Von Ricarda Köhler

Würde man Tina und Liana heute fragen, dann würden die beiden bestätigen, dass es sich genau so ereignet hätte. Tina würde sagen:

„Glaubt es oder lasst es sein, aber es ist genau so passiert.“

Und Liana würde bestätigen:

„Scheiße, ja, so war es! Wir haben es doch beide gesehen!“

Das Problem dabei ist, sie reden nicht mehr über diesen Vorfall und glauben würde ihnen ohnehin keiner. Vor allem, weil es in der ganzen Stadt bekannt ist, dass die beiden gerne mal einen besonderen Tee genießen. Solche Art von Tee, die man nicht kaufen kann, jedenfalls nicht in Deutschland. Diese Art von Tee muss man sich selber anbauen. Die beiden sind dafür bekannt, dass sie das tun. Vielleicht hat sie deshalb keiner näher nach diesem Tag gefragt und auch später lieber nicht. Lediglich den Polizisten mussten Liana und Tina Rede und Antwort stehen, aber die glaubten ihnen nicht. Zum Glück konnte sich Lianas Oma für die beiden verbürgen und dadurch sind sie noch mal einer Einweisung in die Psychiatrie entkommen. Den Tee und die Zigaretten, die hat Oma Erna allerdings eigenhändig eingesammelt und die Pflanzen entsorgt auf dem Komposthaufen von Onkel Werner, der seitdem erstaunlich gut drauf ist. Die Oma hat dann nur zu den beiden gesagt:

„Ihr solltet mit dem Tee trinken aufhören. Kaffee ist auch viel gesünder.“

Und das war das letzte Mal, dass über diesen Tag gesprochen wurde. Tina und Liana haben sich am nächsten Tag bei so einem Heilpflanzenkurs eingeschrieben, von wegen Änderung der Lebenseinstellung und so. Dem Teetrinken konnten sie beide nicht ganz abschwören, jetzt jedoch bevorzugt Mate-Tee oder eben andere Heilkräuter. Veganer sind sie dann auch noch geworden, ob das mit dem Vorfall zu tun hatte, kann man im Nachhinein aber nicht so genau sagen.

Ich habe von dem Ereignis erfahren, als Oma Erna mal bei meiner Mutter zum Kaffee und Kuchen war und mich vor Teetrinken gewarnt hat. Als Beispiel hat sie ihre Enkelin genannt und von dem Tag vor drei Jahren erzählt.

Eigentlich wollten Liana und Tina nur zu einem Konzert fahren, etwas außerhalb der Stadt, weswegen sie praktischerweise die U-Bahn nahmen, denn die war wesentlich schneller als die entsprechende Buslinie. Während der Fahrt rollten sie sich wohl schon die eine oder andere besondere Zigarette, die auch nicht so einfach im Laden zu kaufen ist. Erklärt sich von selbst, dass sie eine große Thermoskanne mit ihrem eigenen Tee mit hatten. Das Rezept hierfür haben die beiden bis heute nicht verraten, nur so viel sei gesagt, der Tee wurde mit einer fettigen Vollmilch zubereitet, statt mit Wasser. Dadurch erhöht sich nicht nur der Nährwert, sondern auch gleich die Wirkung. Natürlich nur, weil es in U-Bahnen schließlich keine Bordrestaurants gibt, nur deswegen hatten sie den Tee dabei. Jedenfalls waren sie wohl ziemlich mit sich selbst beschäftigt. Quatschten, tranken Tee und quatschten noch mehr. Doch irgendwann wurde Tina unruhig und sah auf ihr Handy, wie viel Uhr es wohl wäre.

„Liana, irgendwas stimmt nicht. Wir fahren jetzt schon drei Stunden.“

„Ja, genau, Alte, spinnst. Die U-Bahn fährt nur ´ne halbe Stunde zum Konzert.“

„Nein, Liana! Guck selbst!“

Können Sie sich ja vorstellen, dass auch Liana mit ihrem Hintern auf der Bank rumrutschte.

