Von Sonja Gröhler
Als ich erwachte, dröhnte mir der Schädel und alles schmerzte. Nur langsam kehrte die Erinnerung an die letzte Nacht zurück. Wieder einmal hatte ich mich über meine Arbeitskollegen geärgert, die sich über meine schmächtige Statur und mein Stottern lustig machten. Wieder einmal versuchte ich, in einer kleinen Bar in Rimini meine Stimmung mit Whisky anzuheben. Nur leider erinnerte ich mich nicht mehr daran, wie viele Gläser es waren. Jedenfalls schlief ich auf dem Heimweg auf einer Parkbank ein, und jede Faser im Rücken fühlte sich an, als hätte ich auf einem Nagelbrett gelegen.
Und dann dieser merkwürdige Traum. Wie durch Nebel sah ich eine Art Raumkapsel neben mir landen. Zwei Schatten beugten sich über mich. Eine tiefe Männer-Stimme tönte: „Das muss er sein. Stinkt wie 1000 Morcheln.“ Ich wurde aufgehoben und in die Kapsel getragen. Krampfhaft versuchte ich, die Augen zu öffnen. Dann wieder die tiefe Stimme: „Er scheint aufzuwachen. Gib ihm mal ein De-Alkoholisations-Mittel.“ Ich merkte, wie sich eine Nadel in meinen Arm bohrte. Mein Blut fing an zu brodeln. Ich fiel in Ohnmacht.
„Ihr Trottel, das ist nicht unser Mann! Der wurde in Rom verhaftet und sitzt in Untersuchungshaft. Nun müssen wir hoffen, dass dieser hier es schafft. Wir haben keine Zeit mehr.“ „Ja, Chef, sorry. Wir haben nicht gewusst, dass es nicht Super-Schmiddi ist. Aber das Sensitivbarometer hat ihn als enorm sensibel angezeigt, deshalb haben wir ihn verwechselt.“
Nur langsam kehrte mein Bewusstsein zurück und wie durch einen Schleier nahm ich auf, was die dritte Gestalt, die sie Chef nannten, mir sagte: „Du wirst bald feststellen, dass Du Superkräfte hast. Wir und die ganze Welt sind auf Dich angewiesen. Leider ist unsere Rettungskapsel von der Flugbahn abgekommen und mit wichtigem Material im Meer abgestürzt. Wir haben zwar auch Superkräfte, die werden aber durch Salzwasser neutralisiert und nicht wirken. Du wirst genau vier Stunden haben, um die Welt vor dem Untergang zu retten.“ Dann fiel ich erneut in leichten Schlaf.
„Puh, was für ein schräger Traum. Ich, Charly, der unsportliche Stotterer und Einzelgänger war ein Superheld. Wünsch-Dir-Was lässt grüßen“, dachte ich und schwang mich in Sitzposition auf. Ich stellte verwundert fest, dass ich in einer steril gestalteten kargen Kammer lag. Ungelenk nestelte ich an meiner Jackentasche. Gottseidank, mein Handy war noch da. Ich blickte kurz auf die Nachrichten-App und erstarrte: „Die durch die Klimaveränderung gestiegene Wassertemperatur im Mittelmeer hat nun 45 Grad erreicht. Ausgehend von der 50 Grad warmen Adria haben sich Mikrobakterien in den gesamten Mittelmeerraum ausgebreitet. Diese führen nicht nur zu einem weitreichenden Fischsterben, sondern sind auch für Menschen äußerst gefährlich. Sie verursachen ein starkes Anschwellen der Schleimhäute und können zur Erblindung und Tod durch Ersticken und Lungenentzündung führen.
Weiterhin wurde festgestellt, dass der giftige Rotfeuerfisch und Feuerquallen, die sich inzwischen im Mittelmeer weitgehend ausgebreitet haben, gegen diese Mikrobakterien resistent sind. Wissenschaftler konnten noch kein Gegenmittel finden. Es wurden bereits 112 Verletzte und 14 Tote gezählt. Bitte gehen Sie nicht schwimmen, und meiden Sie generell Wasserkontakt!“
Instinktiv wusste ich: Es würde zu weiteren Kettenreaktionen kommen. Bald wäre die Katastrophe unaufhaltbar, würde das komplette Ökosystem unumkehrbar umkippen.
