Von Dan Schuh

“Zweimal allein in dieser Woche, habe ich das richtig verstanden?”, fragte Sandy, legte ihr Kinn in ihre Handfläche und blickte ihr Gegenüber durchdringend an.

„Das war gestern. Heute sind es bereits drei!“ Angelo hielt zur Unterstützung drei Finger in Höhe und grinste Sandy breit an. Vereinzelte Buhrufe aus dem Publikum.

 „Nach deiner eignen Hochrechnung kommst du also auf einen Schnitt von etwa zwei bis drei, ich nenne es mal, Vergnügungen, in einer Woche?“ Sandy senkte ihre Stimme, während die Schlitze ihrer Augen sich verengten.

„Nenn es doch beim Namen, Sandy! Sex! Und das von der allerfeinsten Art!“ Mike saß breitbeinig auf der Couch, welche sich auf der kleinen Bühne des Studios befand. „Aktuell bin ich übrigens dabei meinen Schnitt ein wenig zu verbessern“, zwinkert er Sandy an und ließ sein strahlend weißes Lächeln aufblitzen. Pfiffe aus dem Publikum.

Sandy sprang plötzlich von ihrem Sessel auf und eilte mit schnellen Schritten in die Mitte der Bühne. „Was haltet ihr davon, wenn uns Angelo seine unglaubliche Masche präsentiert? Was meint ihr?“ fragte Sandy in Richtung Publikum, während sie den Blick schweifen ließ. Ein wilder Applaus brandete auf, laute Pfiffe gellten durch die Reihen der Sitzenden zur Moderatorin.

„Sandy, Sandy“, sagte Angelo beschwichtigend. „Zuallererst möchte ich euch sagen, dass ich alle Frauen respektiere. Ja, ich liebe sie alle und bin bereit großzügig meine Liebe zu verteilen.“

„Du siehst dich also als Geschenk an die Frauen?“, hakte Sandy nach.

„Wer verzichtet den freiwillig auf dieses Prachtstück?“ Angelo sprang auf und zog sein weißes T-Shirt hoch, welches er unter einer abgetragenen Lederjacke trug. Eine Sonnenbrille baumelte lässig im T-Shirt-Kragen. Langsam griff er danach und klappte sie in einer fließenden Bewegung auf. Sein Grinsen verbreiterte sich, während er die Brille auf seine Nase schob und abschließend wie eine Statue mit entblößtem Bauch und angespannten Bizeps auf der Bühne verharrte. Wie geworfene Rosen empfing er die Buhrufe und das Gejohle aus dem Publikum.

„Setzen wir uns doch wieder“, beendete Sandy die Show. Angelo ließ sich wieder auf die Couch fallen und schob sich die Brille auf den Kopf.

„Angelo, stell dir vor wir beide wären in einem Club.“ Angelo ließ seine Schultern kreisen und seine Augenbrauen zweimal nach oben hüpfen, bevor sie weitersprach. „Ich stehe alleine an der Bar und du hättest ein Auge auf mich geworfen. Was tust du als nächstes?“

„Gar nichts! Ich warte bis du zu mir kommst“, gab Angelo zurück und seinen Zähne zeigten wieder das perfekte Weiß. „Früher oder später verfällt mir jede.“

„Ich wundere mich, warum sich noch keine Frau aus dem Publikum ausgezogen hat und nackt schreiend auf deine Genitalien gesprungen ist“, entgegnete Sandy trocken. Hemmungsloses Lachen und rasender Applaus aus dem Publikum.

„Ich bin bereit, jederzeit, Ladys!“ Angelo hechtete wieder in den Stand, breitete die Arme wie zu einem Willkommensgruß aus und fächelte dabei mit den Händen in seine Richtung. Pfiffe waren alles, was er erntete.

„Vielleicht ist hier zu wenig Club-Atmosphäre, damit wir auch deine Unwiderstehlichkeit erkennen können.“ Sandy lehnte sich im Sessel zurück und blickte genießerisch auf das Treiben vor ihr. „Bleib einfach stehen, denn ich möchte jetzt unseren nächsten Gast begrüßen.“

Angelo stemmte die Hände in die Hüfte und hackte seine Daumen in seinen Hosenbund als wäre er kurz davor einen Bullen auf einem Rodeo zu besteigen.

