Von Clara Sinn
„… Du stellst fest, dass Du über Nacht zum Superhelden geworden bist, doch dir bleiben nur vier Stunden Zeit, die Welt zu retten …“ Sie konnte die DVD getrost zurückstellen ins Regal. Merkte erst jetzt, dass sie ja die ganze Zeit über in der Kinderabteilung guckte. Aber die rosa Taschenuhr auf dem Cover erinnerte sie doch an etwas? Ja, Jolanda.
Zu dem Job war sie per Nötigung gekommen. Ausnahmsweise. Meist war es Zufall, Not und Laune. In eins. Sie war eher dieser Hallodrityp, mal zwei Jahre Animateurin in einem Club Med in der Türkei, mal zwei Jahre Auszubildende bei der Stadtsparkasse. Immerhin die lockerste. Dann wieder weite Welt. Chile, Mexico. Fremdenführerin. Am Hippiestrand von Xpu Ha die Businessfrau. Ehe und Sesshaftwerden. Reisen nur noch als Urlaub. Scheidung, zweite Ehe. Lange solide Jahre in der Schweiz.
Nach dem Tod ihres Mannes zurück nach Bonn. Was sollte eine Frau in ihren 50ern jenseits von Gut und Böse mit dem Restleben am besten anfangen? Seniorenkurse. Die Altenakademie bot Archäologie, Astronomie … da hatte sie schon gleich aufgehört zu lesen. Sie suchte ja keinen Mann. Mehr. Lieber die Volkshochschule probieren, Feldenkrais, philosophische Spaziergänge und den „Abschied selbst gestalten“.
Der Titel hatte reingehauen und der Inhalt noch mehr. Was es da alles zu regeln gab! Für die Fälle Betreuungsvollmacht, Patientenverfügung, Sterbebegleitung … mit 1000 Spitzfindigkeiten, dass die Sanitäter trotz Verfügung reanimieren dürfen und nur der Notarzt dann die Wiederbelebung abbrechen darf. Nebst all den Testamentsregeln, persönlichen Begräbniswünschen und der obligatorischen Wohnungsauflösung.
Sie hatte einem langjährigen Freund begeistert von allen Stolperfallen und tragischen Fällen erzählt, als der darauf gedrungen hatte, das als Beratung anzubieten. Seriöse. Hochqualifizierte. Niedrigschwellige. Sie schlug ein, beriet zahllose Interessenten.
Und sie selbst? Hatte sich irgendwann einfach eine Kollegin akquiriert, die genauso alleinstehend war wie sie. Wie schnell war man plötzlich im Krankenhaus. Schon ein unverhoffter Unfall zur Unzeit reichte. Wer öffnet da die Briefe, entscheidet für einen?
Wie als sie dieser Anruf erreichte. Auf dem Handy der Kollegin. Die bewusstlos auf der Intensivstation lag, wenn auch mit erstklassiger Prognose. Eine Erinnerung vom Notar. Wegen der Frist, das Erbe auszuschlagen. Sie hatte zwar keine Ahnung, aber begriff: Im Fernsehen ging gerade „Wissen vor acht“ zu Ende … An eben diesem Tag hatte sie erreicht, besagtes Telefon doch noch ausgehändigt zu bekommen. Das just an der Steckdose zu sich gekommen war. Mit einen fast überhörten nur flüchtigen Pieps …
Schlüsseldienst bezirzen, um überhaupt in die Bude zu kommen und dann nur noch der Sturm auf den ‚Reiseordner‘. Da waren alle Papiere sicher vorbildlich abgeheftet; wieso brauchte der blöde Schlosser so lange? Dann Tour de Force: Betreuungsbeleg, Vordruck zum Erbeausschlagen aus dem Netz, Notar mobilisieren und zugleich mit dem Taxi schon mal hinfahren. Zum Glück nur nach Wachtberg raus.
Und drei Minuten vor Mitternacht das Schreiben in den Nachtbriefkasten vom Nachlassgericht – eingeworfen.
Jolanda hatte ihren Gefallen daran gefunden, einen Ordner mit lauter großen wie kleinen und auf alt- wie neugemachten comichaften rosa Taschenuhren auszuwählen.
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