Also war es doch kein Traum. Ich erinnerte mich wieder, was mir erklärt wurde: „Du hast vier Stunden haben, um die Welt vor dem Untergang zu retten…“
Inzwischen war ich bei vollem Bewusstsein. Wenn das alles wahr ist, was wird dann aus den Meerestieren? Und die ganze Tierwelt? Ich empfand riesiges Mitleid mit den Fischen und Tieren. Ich konnte stundenlang in ein Aquarium schauen und die Fische bewundern. Ja, die Sauerstoff-Produktion und das Klima würden sich so verändern, dass die Menschheit wohl auf Dauer nicht überleben konnte. Aber die Misere war von Menschen-gemacht und mein Mitleid für Menschen begrenzt. Auch wenn ich mit draufgehen würde. Aber die Land- und Meerestiere, ja, die mussten unbedingt gerettet werden. Dafür würde ich alles tun, was in meiner Macht steht.
Da wurde ich plötzlich von hinten gepackt und eine Luke aufgerissen. Durch die nun geöffnete Tür der Flugkapsel wehte ein kühler Wind herein. Ich fröstelte und wollte mich losreißen. „Raus mit Dir! Deine Behandlung hat viel Zeit gekostet und Du warst eine Stunde nicht wachzukriegen. Du hast nur noch 180 Minuten!“
Ich fiel nur wenige Meter und landete in Wasser, das warm war wie in einer Badewanne. Ich prustete und schlug wild um mich. Warmes Salzwasser schwappte in meinen Mund. Ich würde ertrinken oder von giftigen Rotfeuerfischen gestochen werden. Mein Bauchraum zog sich vor Angst zusammen.
Doch dann bemerkte ich ein Ziehen in meinem ganzen Körper. Nanu? Was geschah mit mir? Ich konnte mich in Wellenlinien und großer Geschwindigkeit voran bewegen. Wow! Ich drehte eine schnelle Runde und realisierte, dass ich einen gestreiften Anzug anhatte. Nein, doch nicht. Ich steckte in einer Schlangenhaut und bewegte mich ohne zu Atmen mit rasender Geschwindigkeit durchs Meer.
Links und rechts glitten rote Feuerquallen vorbei. Ich durchschwamm einen Schwarm Rotfeuerfische. Wie wunderschön sie waren. Dann plötzlich tauchte von links ein dunkler Schatten auf. Ich erstarrte vor Schreck. Ein Hai. Zielstrebig schwamm er auf mich zu und wollte mich schnappen. Trotz meiner Angststarre regte sich in mir plötzlich ein Instinkt. Ich wich wendig aus und biss ihm mit voller Kraft in den Rücken. Aus meinen Zähnen floss Gift in seine Wunden. Zuckend wendete er ab, verlor die Kontrolle über seine Bewegungen und trieb strudelnd ins tiefere Wasser.
Offenbar hatte ich mich in eine giftige Seeschlange verwandelt. Der Kampf mit dem Hai hatte Zeit gekostet. Ich bemerkte, dass ich dringend Luft holen musste.
Dunkel erinnerte ich mich an die Anweisungen: „Du wirst sehr schnell schwimmen können. Bewege Dich auf 100 m Tiefe und halte nach einem etwa ein Meter langen Metallkasten Ausschau. Du kannst 30 Minuten ohne zu atmen unter Wasser bleiben, dann musst Du kurz zum Luftholen auftauchen.“
Nur noch 150 Minuten. Ich musste mich beeilen. Nach dem Luftholen glitt ich schnellstmöglich hinab in die schattige Tiefe. Endlich, nach scheinbar endlosem Hin- und Hergleiten schimmerte es vor mir silbern. Die Box.