„Ihr Name ist Lisa!“ Ein rhythmischer kurzer Jingle erklang und eine Tür im Hintergrund der Bühne schob sich langsam zu zwei Seiten auf. Es dauerte einen Moment, bis Lisa mit vorsichtigen Schritten auf die Bühne kam und zum Publikum gewandt stehen blieb.

„Meine Name ist Lisa und ich bin schwanger“, gab sie tonlos von sich als der Jingle seinen melodischen Höhepunkt erreichte. Höfliches Klatschen.

Sie drehte sich zu Sandy um, die sich erhoben hatte und mit ihrer ausgestreckten Hand auf die Couch zu ihrer linken wies. Lisa ging vorsichtig, als hätte sie Angst den Boden zu berühren, bis sie sich schließlich setzte. Als sie Angelo ansah, der noch immer in seiner Pose verharrte, stutzte sie.

„Lisa, schön, dass du hier bist“, begann Sandy die Unterhaltung. Angelo schenkte einigen Frauen im Publikum Luftküsse, die von ihren Empfängerinnen angewidert weggeschlagen wurden.

„Wie ich sehe, ist Angelo kein Unbekannter für dich“, analysierte Sandy die Situation. Lisa schüttelte den Kopf. „Ich spüre da eine gewisse Anspannung, geht es dir wirklich gut?“

„In meiner Nähe wird noch jede…“ Angelo stoppte abrupt, als er das erste Mal in Lisas Richtung blickte. Sie erwiderte seinen Blick und so sahen sie sich für einen Moment sprachlos an. Sandy blickte irritiert zwischen beiden hin und her, bis sie die Stille mit einer weiteren Frage unterbrach.

„Dein Name ist Lisa und du hast uns vor wenigen Augenblicken ein wichtiges Detail offenbart“, versuchte sie die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.

Lisa löste sich als Erste aus der der Starre, blickte Sandy an und nickte einmal kurz.

„Kennst du diesen… Herrn?“, fragte Sandy weiter und zeigte auf Angelo, der gerade wieder auf der Couch gegenüber Platz genommen hatte.

Lisa nickte erneut.

„Wir kennen ihn unter dem Namen Angelo…“ fing Sandy an, als Lisa plötzlich den Kopf schüttelte.

„Nein, damals nannte er sich anders“, untermauerte sie ihr Kopfschütteln. „So etwas wie Carlos oder Marcos, ich bin mir nicht…“ Lisa rieb sich die Hände und ein Prusten war plötzlich aus ihrem Mund zu hören. Sandy runzelte die Stirn.

„Wo habt ihr euch kennengelernt?“, versuchte sie weiter beim Thema zu bleiben.

„In einem Club. Ich war mit einer Freundin feiern und…“

„Und du bist sofort seinem Charme erlegen“, ergänzte Sandy für sie. Lisa ballte die Fäuste und presste die Lippen aufeinander. Ihre Mundwinkel hoben sich.

„Er war zuvorkommend und hat mit Komplimenten um sich geworfen. Der Alkohol hat dann sein Übriges getan…“, erzählte Lisa nach einer kurzen Pause weiter.

„Ein Hilfsmittel war also auch noch im Spiel“ Sandy blickte in die Reihen des Publikums und einige Zuschauer schüttelten die Köpfe. „Kommen wir noch einmal zu deiner Ankündigung vom Anfang zurück. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen deinem Umstand und dem Mann mit den vielen Namen dort?“ Sandy streckte anklagend den Zeigefinger auf Angelo.

Lisa nickte und grinste. Ein Raunen ging durch die Reihen. Mehrere Gäste ließen ihre Hände vor ihren Mund schnellen. Angelo schüttelte energisch den Kopf und grinste ebenfalls.

„Ich verschenke nur Liebe, nicht mehr“, versuchte er sich mit leiser Stimme Gehör zu verschaffen, während er das Grinsen nicht stoppen konnte.

