Von Miklos Muhi
»Wow« Meine Stimme verklingt in der dunklen Meditationshalle des Zen-Klosters, das zurzeit als Schlafsaal dient.
Geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht, sondern an meinem Schlafplatz die Matte ausgerollt, das Sitzkissen darauf gelegt, mich hingesetzt und meditiert. Die Welt ist hinter dem Rauschen des Universums verschwunden.
Dieses ist auf einmal verstummt.
Die Welt öffnet sich vor meinen Augen, pulsierend und voller Leben. Trotz Dunkelheit und Stille sehe und höre ich alles in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
In diesen lichtdurchfluteten Bildern blühen Wissensblüten auf, die jeder sprachlichen Beschreibung spotten. Die Gesetze der Physik, von denen uns nur ein kleiner Teil bekannt ist, ermöglichen unerreichte Handlungen und eröffnen ungeahnte Möglichkeiten.
Das ganze Universum zieht sich zu einem einzigen Punkt zusammen. Es steht mir frei, mich überall hin zu versetzen. Entfernungen spielen keine Rolle, genauso wenig wie Temperatur oder Anwesenheit, Fehlen oder Zusammensetzung von Atmosphären.
Ein ständiger Wind von Gedanken bläst mir entgegen. Sprache und Spezies der Denker sind irrelevant. Tägliche Sorgen sind genauso vertreten wie warme Friedfertigkeit und Güte.
Hin und wieder wird es eisig. Unwissenheit, Gier und Hass schlagen mir entgegen.
Die Quelle ist fast immer die Erde.
Ich sehe die fieberhaften Vorbereitungen auf den großen und letzten Krieg. Der Aggressor hat sich entschieden, sich gegen die ganze Welt zu wenden. Sein kleiner Nachbar hat ihn mehrmals vorgeführt, so sieht er den Moment der Rache gekommen.
Konventionell hat er wenig zu sagen und selbst seine thermonuklearen Waffen sind in einem erbärmlichen Zustand. Militärisch sind sie bedeutungslos. Sie eignen sich nur dazu, ganze Landstriche für unabsehbare Zeit unbewohnbar zu machen.
Die Antwort wird nicht lange auf sich warten lassen. Bei der Anzahl der Spinner mit einem roten Knopf auf dem Schreibtisch wäre diese Eskalation gleichbedeutend mit dem Ende der Menschheit.
In vier Stunden fängt es an.
Es wäre ein Leichtes, diese Waffen zu entschärfen. Einige Handbewegungen und das eine oder andere Mantra würden ausreichen. Dann bleiben nach dem Klicken der roten Knöpfe Feuer- und Strahlenhölle aus.
Den Druck des Sitzkissens spüre ich nicht mehr. Der Geruch von Räucherstäbchen und Kerzen und das leise Schnarchen der anderen lasse ich hinter mir. Die klare Nachtluft über den Bergen bei Kyoto durchflutet meine Kesa 1). Die Sterne flüstern.
Bilder aus der Geschichte überfluten mich. Die Bewegung meiner Hände stoppt in der Luft, bevor sie die erforderliche Position einnehmen.
Ich sehe Leiden in unvorstellbaren Maßen, Zerstörung von Leben, um zu entscheiden, wessen Fantasiefreund den längeren Teil hat (oder wegen anderer genauso nichtiger Angelegenheiten). Man verdient damit Geld und Macht, alles, was man auf die wichtigste Reise nicht mitnehmen kann.
Das ist die Quelle eines reißenden Leidensflusses, der alles Angenehme wegspült. Verkorkste und sinnlos harte Lebenswege werden von ihm hinterlassen.
Das Leiden führt zu weiteren Zerstörungen. Verkümmerung wird zur neuen Normalität. Eine Rebellion dagegen wird nicht toleriert und sofort im Keim im Leidensfluss ertränkt.
Daraus etwas zu lernen steht nicht auf dem Menü.
Ich lege die Hände wieder in meinen Schoß.
»Soll das wirklich so weitergehen?«
Das Universum antwortet mit Stille.
Ich antworte mit einem grellen Licht, das meinen Kopf umgibt, bevor ich diesen Planeten, bevölkert von einem dämlichen Krebsgeschwür von Spezies, auf Nimmerwiedersehen verlasse.
1) https://de.wikipedia.org/wiki/Kesa
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