Einmal kurz zum Luftholen auftauchen – nur noch 120 Minuten. Jetzt kam der schwierigste Teil. Ich erinnerte mich an die Anweisung, aber auch an meine Angst vor Wasser: „In Deiner Super-Form wirst Du die Box nicht öffnen können. Daher musst Du Deine Konzentration auf Deinen Körper richten und Dir Deinen menschlichen Körper vorstellen. Nur damit kannst Du die Öffnungsmechanismen zu betätigen.“
Ich konzentrierte mich. Nichts passierte. Stattdessen fühlte ich eine enorme Luftnot. „Ach Du je! Die 30 Minuten sind schon wieder um!“ Schnell tauchte ich auf und atmete tief ein. Mir gefiel dieser agile, wendige Schlangenkörper, der keine Ängste zu kennen schien. Wollte ich wirklich wieder der schwächliche Charly sein? Konnte ich damit wirklich etwas bewirken? „Du kannst es! Los jetzt, das Leben der Tierwelt und der Menschheit steht auf dem Spiel.“ Ich konzentrierte mich darauf, mich in meinen menschlichen Körper zu transformieren und dabei voller Zuversicht zu sein.
Ein Schwarm Rotfeuerfische kam auf mich zu. Ich musste mich beeilen. In meinem menschlichen Körper würde ich an ihrem Gift sterben. Schnell griff ich neben die Box und zerrte die daran offensichtlich magnetisch befestigen Werkzeuge ab. Als erstes kniff ich die Umhüllungs-Schutzstreifen ab, so dass eine Art Zahlenschloss freigelegt wurde. Die Feuerfische kamen bedenklich näher.
Was hatten sie gesagt? „Du musst ein bestimmtes Muster auf den dann erscheinenden Punkten drücken, so ähnlich wie eine Zahlenkombination.“ Schnell drückte ich das Muster, das ich mir eingeprägt hatte. Der Kasten sprang auf. Vier Säcke lagen darin. Nur noch wenige Meter und der Schwarm Rotfeuerfische hätte mich erreicht. Die Luft in meinen Lungen war fast komplett verbraucht. Schnell konzentrierte ich mich wieder auf den Schlangenkörper.
Erleichterung überkam mich. Es hatte geklappt! Ich steckte wieder in meinem Wasserschlangenkörper, war aber kurz vor dem Ersticken. Nun aber schnell. Ich schoss nach oben an die Meeresoberfläche und atmete tief ein. Die letzten 60 Minuten waren angebrochen.
Ich schoss auf die offene Box zu und biss den ersten Sack auf. Ein Pulver quoll kurz heraus und verursachte dann sofort ein Sprudeln wie Brausepulver. Schnell verteilten sich die Blasen im Wasser und wurden von der Strömung mitgerissen. Nun galt es, die übrigen drei Säcke möglichst weit voneinander zu verteilen. Schnell schleppte ich sie an verschiedene Stellen ins offene Meer und öffnete sie. An meiner Luftknappheit merkte ich, dass die vierte Stunde um sein musste. Geschafft!
Erschöpft tauchte ich nach oben und kroch auf den vor mir liegenden Strand. Bei einer naheliegenden Ortschaft stibitze ich mir Shorts und T-Shirt von der Wäscheleine und rief mir ein Taxi. Zuhause holte ich schnell Geld für den Taxifahrer und fiel dann in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Tag schaltete ich sofort die Nachrichten an: „Aus unerklärlichen Gründen sinkt seit heute Morgen die Wassertemperatur im Mittelmeer. Experten konnten in den letzten sechs Stunden einen Rückgang von 50 auf 34 Grad verzeichnen. In Wasserproben wurde ein bisher unbekannter Mikroorganismus entdeckt, der sich rasend schnell vermehrt und die schädlichen Mikrobakterien bekämpft.“
Ein strahlendes Lächeln erhellte mein Gesicht. Ich hatte es geschafft und dabei meine eigene Stärke entdeckt. Ich freute mich schon auf die vor mir liegenden Ausflüge in die Unterwasserwelt. Ich würde unter Wasser miterleben, wie sie sich regenerierte. Und mich über das Studium der Meeresbiologie informieren. Das könnte was für mich sein.
Die Welt war gerettet. Vorerst ….