Sandy griff nach Lisas Hand und drückte sie. Ein Finger ihrer anderen Hand schoss plötzlich in die Höhe und blieb dort stehen.

„Es wird Zeit für Wahrheit oder Lüge“, schrillte ihre Stimme durch das Studio.

Jubelschreie und frenetisches Klatschen begleitete zwei Männer in schwarz, welche die Bühne jeweils von der Seite betraten. Im Hintergrund erklang gleichzeitig zunächst leise und sich dann weiter steigernd der Ton eines schlagenden Herzens. Die Männer nahmen Enden von Kabeln, an denen Manschetten befestigt waren und legten diese an Kopf und Händen von Lisa und Angelo an. Sie zuckten zusammen als Sandy plötzlich aus ihrem Sessel aufsprang. Sie hechtete los und kam nur einen halben Meter vor Angelo zum Stehen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an.

„Bist du bereit die Wahrheit zu erzählen? Ich hoffe es, denn wir werden dich entlarven, wenn du lügst“. Sandy wartete bis das Pochen seinen Höhepunkt erreichte und dann abrupt verstummte. „Angelo, hattest du Sex mit Julia?“ Wieder ein leise einsetzendes Pochen im Hintergrund.

„Nein“, antwortete er sofort.

Sandy blickte ihn verwirrt an. Er schaute zu Lisa. Beide lächelten.

Das Pochen im Hintergrund wurde wieder lauter und nach einer minutenlangen Ewigkeit verkündete eine tiefe Männerstimme schließlich: „Lüge!“

Das Publikum buhte und pfiff, während Sandy verunsichert zwischen den beiden offensichtlich gut gelaunten Gästen hin und her blickte.

„Lisa, ist Angelo der Vater deines Kindes?“, ließ Sandy keine Zeit verstreichen und legte nach.

„Ja“, bestätigte Lisa knapp.

Wieder setzte der Herzschlag ein.

„Wahrheit“, verkündete die Stimme noch tiefer und unheilvoller.

Das Lachen von Angelo und Lisa übertönte das aufgebrachte Raunen des Publikums. Sie hielten sie sich ihre Bäuche und lachten laut und ungehemmt. Sandy ließ die Schultern hängen und blickte sich hilfesuchend um.

 

Ein kalter Wind fegte über den dunklen Parkplatz vor dem Studio. Lisa zog ihre Jacke enger zusammen und legte ihre Hände in den Schoß. Das Licht der Straßenlaterne erleuchtete matt die Sitzbank, auf der sie saßen.

„Angelo? Wer hat sich eigentlich diesen bescheuerten Namen ausgesucht?“, fragte sie.

„Ich leider nicht, da hätte ich beim Casting  mal genauer nachfragen sollen“, gab Fred zurück.

„Den Babybauch zum Umschnallen haben sie mir da auch noch verschwiegen“, sagte Lisa und beide mussten grinsen. „Ich glaube, die Gage können wir nach dem Abgang vergessen.“

Die letzten Gäste der Sandy-Flowers-Show stiegen in ihre Autos. Still blickten sie den roten Lichtern hinterher, die im Dunkel vor ihnen verschwanden.

„Wie kann es sein, dass wir uns nach so langer Zeit ausgerechnet hier wiedersehen?“, fragte Lisa. „Vermutlich Schicksal“, erwiderte Fred nachdenklich. „Ich hatte die ganze Zeit Bilder aus unserer Schulzeit in meinem Kopf. Dieser wahnsinnig heiße Sommer, die Klassenfahrt und unsere Nacht am Strand.“

„Wir sind einfach eingeschlafen und alle haben gedacht, wir hätten was miteinander“, ergänzte Lisa lachend.

„Damals habe ich mir das gewünscht“, Fred schaute Lisa an und sie erwiderte seinen Blick. Ein langer  Augenblick verging, ohne dass sie sprachen.

„Wie wär´s mit einem Drink?“, fragte Fred schließlich.

„Kein Strand in Sicht, wir kommen gerade von der Arbeit und es ist kalt…“, begann Lisa und stand auf. „Aber gegen einen heißen Kaffee hätte ich nichts einzuwenden.“

 

VERSION 3