Schwert. Flammen züngelten um die Klinge.
„Rufe deine Schläger zurück“, warnte ich den Alten. „Ihre Waffen sind zu primitiv, um dir zum Sieg zu verhelfen. Es wäre das Blut deiner Diener, das fließen würde.“
In seinem Gesicht konnte ich erkennen, wie verunsichert er war. Er zögerte, suchte verzweifelt nach einer Lösung, vermochte aber nicht erkennen, dass nur seine Kapitulation noch Rettung bringen konnte. Stattdessen verlor er sich in Phrasen.
„Du bist mein Geschöpf. Rebelliere nicht gegen deinen Herrn!“
Sein aufgeblasenes Getue entlockte mir nur ein müdes Lächeln Wie erbärmlich er plötzlich wirkte!
„Auch ein Schöpfer kann seinen Meister finden. Und das werde ich sein. Also fordere nicht meinen Zorn heraus, sonst wirst du sterben. Der neue Herr bin ich!“
Seine Augen schleuderten lächerliche Blitze, die an meiner Rüstung abprallten und erlöschend zu Boden fielen.
„Worüber regst du dich überhaupt auf?“, versuchte ich noch einmal, ihm vor Augen zu führen, was er angerichtet hatte. Ich wollte ihn zur Vernunft bringen. „Was hast du schon erreicht, alter Mann? Nichts, sage ich dir! Versaut hast du alles. Deine sogenannte Krone der Schöpfung legt gerade die Welt in Schutt und Asche, weil du den Überblick verloren hast. Statt einzugreifen, hast du dich beleidigt zurückgezogen und willst nun zulassen, dass alles im Chaos versinkt.“
„Diese undankbaren Lehmklumpen, denen ich Leben einhauchte, haben es nicht besser verdient!“, rief er zornig.
„Genau davon rede ich! Du warst schon immer zu impulsiv, hast Menschen ersäuft, die dir nicht gehorchen wollten, hast ihnen Plagen auf den Hals geschickt, so dass sie hungern mussten und armselig starben. So etwas tut kein barmherziger Gott, nur ein Despot!“
„Ich gebe. Ich nehme. Ich bin Anfang und Ende. Niemand darf mich in Frage stellen.“
„Dennoch tue ich es. Gib endlich auf! Ich bitte dich!“
Aber das konnte er nicht.
„Genug geredet!“, rief er. „Jetzt sollen Taten sprechen!“
Mit einem gellenden Schrei trieb er seine Engel zur Attacke.
Ich aber blieb ganz ruhig und nahm das Horn zum Mund, das ich die ganze Zeit hinter meinem Rücken verborgen hatte. Ich blies kräftig hinein. Sofort entfesselte sich ein Inferno hinter mir. Die schwarzen Brüder stürmten zur Schlacht!
Es war ein ungleicher Kampf unter der gnadenlosen Sonne. Bald lagen die Engel in ihrem Blut. Sie waren endgültig besiegt. Selbst das Flammenschwert war erloschen.
Der Alte fiel auf die Knie. Fassungslos starrte er in die Reihen seiner sterbenden Diener. Er hielt sich die Ohren zu, um ihre verzweifelten Schreie nicht hören zu müssen.
Fast stieg Mitleid in mir hoch bei seinem elenden Anblick. Ich musste an mich halten, um nicht gnädig die Hand auf sein Haupt zu legen. Der neue Gott musste sachlich bleiben!
Luzifer, mein Waffenbruder, trat neben mich.
„Na, zufrieden?“, fragte er grinsend.
„Ja, es war perfekt. Doch was ist mit ihm?“
„Der gehört mir! Zu lange habe ich auf diese Genugtuung gewartet.“
Er machte dem Leiden des Alten mit einem gezielten Schwerthieb ein Ende.
„Dieser selbstgerechte Greis hat es nicht besser verdient“, meinte er leichthin.
„Wahrscheinlich hast du recht“, musste ich gestehen. „Ich hätte es nicht gekonnt, auch wenn er mein Widersacher war. Vielleicht bin ich doch zu weich.“
„Du bist schon recht, Bruder! Und du wirst es beweisen. Rette, was zu retten ist!“
Er schlug mir ermutigend auf die Schulter.
Ich wandte mich ab. Viel Arbeit wartete auf mich.