Von Christiane Labusga

Easy blinzelt. Nicht mal zehn Uhr, fast noch Nacht. Sein Daumen hat ihn geweckt, juckt ganz erbärmlich.

Er zieht ihn unter der Bettdecke hervor: Er leuchtet neongrün. Waaas?

Jetzt ist Easy wirklich wach, rennt ins Bad. Wo kommt die Farbe her? Abwaschen … lässt sie sich nicht.

Das muss er Oma Schmodtke zeigen, die weiß immer einen Rat. Am besten den verfaulten Kaktus mit nach unten nehmen, der stinkt schon ganz außerirdisch. Von wegen pflegeleicht! Beeny wird sicher sauer sein, dass er ihr Geschenk so schnell schon verdorben hat.

 

Oma Schmodtke macht direkt nach dem ersten Klingeln auf, als hätte sie hinter der Tür auf Easy gewartet. Nach einem Blick auf den Kaktus sagt sie:

„Na, Gott sei Dank, es stimmt also. Komm schnell rein, du musst dem Erwin helfen, der hat Schorf am Ohr!“

Easy versteht nur Bahnhof, aber dem Erwin hilft er gerne. Sicher gibt‘s danach was Leckeres zur Belohnung. Sein Magen macht sich nämlich langsam bemerkbar.

Oma Schmodtke schleift ihn durch den Flur in die Küche zu Erwins Decke. Dort hockt der Dackel mit jämmerlich hängendem Kopf – soweit der Plastik-Kragen es zulässt.

„Und was soll ich jetzt machen, Oma Schmodtke?“

„Na, fass‘ ihn mal an, streich‘ mal mit dem Daumen über sein Ohr!“

Sein Daumen? Woher weiß Oma Schmodtke von seinem Daumen?

„Junge, ich hab heute Nacht von dir und deinem Daumen geträumt. Du sollst die Welt retten, aber erst einmal musst du dem Erwin helfen!“

First things first, das versteht sogar Easy, auch wenn er sonst gerade nichts checkt. Also greift er dem Erwin an die Ohren, mal links, mal rechts. Erwin weicht zuerst zurück, dann schmiegt er sich begeistert in Easys Hand. Ja, der ganze Hund kommt in Schwung, es scheint, dass sogar sein Fell zu glänzen beginnt wie seit Jahren nicht mehr.

„Es wirkt, es wirkt!“, ruft Oma Schmodtke.

Sie nimmt Erwin den Kragen ab und der rast wie ein Jungspund durch die Wohnung, gar nicht „ganz der Alte“.

„So, Easy, jetzt zu dir: Du hast einen grünen Daumen bekommen, mit dem musst du die Welt retten.“

„Grüner Daumen, ich? Schau mal, der Kaktus, Beeny wird mich umbringen.“

Er hebt den Kaktus vom Boden auf, wo er ihn vor der Behandlung Erwins hingestellt hat. Mann, hat der sich verändert: prall, saftig, intakt und zu allem: Drei zarte lila Blüten haben sich in der Zwischenzeit gebildet.

„Siehste, wenn ich was träume, dann stimmt das. Also: Du musst den Stein der Weisen berühren, dass wird die ganze Umweltkatastrophe umkehren und alles wird wieder wie früher. Ganz einfach. Nur musst du das noch bis zwölf Uhr schaffen.“

„Stein der Weisen? Ach.“

„Ja, hab ich auch geträumt. Den suchen die Philosophen schon seit tausenden von Jahren, aber, haha, er ist hier in Berlin. Ein Eckstein vom Pergamonaltar. Ich geb‘ dir 15 Euro für den Eintritt, dann gehst du da schnell hin und fasst mal eben alle Ecken an. Mach hinne, Junge!“

 

Als Easy auf der Museumsinsel ankommt, muss er feststellen, dass das Pergamonmuseum geschlossen ist. Schon seit längerem und noch lange hin. Irgendwas stimmt nicht mit Oma Schmodtkes Traum, obwohl das mit Erwin ja gut geklappt hat.

Easy setzt sich neben einen Bettler auf eine Bank und schaut sich die vielen Touristen an, die die Museumsinsel bevölkern. Wegen ihm sind alle verdammt, den Hitzetod zu sterben. Easy stöhnt. Er ist schuld. Oder Oma Schmodtke. Oder die, die ungenaue Träume schicken.

Der Bettler neben ihm, etwa sein Alter, fragt nach einem Euro. Easy gibt ihm fünf, denn er hat nur die beiden Scheine von Oma Schmodtke. Gleich werden die Glocken Zwölf schlagen. Um sich nicht wie ein Versager zu fühlen, beschließt Easy, sich von den verbliebenen Euro eine Pizza zu gönnen. 

Zum Abschied klopft er dem Bettler auf die Schulter: „Mach‘s gut, Alter!“

 

Der Bettler schaut Easy lange nach. Irgendwie hat ihm der Abschiedsklopfer gutgetan, die bösen Gedanken sind verschwunden, es ist alles in ihm so leicht geworden. Er schaut hinüber zu der Touristengruppe, die er als Ziel ausgesucht hatte. Um das kleine Mädchen ist es ihm schade, sie ist noch so unschuldig, hat noch keine bösen Erfahrungen gemacht. Nur wegen ihr überlegt er, vielleicht doch die Attacke noch auszuführen, damit sie vom Elend verschont bleibt. 

Aber, ja, anderseits, er will es darauf ankommen lassen: Wenn er um Zwölf genug zusammengebettelt hat, um sich die Fahrkarte nach Hause leisten zu können, würde er sich um einen Neuanfang bemühen. Seine Eltern werden ihm sicher helfen. Dass er damals abgehauen ist, war ja nicht wegen ihnen. Es war wegen Saskia, er konnte nicht mehr im gleichen Ort leben und er konnte auch mit niemandem drüber reden. Obwohl, so zurückschauend, er mit seinen Eltern gut klar kam.

Warum hatte er es nicht früher so gesehen? Warum hatte er bisher immer gedacht, dass ihm kein Weg zurück geblieben war, nur die Straße, immer vorwärts, immer abwärts.

 

Die Glocken läuten, er kippt den Bettelbecher aus. Ja, mit den fünf Euro von Easy ergibt es genau die 38,90 für die Fahrkarte. Punktlandung. Das Messer wird er auf dem Weg zum Bahnhof in eine Mülltonne werfen. Er steht auf, wirft noch einen letzten Blick auf das kleine Mädchen. Die Arme, was der noch alles blühen wird …

 

Was er nicht weiß: Das kleine Mädchen ist Nora K., die in genau 25 Jahren die Welt retten wird. Sie wird die Menschheit einen und Frieden auf Erden für Mensch, Tier und Umwelt bringen. Vielleicht wird er sie sogar wiedererkennen. Nur Easy wird nicht wissen, dass er die Welt doch gerettet hat.

 

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