Von Sylvia Frank
Warum muß ich ausgerechnet jetzt aufwachen? Der Traum war so spannend gewesen, wenigstens den Schwertkampf hätte ich ja noch gewinnen können. Handy, Uhrzeit. Da kann ich tasten soviel ich will, mein Handy liegt nicht auf dem kleinen Nachttisch. Wohl runtergefallen, Mist! Stattdessen Papier. Wieso Papier? Ach ja, ich hatte ja gestern Abend im Bett noch ein paar Ideen für ein Märchen aufgeschrieben, das ich für eine Übung in einem Schreibforum schreiben will. Was steht da?
Du bist eine Superheldin geworden und hast vier Stunden Zeit, die Welt zu retten.
Häh? Brille aufsetzen, nochmal lesen. Ja, aber auch mit Brille steht das immer noch da. Ich hab´ es nicht geschrieben, da bin ich sicher. Warum sollte ich auch? Wenigstens habe ich so heute morgen schon was zu lachen. Oder spüre ich doch ungeahnte Kräfte, die mich förmlich aus dem Bett katapultieren? Was drüberziehen und Kaffeekochen sind eins, schon kann der Tag starten? Nein, funktioniert nicht, auch als Superheldin muß ich mich aus dem Bett quälen und mühsam meinen Kaffee zustande bekommen.
Und was macht ein Superheld so den ganzen Tag über? Wer sind überhaupt die Superhelden? Spiderman? Superman – der liegt ja nahe? Gibt´s da nicht auch diese Avengers? Ich habe keine Ahnung, die interessieren mich nämlich nicht. Ja, und ich bin über Nacht also eine geworden.
Meinen Kaffee trinke ich auch als Superheldin nicht anders, als sonst: schön langsam, mit Genuß. Zeit, mich dem zweiten Teil dieses ominösen Satzes zuzuwenden: und du hast vier Stunden Zeit, die Welt zu retten.
Ja, was soll ich dazu sagen? Ich weiß nicht, von wem diese Nachricht an mich kommt, wer diese Schnapsidee – sagt man das heute noch? – hatte. Ich weiß nur eins: Empfänger verfehlt! Thema verfehlt!
Ich, die pessimistischste Misanthropin ever, soll die Welt retten? Wenn das nicht so traurig wäre, würde ich mich jetzt schlapplachen. Laß mich mal nachdenken: was ist die Welt? Also für mich, was verstehe ich darunter? Die Erde in all ihrer Schönheit, mit ihrer Fauna und Flora, Meeren, Bergen, Wiesen, Bäumen, eben der Natur. Und bei „der Welt“ gehört die dämliche Menschheit auch dazu.
Und diese Welt ist nicht zu retten!
Nicht von einer Superheldin.
Nicht in vier Stunden.
Nicht in vierzig Stunden.
Und auch nicht in vierhundert Stunden.
Der Mensch hat zuviel gefummelt, hat zuviel durcheinandergebracht. Der Mensch hat´s verkackt. Das ist wie bei einem Kredit, da wird auch ein Loch mit dem nächsten gestopft. Werden hier Windräder gebaut, wird da was kaputtgemacht. So ist es mit allem. Wollen wir mehr Getreide und Gemüse, brauchen wir mehr Anbauflächen. Wie schnell werden wohl all die schönen Naturreservate verschwinden, wenn der Mensch mal wieder mehr Lebensraum braucht, weil er es nicht lassen kann, mehr seiner Art in die Welt zu setzen. Aber diese Art wird bestimmt nicht aussterben, alle anderen wahrscheinlich schon.
Diese Welt ist nicht zu retten.
Was ist aber mit der Erde? Die Erde könnte man retten, da würde ich gerne mitmachen, als Superheldin oder auch nicht.
Die Erde, der blaue Planet: Tiere, Pflanzen, Berge, Seen, Meere, Wälder, Vulkane – alles, was es gibt. Nur ohne die Menschheit. Wie in meinem Lieblingsbuch von Alan Weisman: Die Welt ohne uns: Reise über eine unbevölkerte Erde.
Natürlich müssen vorher alle Käfige usw. geöffnet werden, die Tiere, die in irgendeiner Form in Gefangenschaft leben, müssen wenigstens durch ihre Befreiung eine Chance bekommen. Leider wird es Opfer geben, aber besser jetzt einige, als später alle, wenn die Menschheit noch lange weitermacht.
Kein Krieg, keine Pandemie, einfach zack und weg. Wohin, weiß ich nicht. Vielleicht wird die Menschheit von einem Schwarzen Loch gefressen. Vielleicht landet sie in einer anderen Galaxie, auf einem anderen Planeten, den sie dann verhunzen kann. Ich bin dann natürlich auch weg, Superheldin hin oder her. Aber wen stört das?
Die Erde braucht keine menschlichen Superhelden.
Der Reichtum der tierischen und pflanzlichen Superhelden ist unerschöpflich.
Die Superheldin meldet sich also zur Stelle, die Erde zu retten. Für die Welt ist es eher zu spät.
Wie gesagt: Empfänger verfehlt, Thema verfehlt.