„Liana? Wir fahren gar nicht. Wir stehen! Aber die Türen sind zu. Kannst dich dran erinnern, ob wir irgendwo vorher angehalten haben?“

Liana zog ihren Kaugummi in die Länge:

„Nööö!“

Die beiden sahen sich um und sahen nichts, also niemanden. Tina kuschelte sich ganz nah an Liana und legte ihren Arm um die Schulter von Liana, woraufhin auch Liana ihrer Freundin den Arm um die Hüfte schwang.

Genau konnten sie später nicht mehr sagen, wie lange sie so saßen, aber beide nahmen gleichzeitig diesen merkwürdigen Geruch wahr. Es war ein wenig wie Fäulnis und Schwefel. Rauchwolken kamen unter der Tür hervor und waberten wie kleine Wolken, die zu tief hingen, durch den Waggon, bis die Mädels, die dort stocksteif saßen, völlig eingehüllt waren voll vom Nebel. Es war aber kein normaler Nebel, so erzählten es die Tina und Liana der Polizei, sondern der Geruch war unerträglich, dazu schienen die Wolken ein Eigenleben zu führen, als würde eine Hand nach ihnen greifen.

Die beiden Mädchen hielten sich die Nase zu, weil ihnen übel wurde durch den Geruch, und die Augen tränten von dem Rauch. Auf einmal stand er da, die Beine weit auseinander, eine Hand erhoben und die andere in der Hüfte und polterte los.

Hier muss man jetzt sagen, waren Tina und Liana sich nicht ganz einig. Liana meinte, er hätte gesagt:

„Mitkommen! Ihr seid fällig.“

Tina hingegen erinnerte sich an:

„Endstation! Aussteigen und mitfahren!“

Klar ist jedenfalls, dass die beiden sich ansahen, die Augen weit aufgerissen, leichte Schweißperlen auf der Stirn, die langsam an den Schläfen herunterflossen, die Hände mit nassem, kaltem Schweiß überzogen. Bis Tina schließlich aufsprang:

„Nein, wir sind noch jung! Wir gehen nirgendwo hin, vor allem nicht in die Hölle. Das Konzert wartet auf uns.“

Woraufhin die Gestalt, die nach Aussage von den beiden Mädchen rote Hörner auf dem Kopf hatte und einen Dreizack in der Hand hielt, den Kopf schüttelte und anfing zu lachen. Eben so bösartig und dreckig, wie ein Teufel zu lachen pflegt, wenn er die Menschen zu sich holt.

Der Leibhaftige bat sie erneut auszusteigen, sie wären auf einem Abstellgleis.

„Abstellgleis? Noch lange nicht!“

Was soll ich sagen, Tina wusste sich zu helfen, wobei ich dies wirklich maßlos übertrieben fand, aber sie holte aus und gab dem Widersacher eins mit der Faust. Da lag er nun vor ihnen und die beiden Mädchen sahen sich doch etwas verdutzt um. Allerdings hatten sie nicht besonders lange Zeit, darüber nachzudenken, ob die Reaktion übertrieben war oder ob sie doch hätten mitgehen sollen. Denn von außen sahen es drei Bahnmitarbeiter, standen auf einmal im Waggon und zwei hielten die Freundinnen fest. Wobei Liana immer wieder gerufen haben soll:

„Ich hab das Recht zu leben!“

Der dritte Mann sammelte die rote Mütze von dem Fahrkartenkontrolleur auf und half ihm wieder auf die Beine. Bevor die Polizei kam, roch der Kontrolleur noch an der Thermoskanne und kassierte diese ein mit den Worten:

„Verdammt guter Stoff, würde ich sagen.“

Als die Polizei kam, wurde alles zu Protokoll genommen. Vor Gericht mussten sich die zwei jedenfalls doch noch rechtfertigen, da half ihnen auch nicht der Heilkräuterkurs.

Oma Erna hat die beiden jedenfalls nun im Griff, auch wenn ihr das Mantra-Singen um sechs Uhr früh gehörig gegen den Strich geht. Aber wozu gibt es Ohropax und einen starken Kaffee.

 

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